Gießener PKK-Chef soll Anschläge befohlen haben
Gebietsleiter durch glücklichen Zufall verhaftet - Polizei
ist für die nächsten Tage auf „die schlimmsten Szenarien eingerichtet“
Von Andreas Emmerich
GIESSEN. „Zufall“ hat nach Angaben der Generalbundesanwaltschaft in
Karlsruhe bewirkt, daß der ehemalige Gießener Gebietsleiter
Mehmet K. der terroristischen Kurdischen Arbeiterpartei PKK am Montag an
der dänischen Grenze bei der Einreise in die Bundesrepublik festgenommen
werden konnte. Mehmet K. wurde, wie berichtet, am Dienstag verhaftet. Erst
eine Woche alt war der Haftbefehl, der sich auf Straftaten im Raum Gießen
aus dem Jahr 1996 bezog.
Eine Sprecherin: „Die Ermittlungen haben halt so lange gedauert.“ Sie
bestätigte, daß ohne die Zugriffsmöglichkeit bei der Paßkontrolle
wohl mehr Zeit ins Land gegangen wäre, bis man des 28jährigen
hätte habhaft werden können. Ihm wird zur Last gelegt,drei Brandanschläge
befohlen zu haben. Neben friedlichen Demonstrationen hätten Taten
wie diese ab Juli 1996 die Solidarität der PKK mit Hungerstreikenden
in türkischen Gefängnissen unterstreichen sollen. Der heute PKK-intern
nicht mehr für Gießen zuständige Mehmet K. soll zum 28
Juli den Anschlag auf eine Transportfirma in Reiskirchen angeordnet haben.
Bei der Durchführung seien Molotow-Cocktails ins Innere der Firmenräume
geworfen worden. Es sei bei einem Schaden von 50000 Mark geblieben, weil
das Inbrandsetzen der Räume nicht gelang. Neben jenem zu einem Anschlag
auf ein türkisches Reisebüro in Siegen hat Mehmet K. den Beschuldigungen
nach außerdem den Befehl zu einem Brandanschlag auf ein türkisches
Reisebüro in Lollar gegeben. Dessen Vollzug sei daran gescheitert,
daß die von Mehmet K. eingesetzte Tätergruppe in Tatortnähe
von der Polizei festgenommen wurde. Nach den Erkenntnissen des Generalbundesanwalts
hat Mehmet K. die Anschläge angeordnet, nachdem er von seinem Regionalverantwortlichen
Halit Y. zu solchen Aktivitäten angewiesen wurde. Auf der PKK-Landkarte
ist Deutschland nach Angaben der der Generalbundesanwaltschaft in sieben
bis zehn Regionen eingeteilt. Jede dieser Regionen sei in fünf Gebiete
aufgegliedert. Unter diesen Gebieten sei Gießen eines.
„Dazu möchte ich nichts sagen“, antwortete der Gießener
Polizeipressesprecher Sigbert Steffens auf die Anzeiger-Frage, ob es in
der Nachfolge des Mehmet K. auch heute noch einen Gießener PKK-Gebietsleiter
gebe. Er äußerte aber, die Taten die Mehmet K. zur Last gelegt
werden, zeigten, daß es in Gießen „schon immer Aktivisten gegeben
hat“. Dem aktuellen Lagebild der Polizei nach sind die jüngeren von
ihnen „leicht bis stark außer Kontrolle“. PKK-Aktivitäten könnten
in Gießen „sehr offensiv“ ausfallen. Steffens berichtete, daß
die Polizei für die kommenden Tage „auf die schlimmsten Szenarien
eingerichtet ist“. Einerseits stehe, das kurdische Neujahrsfest („Newroz“)
an, bei dem es in früheren Jahren in Gießen zu Ausschreitungen
gekommen ist. Andererseits sei in der Türkei der Prozeßbeginn
für den verhafteten PKK-Führer Öcalan auf den 24. März
festgesetzt worden. Die PKK verbreite gerade, daß er gefoltert wird.
Der Anschlag von Istanbul zeige, welche Qualität PKK-Terror haben
kann: Bewußt und „menschenverachtend“ seien Leute in dem Gebäude
erst in die oberen Stockwerke getrieben worden, um es dann mit Brandbeschleunigern
großflächig in Flammen zu setzen.