Interview mit Innensenator Hartmuth Wrocklage (SPD) zur Kurden-Politik / „Jeden Einzelfall prüfen“ „Abschiebestopp? Ohne mich“
Rot-grüner Zoff: Die GAL fordert einen generellen Abschiebestopp für Kurden in die Türkei. Dort drohe ihnen Folter und Verfolgung. Warum er auf Einzell-Überprüfung beharrt, erläutert Innensenator Wrocklage im MOPO-Interview.
MOPO: Herr Senator, schiebt der Senat Kurden in die Türkei ab?
Wrocklage: Das wird von der Ausländerbehörde sehr sorgfältig
im Einzelfall geprüft. Es gibt eindeutige Vorgaben, daß wir
jede Gefahr von Folter und Todesstrafe vermeiden. Und es gibt Absprachen
des deutschen und türkischen Innenministers.
MOPO: Sind Erklärungen des türkischen Regimes nicht wertlos?
Wrocklage: Wir haben die Erfahrung gemacht, daß sich die türkische
Republik an Absprachen hält.
MOPO: Von welcher Lagebeurteilung in der Türkei gehen Sie aus?
Wrocklage: Dem Außenministerium liegen keine Erkenntnisse vor,
daß seit der Verhaftung Öcalans türkische Staatsbürger
nach ihrer Rückkehr Repressionen zu erwarten hätten. Allerdings
sei die Atmosphäre so emotionalisiert, daß ein erhöhtes
Risiko für abgeschobene Kurden bestehe.
MOPO: Die GAL nennt Abschiebung Beihilfe zur Folter.
Wrocklage: Ich kann mir nicht vorstellen, daß die Grünen
das sagen. Es könnte sich höchstens um eine einzelne Stimme handeln.
Wir leisten keine Beihilfe zu Folter oder Hinrichtung. Wir betreiben eine
maßvolle Politik.
MOPO: Elf Kurden sollen in Abschiebehaft sein, darunter auch politische
Aktivisten. Wird deren Abschiebung ausgesetzt?
Wrocklage: Wir setzen keine Verfahren aus, sondern prüfen die
Einzelfälle. Wenn wir Amtshilfe für andere Bundesländer
leisten, sind unsere Möglichkeiten begrenzt. Ein genereller
Abschiebestopp wäre der falsche Weg.
MOPO: Warum?
Wrocklage: Wir betreiben aktives Konfliktmanagement, wie es auch die
Innenministerkonferenz beschlossen hat. Wir haben bundesweit zu maßvoller
Reaktion auf die Kurden-Proteste beigetragen. Automatisch einen Abschiebestopp
für alle Gewalttäter zu verhängen, wäre umgekehrt falsch
- das würde die Sache verharmlosen. Deshalb bin ich für
einen Abschiebestopp nicht zu haben.
MOPO: Was geschieht mit PKK-Kämpfern?
Wrocklage: Auch das wird einzeln geprüft. Wenn es die Gefahr von
Folter oder Todesstrafe gibt, schieben wir nicht ab.
MOPO: Ist die Polizei für neue Proteste gerüstet?
Wrocklage: Die Hamburger Polizei ist keine Schönwetterpolizei.
Sie hat ihre Einsätze gut bewältigt. Fehler bei Kommunikation,
Ausrüstung und Fahrzeugen werden vom Polizeipräsidenten abgestellt.
Jetzt geht es darum, ein Frühwarnsystem zu etablieren, damit keine
Überraschungseffekte entstehen, wenn es zu neuen Gewalt-Eruptionen
kommen sollte. Wir haben allerdings den Eindruck, daß die PKK erkannt
hat, daß sie der Sache der Kurden einen Bärendienst erweist,
wenn sie Krawalle inszeniert. Wir bleiben wachsam und stellen uns auf die
tatsächlichen Potentiale ein.
MOPO: Greifen Sie auf den Bundesgrenzschutz zurück?
Wrocklage: Wir greifen auf Kräfte anderer Länder und des
BGS zurück und leisten Hilfe in anderen Ländern.
MOPO: Welches Datum haben Sie vorgemerkt?
Wrocklage: Der Beginn des Öcalan-Prozesses dürfte von besonderer
Brisanz sein. Die Aufregung bei vielen Kurden wird nicht dadurch abgebaut,
daß Öcalan wie eine Trophäe vorgeführt und einem Gerichtsverfahren
unterworfen wird, das nicht rechtsstaatlich ist.
Interview: Günter Beling