10. März 1999 Jungle World

Wenn sich Fuchs und Kurde Gute Nacht sagen

Thyssen Krupp-Stahl will die Panzerflotte der türkischen Armee gründlich modernisieren. Die Bundesregierung hat noch nicht entschieden, und Fischer weiß plötzlich nichts mehr vom Einsatz deutscher Waffen gegen die Kurden

Die Forderungen klangen schon fast revolutionär: Radikal sollte der potentielle Abnehmerkreis für deutsche Kriegstechnologie eingegrenzt werden. Länder in Krisengebieten - also auch die Türkei und Griechenland - sollten von Unternehmen aus der Bundesrepublik ebensowenig noch Waffen und Munition erhalten wie Staaten, in denen systematisch die Menschenrechte verletzt werden - also auch die Türkei. Überhaupt keine Lieferungen von Militärtechnologie sollten mehr an Länder außerhalb der EU, der USA und Kanadas gehen - eine Formulierung, die explizit das Nato-Land Türkei aussparte.
Prinzipiell sollte die Bundesregierung keine Waffengeschäfte mehr mit Hermes-Bürgschaften unterstützen. Bislang enthebe sich die Bundesregierung „der Möglichkeit, den Handel mit Waffen zu unterbinden bzw. zu kontrollieren und trägt damit in diesem Politikbereich zur Entdemokratisierung und Vernachlässigung von Menschenrechtsstandards bei.“ Damit müsse nun Schluß sein.
Nachzulesen im Initiativantrag Nummer 13 / 10 288 „Exportkontrollpolitik bei Rüstung und rüstungsrelevanten Gütern“. Gezeichnet: „Angelika Beer, Winfried Nachtwei, Christian Sterzing, Amke Dietert-Scheuer, Dr. Uschi Eid, Joseph Fischer (Frankfurt), Kerstin Müller (Köln) und Fraktion“. Datum: 31. März 1998.
Als Joseph Fischer ein halbes Jahr später zum Außenminister gekürt wurde, verkündete er, außenpolitisch werde alles beim alten bleiben - nur werde künftig das Menschenrechtskriterium wesentlich größere Bedeutung erhalten. Im Koalitionsvertrag schienen sich die Grünen in diesem Punkt durchgesetzt zu haben. „Der nationale deutsche Rüstungsexport außerhalb der EU“, hieß es hier, „soll restriktiv gehandhabt werden. Bei Rüstungsexportentscheidungen wird der Menschenrechtsstatus möglicher Empfängerländer als zusätzliches Entscheidungskriterium eingeführt.“
Doch der Koalitionsvertrag, sagt Bundeskanzler Gerhard Schröder, „ist keine Bibel“. Und Joseph Fischer könnte hinzufügen: „Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern?“ Auf parlamentarisch heißt das: „Die Bundesregierung verfügt über keine Erkenntnisse, daß aus Deutschland gelieferte Waffen von den türkischen Streitkräften gegen die kurdische Zivilbevölkerung oder bei grenzüberschreitenden Operationen eingesetzt wurden.“ Nachzulesen in der Bundestagsdrucksache 14 / 383, der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der PDS-Parlamentarier Ulla Jelpke und Winfried Wolf. Datum 18.  Januar 1999. Federführend: Das Auswärtige Amt (AA); dessen Leiter: Joseph Fischer (Frankfurt).
Mit was die türkische Armee eigentlich sonst auf kurdische Zivilisten schießen sollte, wenn nicht mit der halben Million G3-Gewehre deutscher Bauart, die im ostanatolischen Ausnahmezustandsgebiet die Standardbewaffnung ihrer Infanteristen darstellen, darauf bleibt das AA die Antwort schuldig. Keine Erwähnung findet auch die Planung, dieses Arsenal innerhalb der nächsten Dekade, wiederum unter Federführung des Konzerns Heckler & Koch, rundzuerneuern, wobei die Verflechtung, die H & K mit dem im Besitz des türkischen Militärs befindlichen Waffenproduzenten MKEK eingehen will, so eng sein wird, daß es danach kaum noch möglich sein wird, zu differenzieren, bei welchen Waffen es sich um deutschen Export handelt und bei welchen um türkischen Eigenbau, der durch deutsches Know-how möglich wurde.
Der Trend in der militärtechnischen Zusammenarbeit mit Schwellenländern wie Indien, Indonesien oder der Türkei geht zum Joint Venture. 200 Stück der rund vier Millionen Mark teuren Transport- und Spürpanzer vom Typ Fuchs will die Türkei in den nächsten Jahren hierzulande einkaufen; 1 800 weitere will sie im eigenen Land in Lizenz bauen lassen. In der Transport-Ausführung eignen sich die leichten, leisen, schwimmfähigen und schnellen Radpanzer mit einer Reichweite von bis zu 800 Kilometern, die zehn Soldaten Platz bieten, besonders gut zur Aufstandsbekämpfung. Sie könnten im kurdischen Teil der Türkei die Mannschaftspanzer vom Typ MTW 113 aus DDR-Beständen ablösen, die dort seit der Abwicklung der DDR zum Straßenbild gehören und bewiesenermaßen regelmäßig gegen die kurdische Zivilbevölkerung eingesetzt werden.
Schon Mitte Januar ging beim Bundessicherheitsrat eine Voranfrage für Bau, Ausfuhr und Lizenzbau von insgesamt 2 000 Fuchs ein. Dieser Kabinettsausschuß tagt geheim, ihm gehören auch Vertreter von Joseph Fischers Auswärtigem Amt an. Zu einer Entscheidung ist man allerdings noch nicht gekommen, weil sich der Minister soeben auf einer Auslandsreise befand. Wer den Antrag gestellt hat, darauf wollte das Fischer-Amt mit Verweis auf das Betriebs- und Geschäftsgeheimnis keine Auskunft geben. Es ist jedoch kein Geheimnis, daß der Transportpanzer Fuchs von einem Firmenkonsortium unter Leitung der Thyssen-Henschel GmbH in Kassel gebaut wird. Die wiederum ist eine Tochtergesellschaft der Thyssen Krupp-Stahl AG, deren Vorgängergesellschaft Thyssen AG im Verdacht steht, den CSU-Parlamentarier Erich Riedl über ein Mittelsfirma mit einer halben Million Mark bestochen zu haben, um eine Ausfuhrgenehmigung für Fuchs-Panzer nach Saudi-Arabien zu erhalten.
Zum türkischen Militär erfreut sich Thyssen seit langem bester Geschäftsbeziehungen. Erst im Dezember lieferten die Thyssen-Krupp-Töchter Blohm + Voss und Rheinstahl-Technik die letzte von insgesamt sieben Fregatten der Meko-Klasse an die türkische Marine aus; ein weiteres der 118 Meter langen, mit einer Hubschrauberplattform und einem modularen Waffensystem ausgestatteten Schiffe wurde in Lizenz auf der Marinewerft in Gölcük nahe Istanbul gebaut.
Sobald jedoch nur noch Know-how ausgeführt wird, werden Rüstungsexporte aber viel schwieriger zu kontrollieren sein. Vielleicht treibt diese Sorge auch Joseph Fischer um.  Immerhin soll im Bundessicherheitsrat der Vertreter des Auswärtigen Amts, neben der Ministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Heidemarie Wieczorek-Zeul, als einziger eindeutig gegen den Panzer-Deal gewesen sein. Einen Anlaß, die Öffentlichkeit von dem Ansinnen zu informieren, sah man jedoch auch im Hause Joseph Fischer nicht. Das von dem parteilosen Schröder-Boy Werner Müller geführte Wirtschaftsministerium mahnte dagegen sogleich an, ein „generelles Übergewicht“ des Menschenrechtskriteriums gegenüber deutschen Export- und Bündnisinteressen werde es nicht geben.
Welchen Anteil Rüstungsgüter am Gesamtexportvolumem der BRD haben, läßt sich nur schwer beziffern, da die offizielle Statistik zahlreiche Möglichkeiten zur Verschleierung bietet. So antwortete die Regierung Kohl 1996 auf eine Parlamentarische Anfrage nach Rüstungsexporten in Länder, die in den Jahren 1985 bis 1995 „als Konfliktpartei in zwischen- bzw. innerstaatliche Konflikte verwickelt waren“, dafür seien in der fraglichen Zeit „keine Genehmigungen erteilt worden“. In diesen Zeitraum fallen freilich zahlreiche Waffengeschäfte mit Staaten wie Pakistan, Malaysia, Südafrika, Argentinien und der Türkei. Indonesien, Malaysia und die Philippinen wurden sogar, so die damalige Bundesregierung, „rüstungsexportpolitisch entsprechend den Nato-gleichgestellten Staaten behandelt“.
Insgesamt gab die Bundesregierung für das Jahr 1995 ein Rüstungsexportvolumen von 1,98 Milliarden Mark an; was bei einem Gesamtexportvolumen von mehr als 728 Milliarden zunächst recht wenig anmutet. Diese Zahl beinhaltet jedoch nur reine Kriegswaffen;
Waffenteile, Dual-use-Güter wie Sattelschlepper zum Transport von Panzern und auch Komponenten für militärisch nutzbare Atomtechnologie fallen nicht darunter. Einen realistischeren Richtwert dürften die 30,35 Milliarden Mark geben, welche die 1995 nach dem Außenwirtschaftsgesetz genehmigungspflichtigen Exporte wert waren.
Auch die Erfolgsaussichten für eine Genehmigung schienen recht hoch zu sein: Abgelehnt wurden Ausfuhren im Wert von lediglich 153 Millionen Mark, wovon ein einziger Posten schon 109 Millionen ausmachte. Ganze fünf Prozent der gewünschten Militärausfuhren scheiterten also an den deutschen Behörden. Außer mit schönen Worten im Koalitionsvertrag hat die Regierung Schröder/Fischer bisher keinen Anlaß zu der Vermutung gegeben, daß sich an diesem Verhältnis in Bälde etwas ändern könnte. Und nach der „Möglichkeit, den Handel mit Waffen zu unterbinden“, fragt jetzt nur noch die PDS.
Andreas Dietl



 

Jungle World 10. März 1999

Fischer in der Bagdadbahn
Die geostrategische Bedeutung der Türkei für die Bundesrepublik Deutschland und die Nato

Kontinuität in der deutschen Außenpolitik hat Joseph Fischer bei seinem Amtsantritt versprochen. Daß Fischer Wort hält, beweist seine Haltung des Auswärtigen Amtes gegenüber der Türkei: Die Bundesregierung, so antwortete Fischers Behörde auf eine Anfrage der PDS, sei „der Auffassung, daß die Türkei die Bekämpfung des Terrorismus unter Beachtung der Menschenrechte und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit führen muß“. Weiter heißt es in dem Papier: „Nur die Türkei selbst kann die Probleme im Südosten lösen. Die Bundesregierung sieht hieran ein dringendes Interesse und ist bereit, jede ihr mögliche Unterstützung zu leisten.“
Das Verständnis der rot-grünen Reformregierung, die selbst vor einer Übernahme der regierungsoffiziellen türkischen Vokabel „Terrorismus“ für den Bürgerkrieg in Kurdistan nicht mehr zurückschreckt, ist keinesfalls uneigennützig. Kontinuität in der deutschen Außenpolitik, das bedeutet im Fall der Türkei vor allem: Die Verteidigung geostrategischer Interessen der Bundesrepublik im Nahen und Mittleren Osten.
Die hohen Erwartungen der deutschen Politik hat Fischers Vorgänger Kinkel schon 1992 beschrieben: „Es ist so, daß die Türkei eine hohe strategische, politische, wirtschaftliche, kulturelle Bedeutung hat, insbesondere nach dem Wegfall des Ost-West-Konfliktes.(...) Die Türkei gewinnt eine Brückenfunktion an der Nahtstelle zwischen Europa und Asien, zwischen Christentum und Islam.“
Genauer als Kinkel hat Lothar Rühl, ehemaliger Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium, 1992 die Interessen der Nato und der EU an einem stabilen türkischen Staat definiert. In der Zeitschrift Europa-Archiv nannte Rühl im November 1992 mehrere Optionen, die die deutsche und westliche Außenpolitik im Zusammenhang mit der Türkei zu verfolgen habe: Die Türkei, seit 1952 Vollmitglied der Nato, sei „die zentrale Front für die Stabilität im Nahen Osten“. Insbesondere vermerkt wird die Bedeutung des türkischen Staates für die „von KSZE und Nato eröffneten Perspektive einer westlichen Ordnungspolitik und Ausstrahlung westlicher Sicherheit auf den gesamten bisher von Moskau aus beherrschten zentralasiatischen Raum mit seinen Turkvölkern und seiner islamischen Kultur.“
Eine „Ordnungsfunktion“ verspricht man sich demnach im
Bundesverteidigungsministerium vor allem am Schwarzen Meer und in Zentralasien.  Rumänien, Bulgarien und Georgien seien „von der russischen Kontrolle frei geworden“. In Aserbaidschan hofft man auf das „ethnisch-kulturelle Band“, das die Aseris wegen der Sprachverwandtschaft mit der Türkei verbinde und das dem schiitischen Einfluß des Nachbarstaates Iran begrenzen soll. Gleiches gilt für die seit 1996 vereinbarte sicherheitspolitische und militärische Zusammenarbeit mit Israel.
In Zentralasien stelle die Türkei „als nach Westen gewandtes muslimisches Land einen natürlichen Partner der derzeit auch nach Europa blickenden zentralasiatischen Völker“ dar.  Allein in Turkmenistan sollen die viertgrößten Erdgasreserven der Welt lagern, insgesamt werden vier bis zehn Milliarden Tonnen Erdöl in Zentralasien vermutet - das heißt, die zweitgrößten Erdölvorkommen der Welt.
Die Financial Times hat die Region um Aserbaidschan bereits als „vermutlich einen der wichtigsten neuen Märkte zu Anfang des 21. Jahrhunderts“ bezeichnet. Neben der politischen Einflußnahme Ankaras als „Ordnungsfaktor“ in der Region kommt dem Land auch beim Pipeline-Transport des flüssigen Goldes zukünftig eine gewichtige Rolle zu: Der türkische Mittelmeerhafen Ceyhan ist ein neuralgischerPunkt der geplanten Pipeline-Route aus der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku.
Eine der wichtigsten Funktionen, die der Türkei im Hinblick auf westliche Sicherheitsinteressen wahrzunehmen hat, ist die „Abschirmung gegenüber dem Mittleren Osten“. Diese Option nahmen die USA im Golfkrieg 1990/91 wahr, als US-Luftstreitkräfte von türkischen Stützpunkten aus zu Bombardements auf den Irak starteten. Der türkische Luftwaffenstützpunkt Incirlik dient den Vereingten Staaten nach wie vor als Ausgangsbasis für Kontrollflüge und Angriffe auf den Irak.
Rühl freute sich in seinem Papier: „Die strategische Kontrolle des gesamten mittelöstlichen Raumes von der Levante bis zum Golf ist von der Türkei aus auch in Zukunft wieder möglich, ohne die Nato als Bündnis in Aktion zu bringen, so lange die türkische Politik im Innern und gegenüber den Nachbarn wie auch im Bündnis dies erlaubt.“
Für Deutschland, das seit Anfang des Jahrhunderts militärpolitisch stets eng mit der Türkei kooperiert hat und innerhalb der Nato schon seit 1964 den Ansprechpartner für Ankara darstellt, verstärken wirtschaftspolitische Interessen die Notwendigkeit eines ungetrübten Verhältnisses: Deutschland ist der wichtigste Wirtschaftspartner der Türkei.
Eine entscheidende Voraussetzung für die Wahrnehmung dieser Optionen sieht man auf der Hardthöhe offenbar darin, „daß alle Partner die territoriale Integrität der Republik Türkei zur Grundlage ihrer Politik machen, auch in der kurdischen Frage.“ Bewaffnete Inkursionen müßten als das angesehen werden, was sie „im Sinne des Nordatlantikpakts von 1949 sind: als militärische Aggressionen, unabhängig von ihrem Ausmaß, ihrer Dauer und der Art der Bewaffnung oder davon, ob sie in der Türkei Unterstützung finden oder nicht“. Ein unabhängiger kurdischer Staat würde den Mittleren Osten um einen weiteren internationalen Unruheherd bereichern und den gesamten territorialen Status quo seit 1924 erschüttern. Der türkischen Staatspolitik, so Rühl, müsse in der kurdischen Frage „eine breite Marge“ gelassen werden.
Seit dem 27. September 1998 hat sich offenbar an diesen Einschätzungen nichts geändert.  Warum, das hat schon 1982 der ehemalige Angestellte im Auswärtigen Amt, Alois Mertes, klargestellt: „Unsere Türkeihilfe ist kein herablassendes, generöses Geschenk an diesen Verbündeten. Sie dient der Wahrung unserer eigenen, elementaren Sicherheitsinteressen.“
Deutsche Sicherheitsinteressen, das hat wohl auch Joseph Fischer jetzt eingesehen, müssen noch allemal mit Gewehren von Heckler & Koch verteidigt werden.
Andreas Spannbauer



 

Jungle World 10. März 1999

„Grüne müssen Waffenexporte stoppen“

Interview mit Hans-Christian Ströbele, Bundestagsabgeordneter von Bündnis 90/Die
Grünen
Auf eine Anfrage der PDS antwortete die Bundesregierung, sie verfüge über keine Erkenntnisse, wonach deutsche Waffen von der türkischem Armee gegen die kurdische Zivilbevölkerung eingesetzt werden. Zeit für einen Nachhilfekurs der grünen Fraktion für das Außenministerium?
Ich glaube, daß diese Erkenntnisse auch bei Regierungs-Mitgliedern durchaus vorhanden sind. Ich interpretiere diese Antwort so, daß die jetzige Bundesregierung offenbar keine amtlichen Informationen aus der Vorgängerzeit darüber hat, für was die damals gelieferten Waffen tatsächlich eingesetzt wurden. Natürlich weiß jeder, der es wissen will, daß insbesondere die aus den Beständen der NVA vor einigen Jahren gelieferten Waffen auch bei der Unterdrückung der kurdischen Bevölkerung in der Türkei eingesetzt werden.
Was haben Sie denn den beiden grünen Abgeordneten im Außenministerium bei der letzten Fraktionssitzung gesagt?
Bei einer Fraktionssitzung, bei der ich anwesend war, war das nicht Thema. Ich weiß aber, daß diese Antwort, wie sie das Auswärtige Amt herausgegeben hat, von Fraktionsmitgliedern heftig kritisiert wurde.
Die Regierung bezeichnet den Kampf der Türkei gegen den kurdischen „Terrorismus“ als legitim - die Bundesrepublik werde ihr dabei jede Unterstützung zukommen lassen.  Müßte bei solchen Stellungnahmen eines grün geleiteten Außenministeriums nicht ein Aufschrei durch die Partei gehen?
Ich habe auf dem Parteitag am Wochenende deutlich gemacht, daß ich durchaus Parallelen zwischen dem Befreiungskampf der Kurden in der Türkei, im Irak oder im Iran und dem vielbeschworenen Kampf der Kosovo-Albaner um mehr Autonomie und mehr Rechte gegenüber den Serben sehe. Daraus ergibt sich, daß es der falsche Ansatz ist, hier nur von „terroristischer Gewalt“ zu sprechen. Man muß die Legitimität des kurdischen Widerstandes gegen die türkische Verfolgung anerkennen, was nicht heißt, daß dadurch Bombenanschläge auf Hotels in der Türkei oder auf türkische Reisebüros gerechtfertigt sind.
Demnach müßte ähnlich wie in Rambouillet für das Kosovo eine Autonomie-Lösung für die kurdischen Provinzen gefunden werden?
Ich halte es für dringend erforderlich, daß die internationale Staatengemeinschaft - insbesondere die Bundesrepublik Deutschland - Druck ausübt auf die türkische Regierung, und soweit erforderlich auch auf militant kämpfende kurdische Befreiungskräfte. So könnte zunächst ein Waffenstillstand und danach ein wirklicher Friedensschluß erreicht werden - abgesichert von internationalen Beobachtern, ähnlich wie das im Kosovo jetzt geplant ist.  Es kann nicht sein, daß all das, was die Türkei gegen die kurdische Bevölkerung anrichtet - viele Menschen töten und in die Flucht treiben und Dörfer zerstören, einfach ignoriert wird, nur weil die Türkei in der Nato ist und als Flugzeugträger der USA eine wichtige militärstrategische Funktion hat.
In der Opposition haben sich die Grünen noch vehement für Konversionsfonds, weitere Abrüstungsschritte und das Verbot des Exports von Rüstungsgütern eingesetzt.  Übernimmt diesen Job jetzt die PDS?
Ich hoffe nicht. Nur haben die Grünen jetzt auch andere Möglichkeiten, auf eine Änderung dieser Politik einzuwirken. Deshalb werden wir als Fraktion weniger mit Kleinen Anfragen an die Regierung herantreten. Schließlich sitzen wir mit dem zuständigen Minister in derselben Fraktion - und da gibt es doch weitgehende Übereinstimmung darüber, daß sich grundsätzlich etwas ändern muß. Grüne Minister müssen Lieferungen von Waffen, die zur Unterdrückung der Kurden benutzt werden könnten, stoppen.
Eigentlich müßten Sie jetzt doch die restriktiveren Rüstungsexportgesetze, die sie in Oppositionszeiten immer gefordert haben, nur noch auf den Tisch legen.
Soweit ich das sehe, ist das keine Frage von Gesetzen, sondern Entscheidungen, die der Bundessicherheitsrat fällt: Eine Runde ausgewähltern Minister, in der - und das ist neu-endlich die Ministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit sitzt, die sich ja in diesem Punkte auch in der Öffentlichkeit schon sehr eindeutig geäußert hat. Ich gehe davon aus, daß sie gemeinsam mit anderen grünen und SPD-Ministern verhindern wird, daß deutsche Waffen zu Krieg und Unterdrückung der Bevölkerung an andere Staaten geliefert werden können.
Interview: Markus Bickel



 

Jungle World 10. März 1999
 

Rüstungsexporte an die Türkei Waffen made in Germany
Im Jahr 1964 übernahm die Bundesrepublik im Rahmen der Nato-Verteidigungshilfe die Zuständigkeit für Griechenland und die Türkei. In einem ersten Vertrag vereinbarte man damals die Lieferung von Hubschraubern, Waffen, Munition, kugelsicheren Westen und Polizeifahrzeugen im Wert von 15 Millionen DM. Seither hat die türkische Regierung nach Angaben des Bundesverteidigungsministeriums Militärhilfe im Umfang von etwa sieben Milliarden DM erhalten. Bis heute bestreitet die Bundesregierung den Einsatz deutscher Waffen im kurdischen Kriegsgebiet, obwohl dieser von Menschenrechtsorganisationen mehrmals nachgewiesen worden ist. Die ehemalige türkische Ministerpräsidentin Tansu Ciller stellte 1993 unmißverständlich klar: „Wir setzen die Waffen ein, die wir haben.“
Die Waffen, die sie haben, kommen aus Deutschland. Eine Auswahl.
1980 bis 1982 Die Bundesregierung gewährt der Türkei Militärhilfe im Umfang von 1,2 Milliarden DM. Die Hilfe umfaßt 77 Kampfpanzer, 249 Milan Abschußgeräte sowie die Aufrüstung von 160 M-48 Panzer. Zudem wird der Ausbau von Gewehrfabriken in Arifiye, Kirikale, Elmadagi und die Modernisierung von zwei Marinewerften in Gölcüküy und Tashizak unterstützt.
1985 bis 1987 Die Anti-Terror-Truppe „Schwarze Käfer“ wird in Deutschland von der GSG-9 ausgebildet. Im Zuge des türkisch-kurdischen Krieges verstärkt die Türkei den Waffenimport. Zu den Lieferanten zählen die Firmen Siemens, Thyssen, VW, Dornier, Eurometall, Krauss-Maffei, AEG, Krupp und MAN. Verkauft werden unter anderem Panzertransporter und Bergepanzer im Wert von 500 Millionen DM.
1989 Die türkische Regierung rüstet ihr Luftverteidigungssystem auf. Dafür schließt MBB mit fünf türkischen Firmen einen Vertrag im Umfang von 600 Millionen DM ab, der den Vertrieb von Kampfhubschraubern vorsieht. Die Bedeutung deutscher Konzerne für die türkische Kriegsführung verdeutlicht ein Zitat aus der türkischen Ausgabe der Zeitschrift Defense and Aerospace: „Wenn heute in der Türkei überhaupt von einer Rüstungsindustrie gesprochen werden kann, so hat sie das in allererster Linie der Bundesrepublik Deutschland zu verdanken. Firmen wie Fritz Werner, Heckler & Koch, Rheinmetall, MBB und Diehl sind unserem Verband der Maschinen und Chemieindustrie bestens bekannt.“
1990 Die Rüstungsfirmen Blohm & Voss, Thyssen Rheinstahl, Technik und HDW Kiel unterzeichnen einen Vertrag für den Bau von MEKO-200-Fregatten im Wert von 800 Millionen DM.
1991 Das Verteidigungsministerium liefert Waffen im Wert von 1,5 Milliarden Mark an die Türkei. Dabei handelt es sich vor allem um Restbestände der NVA. „Eine ganze Armeeausrüstung“ (FAZ) wird verschenkt: mehr als 100 000 Panzerfäuste, 350 000 Kalaschnikow-Maschinenpistolen, 440 Millionen Stück Munition, 30 Kampf- und Aufklärungsflugzeuge RF-4E und 300 Panzer vom Typ BTR-60. Hinzu kommt die Lieferung von 131 Artillerie-Raketenwerfern, 550 Schützenpanzern und 200 Hubschraubern.
1992 Die Firma Eurometall exportiert 18 000 Artilleriegranaten, 15 Leopard-Panzer und 46 RF-4E Phantom-Flugzeuge in die Türkei. Und dies, obwohl für knapp ein halbes Jahr ein Lieferstopp verhängt wurde. Kurz zuvor hatten Fotos dokumentiert, wie der Kurde Mesut Dündar an einen deutschen Panzer vom Typ BRT-60 gefesselt zu Tode geschleift wurde.  Nach der Aufhebung des Waffenembargos schließt ein deutsches Konsortium mit der türkischen Marine einen Vertrag über den Bau von zwei Fregatten im Umfang von rund 800 Millionen DM ab.
1994 Im Mai wird ein Stopp der Waffenlieferungen an die Türkei verhängt, als Beobachterdelegationen den Einsatz von deutschen Waffen im kurdischen Teil der Türkei nachweisen. Vier Wochen später werden die Waffenlieferungen wieder aufgenommen. Die Türkei erhält neben 15 Phantom-Flugzeugen und einem Aufklärungssystem auch Munition, Tankwagen und Löschwagen im Wert von 300 Millionen DM.
1996 Die BRD übernimmt für den Bau von Stinger-Abwehrraketen eine Bürgschaft über 48,8 Millionen DM - der Auftrag geht an Mercedes-Benz. Die Tochterfirma Dasa erhält den Auftrag für die Produktion von Lenkflugkörpersystemen und Panzergehäusen.
1997 Krauss-Maffai erhält für 4,5 Milliarden DM den Auftrag zum Bau von 1 000 Panzer vom Typ Leopard I und II. Die Lürssen-Werft in Bremen soll Patrouillen-Schnellboote anfertigen.
1998 Das deutsch-französische Konsortium Eurocopter liefert 30 Kampf- und Transporthubschrauber des Typs Cougar AS 532 im Wert von 700 Millionen DM. Die Howaldtswerke Deutsche Werft AG, eine Tochter der Thyssen, baut vier U-Boote vom Typ U212. Rheinmetall AG und Heckler & Koch schließen mit Ankara Lizenzverträge über die Produktion von Maschinengewehren der Typen MG3, MP5 und G3A3.
Felix Lee