Wenn sich Fuchs und Kurde Gute Nacht sagen
Thyssen Krupp-Stahl will die Panzerflotte der türkischen Armee gründlich modernisieren. Die Bundesregierung hat noch nicht entschieden, und Fischer weiß plötzlich nichts mehr vom Einsatz deutscher Waffen gegen die Kurden
Die Forderungen klangen schon fast revolutionär: Radikal sollte
der potentielle Abnehmerkreis für deutsche Kriegstechnologie eingegrenzt
werden. Länder in Krisengebieten - also auch die Türkei und Griechenland
- sollten von Unternehmen aus der Bundesrepublik ebensowenig noch Waffen
und Munition erhalten wie Staaten, in denen systematisch die Menschenrechte
verletzt werden - also auch die Türkei. Überhaupt keine Lieferungen
von Militärtechnologie sollten mehr an Länder außerhalb
der EU, der USA und Kanadas gehen - eine Formulierung, die explizit das
Nato-Land Türkei aussparte.
Prinzipiell sollte die Bundesregierung keine Waffengeschäfte mehr
mit Hermes-Bürgschaften unterstützen. Bislang enthebe sich die
Bundesregierung „der Möglichkeit, den Handel mit Waffen zu unterbinden
bzw. zu kontrollieren und trägt damit in diesem Politikbereich zur
Entdemokratisierung und Vernachlässigung von Menschenrechtsstandards
bei.“ Damit müsse nun Schluß sein.
Nachzulesen im Initiativantrag Nummer 13 / 10 288 „Exportkontrollpolitik
bei Rüstung und rüstungsrelevanten Gütern“. Gezeichnet:
„Angelika Beer, Winfried Nachtwei, Christian Sterzing, Amke Dietert-Scheuer,
Dr. Uschi Eid, Joseph Fischer (Frankfurt), Kerstin Müller (Köln)
und Fraktion“. Datum: 31. März 1998.
Als Joseph Fischer ein halbes Jahr später zum Außenminister
gekürt wurde, verkündete er, außenpolitisch werde alles
beim alten bleiben - nur werde künftig das Menschenrechtskriterium
wesentlich größere Bedeutung erhalten. Im Koalitionsvertrag
schienen sich die Grünen in diesem Punkt durchgesetzt zu haben. „Der
nationale deutsche Rüstungsexport außerhalb der EU“, hieß
es hier, „soll restriktiv gehandhabt werden. Bei Rüstungsexportentscheidungen
wird der Menschenrechtsstatus möglicher Empfängerländer
als zusätzliches Entscheidungskriterium eingeführt.“
Doch der Koalitionsvertrag, sagt Bundeskanzler Gerhard Schröder,
„ist keine Bibel“. Und Joseph Fischer könnte hinzufügen: „Was
kümmert mich mein Geschwätz von gestern?“ Auf parlamentarisch
heißt das: „Die Bundesregierung verfügt über keine Erkenntnisse,
daß aus Deutschland gelieferte Waffen von den türkischen Streitkräften
gegen die kurdische Zivilbevölkerung oder bei grenzüberschreitenden
Operationen eingesetzt wurden.“ Nachzulesen in der Bundestagsdrucksache
14 / 383, der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der PDS-Parlamentarier
Ulla Jelpke und Winfried Wolf. Datum 18. Januar 1999. Federführend:
Das Auswärtige Amt (AA); dessen Leiter: Joseph Fischer (Frankfurt).
Mit was die türkische Armee eigentlich sonst auf kurdische Zivilisten
schießen sollte, wenn nicht mit der halben Million G3-Gewehre deutscher
Bauart, die im ostanatolischen Ausnahmezustandsgebiet die Standardbewaffnung
ihrer Infanteristen darstellen, darauf bleibt das AA die Antwort schuldig.
Keine Erwähnung findet auch die Planung, dieses Arsenal innerhalb
der nächsten Dekade, wiederum unter Federführung des Konzerns
Heckler & Koch, rundzuerneuern, wobei die Verflechtung, die H &
K mit dem im Besitz des türkischen Militärs befindlichen Waffenproduzenten
MKEK eingehen will, so eng sein wird, daß es danach kaum noch möglich
sein wird, zu differenzieren, bei welchen Waffen es sich um deutschen Export
handelt und bei welchen um türkischen Eigenbau, der durch deutsches
Know-how möglich wurde.
Der Trend in der militärtechnischen Zusammenarbeit mit Schwellenländern
wie Indien, Indonesien oder der Türkei geht zum Joint Venture. 200
Stück der rund vier Millionen Mark teuren Transport- und Spürpanzer
vom Typ Fuchs will die Türkei in den nächsten Jahren hierzulande
einkaufen; 1 800 weitere will sie im eigenen Land in Lizenz bauen lassen.
In der Transport-Ausführung eignen sich die leichten, leisen, schwimmfähigen
und schnellen Radpanzer mit einer Reichweite von bis zu 800 Kilometern,
die zehn Soldaten Platz bieten, besonders gut zur Aufstandsbekämpfung.
Sie könnten im kurdischen Teil der Türkei die Mannschaftspanzer
vom Typ MTW 113 aus DDR-Beständen ablösen, die dort seit der
Abwicklung der DDR zum Straßenbild gehören und bewiesenermaßen
regelmäßig gegen die kurdische Zivilbevölkerung eingesetzt
werden.
Schon Mitte Januar ging beim Bundessicherheitsrat eine Voranfrage für
Bau, Ausfuhr und Lizenzbau von insgesamt 2 000 Fuchs ein. Dieser Kabinettsausschuß
tagt geheim, ihm gehören auch Vertreter von Joseph Fischers Auswärtigem
Amt an. Zu einer Entscheidung ist man allerdings noch nicht gekommen, weil
sich der Minister soeben auf einer Auslandsreise befand. Wer den Antrag
gestellt hat, darauf wollte das Fischer-Amt mit Verweis auf das Betriebs-
und Geschäftsgeheimnis keine Auskunft geben. Es ist jedoch kein Geheimnis,
daß der Transportpanzer Fuchs von einem Firmenkonsortium unter Leitung
der Thyssen-Henschel GmbH in Kassel gebaut wird. Die wiederum ist eine
Tochtergesellschaft der Thyssen Krupp-Stahl AG, deren Vorgängergesellschaft
Thyssen AG im Verdacht steht, den CSU-Parlamentarier Erich Riedl über
ein Mittelsfirma mit einer halben Million Mark bestochen zu haben, um eine
Ausfuhrgenehmigung für Fuchs-Panzer nach Saudi-Arabien zu erhalten.
Zum türkischen Militär erfreut sich Thyssen seit langem bester
Geschäftsbeziehungen. Erst im Dezember lieferten die Thyssen-Krupp-Töchter
Blohm + Voss und Rheinstahl-Technik die letzte von insgesamt sieben Fregatten
der Meko-Klasse an die türkische Marine aus; ein weiteres der 118
Meter langen, mit einer Hubschrauberplattform und einem modularen Waffensystem
ausgestatteten Schiffe wurde in Lizenz auf der Marinewerft in Gölcük
nahe Istanbul gebaut.
Sobald jedoch nur noch Know-how ausgeführt wird, werden Rüstungsexporte
aber viel schwieriger zu kontrollieren sein. Vielleicht treibt diese Sorge
auch Joseph Fischer um. Immerhin soll im Bundessicherheitsrat der
Vertreter des Auswärtigen Amts, neben der Ministerin für wirtschaftliche
Zusammenarbeit, Heidemarie Wieczorek-Zeul, als einziger eindeutig gegen
den Panzer-Deal gewesen sein. Einen Anlaß, die Öffentlichkeit
von dem Ansinnen zu informieren, sah man jedoch auch im Hause Joseph Fischer
nicht. Das von dem parteilosen Schröder-Boy Werner Müller geführte
Wirtschaftsministerium mahnte dagegen sogleich an, ein „generelles Übergewicht“
des Menschenrechtskriteriums gegenüber deutschen Export- und Bündnisinteressen
werde es nicht geben.
Welchen Anteil Rüstungsgüter am Gesamtexportvolumem der BRD
haben, läßt sich nur schwer beziffern, da die offizielle Statistik
zahlreiche Möglichkeiten zur Verschleierung bietet. So antwortete
die Regierung Kohl 1996 auf eine Parlamentarische Anfrage nach Rüstungsexporten
in Länder, die in den Jahren 1985 bis 1995 „als Konfliktpartei in
zwischen- bzw. innerstaatliche Konflikte verwickelt waren“, dafür
seien in der fraglichen Zeit „keine Genehmigungen erteilt worden“. In diesen
Zeitraum fallen freilich zahlreiche Waffengeschäfte mit Staaten wie
Pakistan, Malaysia, Südafrika, Argentinien und der Türkei. Indonesien,
Malaysia und die Philippinen wurden sogar, so die damalige Bundesregierung,
„rüstungsexportpolitisch entsprechend den Nato-gleichgestellten Staaten
behandelt“.
Insgesamt gab die Bundesregierung für das Jahr 1995 ein Rüstungsexportvolumen
von 1,98 Milliarden Mark an; was bei einem Gesamtexportvolumen von mehr
als 728 Milliarden zunächst recht wenig anmutet. Diese Zahl beinhaltet
jedoch nur reine Kriegswaffen;
Waffenteile, Dual-use-Güter wie Sattelschlepper zum Transport
von Panzern und auch Komponenten für militärisch nutzbare Atomtechnologie
fallen nicht darunter. Einen realistischeren Richtwert dürften die
30,35 Milliarden Mark geben, welche die 1995 nach dem Außenwirtschaftsgesetz
genehmigungspflichtigen Exporte wert waren.
Auch die Erfolgsaussichten für eine Genehmigung schienen recht
hoch zu sein: Abgelehnt wurden Ausfuhren im Wert von lediglich 153 Millionen
Mark, wovon ein einziger Posten schon 109 Millionen ausmachte. Ganze fünf
Prozent der gewünschten Militärausfuhren scheiterten also an
den deutschen Behörden. Außer mit schönen Worten im Koalitionsvertrag
hat die Regierung Schröder/Fischer bisher keinen Anlaß zu der
Vermutung gegeben, daß sich an diesem Verhältnis in Bälde
etwas ändern könnte. Und nach der „Möglichkeit, den Handel
mit Waffen zu unterbinden“, fragt jetzt nur noch die PDS.
Andreas Dietl
Jungle World 10. März 1999
Fischer in der Bagdadbahn
Die geostrategische Bedeutung der Türkei für die Bundesrepublik
Deutschland und die Nato
Kontinuität in der deutschen Außenpolitik hat Joseph Fischer
bei seinem Amtsantritt versprochen. Daß Fischer Wort hält, beweist
seine Haltung des Auswärtigen Amtes gegenüber der Türkei:
Die Bundesregierung, so antwortete Fischers Behörde auf eine Anfrage
der PDS, sei „der Auffassung, daß die Türkei die Bekämpfung
des Terrorismus unter Beachtung der Menschenrechte und des Grundsatzes
der Verhältnismäßigkeit führen muß“. Weiter
heißt es in dem Papier: „Nur die Türkei selbst kann die Probleme
im Südosten lösen. Die Bundesregierung sieht hieran ein dringendes
Interesse und ist bereit, jede ihr mögliche Unterstützung zu
leisten.“
Das Verständnis der rot-grünen Reformregierung, die selbst
vor einer Übernahme der regierungsoffiziellen türkischen Vokabel
„Terrorismus“ für den Bürgerkrieg in Kurdistan nicht mehr zurückschreckt,
ist keinesfalls uneigennützig. Kontinuität in der deutschen Außenpolitik,
das bedeutet im Fall der Türkei vor allem: Die Verteidigung geostrategischer
Interessen der Bundesrepublik im Nahen und Mittleren Osten.
Die hohen Erwartungen der deutschen Politik hat Fischers Vorgänger
Kinkel schon 1992 beschrieben: „Es ist so, daß die Türkei eine
hohe strategische, politische, wirtschaftliche, kulturelle Bedeutung hat,
insbesondere nach dem Wegfall des Ost-West-Konfliktes.(...) Die Türkei
gewinnt eine Brückenfunktion an der Nahtstelle zwischen Europa und
Asien, zwischen Christentum und Islam.“
Genauer als Kinkel hat Lothar Rühl, ehemaliger Staatssekretär
im Bundesverteidigungsministerium, 1992 die Interessen der Nato und der
EU an einem stabilen türkischen Staat definiert. In der Zeitschrift
Europa-Archiv nannte Rühl im November 1992 mehrere Optionen, die die
deutsche und westliche Außenpolitik im Zusammenhang mit der Türkei
zu verfolgen habe: Die Türkei, seit 1952 Vollmitglied der Nato, sei
„die zentrale Front für die Stabilität im Nahen Osten“. Insbesondere
vermerkt wird die Bedeutung des türkischen Staates für die „von
KSZE und Nato eröffneten Perspektive einer westlichen Ordnungspolitik
und Ausstrahlung westlicher Sicherheit auf den gesamten bisher von Moskau
aus beherrschten zentralasiatischen Raum mit seinen Turkvölkern und
seiner islamischen Kultur.“
Eine „Ordnungsfunktion“ verspricht man sich demnach im
Bundesverteidigungsministerium vor allem am Schwarzen Meer und in Zentralasien.
Rumänien, Bulgarien und Georgien seien „von der russischen Kontrolle
frei geworden“. In Aserbaidschan hofft man auf das „ethnisch-kulturelle
Band“, das die Aseris wegen der Sprachverwandtschaft mit der Türkei
verbinde und das dem schiitischen Einfluß des Nachbarstaates Iran
begrenzen soll. Gleiches gilt für die seit 1996 vereinbarte sicherheitspolitische
und militärische Zusammenarbeit mit Israel.
In Zentralasien stelle die Türkei „als nach Westen gewandtes muslimisches
Land einen natürlichen Partner der derzeit auch nach Europa blickenden
zentralasiatischen Völker“ dar. Allein in Turkmenistan sollen
die viertgrößten Erdgasreserven der Welt lagern, insgesamt werden
vier bis zehn Milliarden Tonnen Erdöl in Zentralasien vermutet - das
heißt, die zweitgrößten Erdölvorkommen der Welt.
Die Financial Times hat die Region um Aserbaidschan bereits als „vermutlich
einen der wichtigsten neuen Märkte zu Anfang des 21. Jahrhunderts“
bezeichnet. Neben der politischen Einflußnahme Ankaras als „Ordnungsfaktor“
in der Region kommt dem Land auch beim Pipeline-Transport des flüssigen
Goldes zukünftig eine gewichtige Rolle zu: Der türkische Mittelmeerhafen
Ceyhan ist ein neuralgischerPunkt der geplanten Pipeline-Route aus der
aserbaidschanischen Hauptstadt Baku.
Eine der wichtigsten Funktionen, die der Türkei im Hinblick auf
westliche Sicherheitsinteressen wahrzunehmen hat, ist die „Abschirmung
gegenüber dem Mittleren Osten“. Diese Option nahmen die USA im Golfkrieg
1990/91 wahr, als US-Luftstreitkräfte von türkischen Stützpunkten
aus zu Bombardements auf den Irak starteten. Der türkische Luftwaffenstützpunkt
Incirlik dient den Vereingten Staaten nach wie vor als Ausgangsbasis für
Kontrollflüge und Angriffe auf den Irak.
Rühl freute sich in seinem Papier: „Die strategische Kontrolle
des gesamten mittelöstlichen Raumes von der Levante bis zum Golf ist
von der Türkei aus auch in Zukunft wieder möglich, ohne die Nato
als Bündnis in Aktion zu bringen, so lange die türkische Politik
im Innern und gegenüber den Nachbarn wie auch im Bündnis dies
erlaubt.“
Für Deutschland, das seit Anfang des Jahrhunderts militärpolitisch
stets eng mit der Türkei kooperiert hat und innerhalb der Nato schon
seit 1964 den Ansprechpartner für Ankara darstellt, verstärken
wirtschaftspolitische Interessen die Notwendigkeit eines ungetrübten
Verhältnisses: Deutschland ist der wichtigste Wirtschaftspartner der
Türkei.
Eine entscheidende Voraussetzung für die Wahrnehmung dieser Optionen
sieht man auf der Hardthöhe offenbar darin, „daß alle Partner
die territoriale Integrität der Republik Türkei zur Grundlage
ihrer Politik machen, auch in der kurdischen Frage.“ Bewaffnete Inkursionen
müßten als das angesehen werden, was sie „im Sinne des Nordatlantikpakts
von 1949 sind: als militärische Aggressionen, unabhängig von
ihrem Ausmaß, ihrer Dauer und der Art der Bewaffnung oder davon,
ob sie in der Türkei Unterstützung finden oder nicht“. Ein unabhängiger
kurdischer Staat würde den Mittleren Osten um einen weiteren internationalen
Unruheherd bereichern und den gesamten territorialen Status quo seit 1924
erschüttern. Der türkischen Staatspolitik, so Rühl, müsse
in der kurdischen Frage „eine breite Marge“ gelassen werden.
Seit dem 27. September 1998 hat sich offenbar an diesen Einschätzungen
nichts geändert. Warum, das hat schon 1982 der ehemalige Angestellte
im Auswärtigen Amt, Alois Mertes, klargestellt: „Unsere Türkeihilfe
ist kein herablassendes, generöses Geschenk an diesen Verbündeten.
Sie dient der Wahrung unserer eigenen, elementaren Sicherheitsinteressen.“
Deutsche Sicherheitsinteressen, das hat wohl auch Joseph Fischer jetzt
eingesehen, müssen noch allemal mit Gewehren von Heckler & Koch
verteidigt werden.
Andreas Spannbauer
Jungle World 10. März 1999
„Grüne müssen Waffenexporte stoppen“
Interview mit Hans-Christian Ströbele, Bundestagsabgeordneter von
Bündnis 90/Die
Grünen
Auf eine Anfrage der PDS antwortete die Bundesregierung, sie verfüge
über keine Erkenntnisse, wonach deutsche Waffen von der türkischem
Armee gegen die kurdische Zivilbevölkerung eingesetzt werden. Zeit
für einen Nachhilfekurs der grünen Fraktion für das Außenministerium?
Ich glaube, daß diese Erkenntnisse auch bei Regierungs-Mitgliedern
durchaus vorhanden sind. Ich interpretiere diese Antwort so, daß
die jetzige Bundesregierung offenbar keine amtlichen Informationen aus
der Vorgängerzeit darüber hat, für was die damals gelieferten
Waffen tatsächlich eingesetzt wurden. Natürlich weiß jeder,
der es wissen will, daß insbesondere die aus den Beständen der
NVA vor einigen Jahren gelieferten Waffen auch bei der Unterdrückung
der kurdischen Bevölkerung in der Türkei eingesetzt werden.
Was haben Sie denn den beiden grünen Abgeordneten im Außenministerium
bei der letzten Fraktionssitzung gesagt?
Bei einer Fraktionssitzung, bei der ich anwesend war, war das nicht
Thema. Ich weiß aber, daß diese Antwort, wie sie das Auswärtige
Amt herausgegeben hat, von Fraktionsmitgliedern heftig kritisiert wurde.
Die Regierung bezeichnet den Kampf der Türkei gegen den kurdischen
„Terrorismus“ als legitim - die Bundesrepublik werde ihr dabei jede Unterstützung
zukommen lassen. Müßte bei solchen Stellungnahmen eines
grün geleiteten Außenministeriums nicht ein Aufschrei durch
die Partei gehen?
Ich habe auf dem Parteitag am Wochenende deutlich gemacht, daß
ich durchaus Parallelen zwischen dem Befreiungskampf der Kurden in der
Türkei, im Irak oder im Iran und dem vielbeschworenen Kampf der Kosovo-Albaner
um mehr Autonomie und mehr Rechte gegenüber den Serben sehe. Daraus
ergibt sich, daß es der falsche Ansatz ist, hier nur von „terroristischer
Gewalt“ zu sprechen. Man muß die Legitimität des kurdischen
Widerstandes gegen die türkische Verfolgung anerkennen, was nicht
heißt, daß dadurch Bombenanschläge auf Hotels in der Türkei
oder auf türkische Reisebüros gerechtfertigt sind.
Demnach müßte ähnlich wie in Rambouillet für das
Kosovo eine Autonomie-Lösung für die kurdischen Provinzen gefunden
werden?
Ich halte es für dringend erforderlich, daß die internationale
Staatengemeinschaft - insbesondere die Bundesrepublik Deutschland - Druck
ausübt auf die türkische Regierung, und soweit erforderlich auch
auf militant kämpfende kurdische Befreiungskräfte. So könnte
zunächst ein Waffenstillstand und danach ein wirklicher Friedensschluß
erreicht werden - abgesichert von internationalen Beobachtern, ähnlich
wie das im Kosovo jetzt geplant ist. Es kann nicht sein, daß
all das, was die Türkei gegen die kurdische Bevölkerung anrichtet
- viele Menschen töten und in die Flucht treiben und Dörfer zerstören,
einfach ignoriert wird, nur weil die Türkei in der Nato ist und als
Flugzeugträger der USA eine wichtige militärstrategische Funktion
hat.
In der Opposition haben sich die Grünen noch vehement für
Konversionsfonds, weitere Abrüstungsschritte und das Verbot des Exports
von Rüstungsgütern eingesetzt. Übernimmt diesen Job
jetzt die PDS?
Ich hoffe nicht. Nur haben die Grünen jetzt auch andere Möglichkeiten,
auf eine Änderung dieser Politik einzuwirken. Deshalb werden wir als
Fraktion weniger mit Kleinen Anfragen an die Regierung herantreten. Schließlich
sitzen wir mit dem zuständigen Minister in derselben Fraktion - und
da gibt es doch weitgehende Übereinstimmung darüber, daß
sich grundsätzlich etwas ändern muß. Grüne Minister
müssen Lieferungen von Waffen, die zur Unterdrückung der Kurden
benutzt werden könnten, stoppen.
Eigentlich müßten Sie jetzt doch die restriktiveren Rüstungsexportgesetze,
die sie in Oppositionszeiten immer gefordert haben, nur noch auf den Tisch
legen.
Soweit ich das sehe, ist das keine Frage von Gesetzen, sondern Entscheidungen,
die der Bundessicherheitsrat fällt: Eine Runde ausgewähltern
Minister, in der - und das ist neu-endlich die Ministerin für wirtschaftliche
Zusammenarbeit sitzt, die sich ja in diesem Punkte auch in der Öffentlichkeit
schon sehr eindeutig geäußert hat. Ich gehe davon aus, daß
sie gemeinsam mit anderen grünen und SPD-Ministern verhindern wird,
daß deutsche Waffen zu Krieg und Unterdrückung der Bevölkerung
an andere Staaten geliefert werden können.
Interview: Markus Bickel
Jungle World 10. März 1999
Rüstungsexporte an die Türkei Waffen made in Germany
Im Jahr 1964 übernahm die Bundesrepublik im Rahmen der Nato-Verteidigungshilfe
die Zuständigkeit für Griechenland und die Türkei. In einem
ersten Vertrag vereinbarte man damals die Lieferung von Hubschraubern,
Waffen, Munition, kugelsicheren Westen und Polizeifahrzeugen im Wert von
15 Millionen DM. Seither hat die türkische Regierung nach Angaben
des Bundesverteidigungsministeriums Militärhilfe im Umfang von etwa
sieben Milliarden DM erhalten. Bis heute bestreitet die Bundesregierung
den Einsatz deutscher Waffen im kurdischen Kriegsgebiet, obwohl dieser
von Menschenrechtsorganisationen mehrmals nachgewiesen worden ist. Die
ehemalige türkische Ministerpräsidentin Tansu Ciller stellte
1993 unmißverständlich klar: „Wir setzen die Waffen ein, die
wir haben.“
Die Waffen, die sie haben, kommen aus Deutschland. Eine Auswahl.
1980 bis 1982 Die Bundesregierung gewährt der Türkei Militärhilfe
im Umfang von 1,2 Milliarden DM. Die Hilfe umfaßt 77 Kampfpanzer,
249 Milan Abschußgeräte sowie die Aufrüstung von 160 M-48
Panzer. Zudem wird der Ausbau von Gewehrfabriken in Arifiye, Kirikale,
Elmadagi und die Modernisierung von zwei Marinewerften in Gölcüküy
und Tashizak unterstützt.
1985 bis 1987 Die Anti-Terror-Truppe „Schwarze Käfer“ wird in
Deutschland von der GSG-9 ausgebildet. Im Zuge des türkisch-kurdischen
Krieges verstärkt die Türkei den Waffenimport. Zu den Lieferanten
zählen die Firmen Siemens, Thyssen, VW, Dornier, Eurometall, Krauss-Maffei,
AEG, Krupp und MAN. Verkauft werden unter anderem Panzertransporter und
Bergepanzer im Wert von 500 Millionen DM.
1989 Die türkische Regierung rüstet ihr Luftverteidigungssystem
auf. Dafür schließt MBB mit fünf türkischen Firmen
einen Vertrag im Umfang von 600 Millionen DM ab, der den Vertrieb von Kampfhubschraubern
vorsieht. Die Bedeutung deutscher Konzerne für die türkische
Kriegsführung verdeutlicht ein Zitat aus der türkischen Ausgabe
der Zeitschrift Defense and Aerospace: „Wenn heute in der Türkei überhaupt
von einer Rüstungsindustrie gesprochen werden kann, so hat sie das
in allererster Linie der Bundesrepublik Deutschland zu verdanken. Firmen
wie Fritz Werner, Heckler & Koch, Rheinmetall, MBB und Diehl sind unserem
Verband der Maschinen und Chemieindustrie bestens bekannt.“
1990 Die Rüstungsfirmen Blohm & Voss, Thyssen Rheinstahl,
Technik und HDW Kiel unterzeichnen einen Vertrag für den Bau von MEKO-200-Fregatten
im Wert von 800 Millionen DM.
1991 Das Verteidigungsministerium liefert Waffen im Wert von 1,5 Milliarden
Mark an die Türkei. Dabei handelt es sich vor allem um Restbestände
der NVA. „Eine ganze Armeeausrüstung“ (FAZ) wird verschenkt: mehr
als 100 000 Panzerfäuste, 350 000 Kalaschnikow-Maschinenpistolen,
440 Millionen Stück Munition, 30 Kampf- und Aufklärungsflugzeuge
RF-4E und 300 Panzer vom Typ BTR-60. Hinzu kommt die Lieferung von 131
Artillerie-Raketenwerfern, 550 Schützenpanzern und 200 Hubschraubern.
1992 Die Firma Eurometall exportiert 18 000 Artilleriegranaten, 15
Leopard-Panzer und 46 RF-4E Phantom-Flugzeuge in die Türkei. Und dies,
obwohl für knapp ein halbes Jahr ein Lieferstopp verhängt wurde.
Kurz zuvor hatten Fotos dokumentiert, wie der Kurde Mesut Dündar an
einen deutschen Panzer vom Typ BRT-60 gefesselt zu Tode geschleift wurde.
Nach der Aufhebung des Waffenembargos schließt ein deutsches Konsortium
mit der türkischen Marine einen Vertrag über den Bau von zwei
Fregatten im Umfang von rund 800 Millionen DM ab.
1994 Im Mai wird ein Stopp der Waffenlieferungen an die Türkei
verhängt, als Beobachterdelegationen den Einsatz von deutschen Waffen
im kurdischen Teil der Türkei nachweisen. Vier Wochen später
werden die Waffenlieferungen wieder aufgenommen. Die Türkei erhält
neben 15 Phantom-Flugzeugen und einem Aufklärungssystem auch Munition,
Tankwagen und Löschwagen im Wert von 300 Millionen DM.
1996 Die BRD übernimmt für den Bau von Stinger-Abwehrraketen
eine Bürgschaft über 48,8 Millionen DM - der Auftrag geht an
Mercedes-Benz. Die Tochterfirma Dasa erhält den Auftrag für die
Produktion von Lenkflugkörpersystemen und Panzergehäusen.
1997 Krauss-Maffai erhält für 4,5 Milliarden DM den Auftrag
zum Bau von 1 000 Panzer vom Typ Leopard I und II. Die Lürssen-Werft
in Bremen soll Patrouillen-Schnellboote anfertigen.
1998 Das deutsch-französische Konsortium Eurocopter liefert 30
Kampf- und Transporthubschrauber des Typs Cougar AS 532 im Wert von 700
Millionen DM. Die Howaldtswerke Deutsche Werft AG, eine Tochter der Thyssen,
baut vier U-Boote vom Typ U212. Rheinmetall AG und Heckler & Koch schließen
mit Ankara Lizenzverträge über die Produktion von Maschinengewehren
der Typen MG3, MP5 und G3A3.
Felix Lee