taz. 11.3.1999

Waffenexporte belasten Koalition
Ein U-Boot-Geschäft mit der Türkei kann Rot-Grün nicht mehr verhindern. Anfragen für künftige Waffengeschäfte könnten für Sprengstoff sorgen

Aus Bonn Severin Weiland
Der Haushaltsexperte der Unionsfraktion im Bundestag, Dietrich Austermann, frohlockte. Rot- Grün haben ihren jahrelangen Widerstand gegen Rüstungsexporte aufgegeben und die Lieferung von vier U-Booten an die Türkei im Haushaltsausschuß gebilligt. Die Mitteilung, die der Abgeordnete vergangene Woche an die Medien faxte, erboste die grünen Haushaltsexperten. Denn von einer Kurskorrektur der neuen Regierung könne nicht die Rede sein. Eine Abstimmung im Haushaltsausschuß über eine Bundesbürgschaft in Höhe von 324 Millionen Mark für den Export der vier U-Boote habe es gar nicht gegeben, erklärte gestern ein Mitarbeiter des grünen Haushaltsexperten Oswald Metzger der taz. Die Bundesbürgschaft habe die alte Bundesregierung zugesichert. Die neue Koalition hätte sie nicht mehr stoppen können - selbst nicht über den Haushaltsausschuß. Man habe die Vorlage lediglich „zur Kenntnisnahme“ erhalten.
So werden also 324 Millionen Mark an Bundesbürgschaften für den Export von vier U-Booten durch die Howaldtswerke Deutsche Werft AG (HDW) bereitgestellt. Derartige finanzielle Absicherungen - auch als Hermes-Bürgschaften bekannt - dienen deutschen Firmen als Sicherheit für den Fall, daß das Auftragsgeberland in Zahlungsschwierigkeiten gerät. Der Kooperationsvertrag über die vier U-Boote wurde im vergangenen Sommer von der HDW mit dem Verteidigungsministerium in Ankara abgeschlossen.
Die Übernahme der Bundesbürgschaft begründete das
Bundesfinanzministerium mit dem Erhalt deutscher Arbeitsplätze. Die Türkei habe auf einem Hermeskredit bestanden, es sei aber ungewiß, ob die Bundesrepublik für den Nato-Partner Türkei am Ende überhaupt einspringen müsse.
Mag der Unionsabgeordnete Austermann sich auch zu früh über eine rot-grüne Kurskorrektur gefreut haben, das Problem, wie künftig mit Waffengeschäften umgegangen werden soll, bleibt. Denn die deutsche Rüstungsindustrie ließ vor einigen Wochen einen Testballon steigen.  Dem Bundessicherheitsrat wurde eine Voranfrage zugeleitet. Darin geht es um die Lieferung von 200 Schützenpanzern an die Türkei sowie um den Bau von weiteren 1.800 Lizenzpanzern in der Türkei. Das Gremium, in dem unter anderem über Rüstungsexporte in Krisenregionen entschieden wird und dem auch Außenminister Joschka Fischer angehört, hat die Voranfrage zunächst auf Eis gelegt. Doch damit ist das Thema noch nicht vom Tisch. Möglicherweise, so heißt es aus Regierungskreisen, wird die Panzerlieferung auf der nächsten Sitzung des Bundessicherheitsrats erneut beraten.
Das Thema der Waffengeschäfte wird in Bonn als höchst sensibel eingestuft. Im Koalitionsvertrag hatten SPD und Grüne festgehalten, daß bei „Rüstungsexportentscheidungen der Menschenrechtsstatus möglicher Empfängerländer als zusätzliches Entscheidungskriterium eingeführt“ wird. Teile des linken Flügels der SPD, hier vertreten durch die dem Bundessicherheitsrat angehörende Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul, drängen auf eine sorgfältige Prüfung jedes Einzelfalls. Die Bündnisgrünen wiederum gaben am vergangenen Wochenende auf dem Erfurter Parteitag Joschka Fischer einen programmatischen Grundsatz mit auf den Weg. In einem Antrag zur Türkeipolitik wurde festgehalten, daß sich die Grünen weiterhin an „Menschenrechten und einer friedlichen Lösung des Kurdenkonfliktes“ orientieren. Man setze sich dafür ein, so die indirekte Forderung an den Außenminister, künftig keine Waffen und andere Rüstungsgüter an die Türkei zu liefern. In ihrem Entschließungsantrag äußerten die Grünen auch ihr Unverständnis darüber, daß kürzlich das Auswärtige Amt in einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der PDS den Einsatz deutscher Waffen in der Osttürkei verneint hatte. Diese Antwort war ganz im Tenor der früheren Bundesregierung gehalten. Außenminister Fischer, so heißt es in Bonn, war über die Formulierung der Auskunft verärgert. Dafür verantwortlich zeichnete ein verbeamteter Staatssekretär - der hatte bereits unter Außenminister Klaus Kinkel gedient.
 

taz . 11.3.1999

Deutsche U-Boote auf dem Weg nach Zypern?
Unterseeboote für die Türkei beeinflussen das fragile Gleichgewicht mit der Mittelmeerinsel

Berlin (taz) - Mit U-Booten kann die Türkei keine protestierenden Kurden beschießen - diese Weisheit mag eine Rolle gespielt haben, als der Bundessicherheitsrat dem Export der deutschen Unterwasserfahrzeuge zustimmte. Auf den ersten Blick erscheint der Export von Waffen, die zur Bekämpfung der eigenen Bevölkerung denkbar ungeeignet sind, an einen Nato-Partner unbedenklich zu sein. Tatsächlich sind jedoch auch die außenpolitischen Beziehungen der Türkei mit Griechenland und Zypern schwer belastet.
Seit 1974 halten türkische Truppen den Norden der Insel Zypern besetzt, eine dort 1983 begründete „Türkische Republik Nordzypern“ ist lediglich von Ankara anerkannt worden. Gleichwohl sind deutsche Militärfahrzeuge bei der türkischen Armee auf Nordzypern im Einsatz, ebenso wie die Technologie anderer Nato-Partner.
Ein bewaffneter Konflikt zwischen Zypern, Griechenland und der Türkei gilt als Alptraum-Szenario der Nato. Zypern und die Türkei unterhalten keinerlei diplomatische Beziehungen. In jüngster Zeit kam es zwischen beiden Staaten wegen der geplanten Stationierung russischer Raketen auf der Insel zu schweren Spannungen, die bis zu einer Kriegsdrohung durch Ankara gingen. Zypern verzichtete schließlich angesichts internationalen Drucks auf die Raketen.
Deutsche U-Boote für die Türkei werden keine neuen Spannungen zwischen den Staaten hervorrufen - dafür ist das internationale Gewicht Zyperns zu gering und das der Türkei zu groß. Doch sollte der unwahrscheinliche Fall eintreten, daß es in Zukunft zu einem neuen bewaffneten Konflikt kommt, könnten die deutschen U-Boote zum Einsatz kommen.
klh
 

taz  11.3.1999

[taz-Kommentar]
Zwischen Programmatik und Realität Die Grünen und die Waffenexporte in die Türkei
Der Berg an Kompromissen, der sich vor den Bündnisgrünen auftürmt, wird mit jedem Tag ihrer Regierungstätigkeit höher und höher. Nach dem Atomausstieg und dem neuen Staatsbürgerschaftsrecht wird bald auch die Frage der Rüstungsexporte die grünen Grundsätze belasten. Eine Voranfrage der deutschen Rüstungsindustrie für den Export von 200 Schützenpanzern in die Türkei und den weiteren Bau von 1.800 Lizenzpanzern östlich des Bosporus ist vom Bundessicherheitsrat zunächst auf Eis gelegt worden, ein von der alten Regierung eingefädeltes U-Boot- Geschäft mit der Türkei, das durch Bundesbürgschaften abgesichert wird, konnte Rot-Grün nicht mehr verhindern. Der Ernstfall ist also noch nicht eingetreten.
Doch wird man den Eindruck nicht los, die Akteure seien in eine beklemmende Starre angesichts des Themas verfallen. Dabei haben sich SPD und Grüne im Koalitionsvertrag darauf verständigt, die Einhaltung elementarer Menschenrechte in den Empfängerländern als „zusätzliches Entscheidungskriterium“ für Waffenexporte einzuführen. Dies ist eine Chance für die Grünen, mit der so viel beschworenen Kontinuität in der Außenpolitik zu brechen. Ein Stopp deutscher Waffenexporte wäre ein Zeichen an Ankara, daß die Kritik an der türkischen Kurdenpolitik nicht nur ein Lippenbekenntnis ist.
Auf einer restriktiven Auslegung gegenüber Staaten zu beharren, die es mit den Menschenrechten nicht allzu ernst nehmen, liegt im ureigenen Interesse der Grünen. Die Partei, die mit hehren moralischen Zielen gegründet wurde, hat ihren Moralismus im Laufe der Jahre immer mehr ins Naturschutzreservoir gestellt. Das war, wie bei der Abkehr vom Prinzip der Gewaltlosigkeit im Falle der Balkankonflikte, notwendig und richtig, weil das Beharren auf der Moral der 80er nur Tatenlosigkeit und damit neue Unmoral hervorrief. Auch bei den Rüstungsexporten beugten sich die Grünen ein Stück weit den bitteren Notwendigkeiten der Realpolitik - spätestens mit Abschluß des Koalitionsvertrages. Der dort verfaßte Kompromiß schließt den Verkauf von Waffen nicht grundsätzlich aus. Er läßt aber Raum, den Export zu überprüfen und notfalls zu verhindern. Ein solcher befristeter Stopp würde zumindest im Kern jenen moralischen Anspruch erhalten, mit dem die Grünen sich einst von den anderen Parteien unterscheiden wollten.
Severin Weiland