Getötet, gefoltert, verschwunden
Im Blickpunkt: Seit Öcalans Verhaftung wächst der Terror
gegen Kurden
Von Edgar Auth (Frankfurt a. M.)
Der türkische Menschenrechtsverein IHD bemüht sich derzeit,
„auf den Beinen zu bleiben“. Das sagte Vedat Cetin, Vorstandsmitglied aus
der Kurdenstadt Diyarbakir, beim Besuch der amnesty international-Gruppe
in Mainz. Das sei angesichts der Verhaftungen von IHD-Mitgliedern seit
der Festnahme von PKK-Chef Abdullah Öcalan nicht leicht.
Der IHD versteht sich als unabhängige Menschenrechtsorganisation,
die nach dem Vorbild von ai handelt. Er wurde weltweit ausgezeichnet, zuletzt
im Januar 1999 in Amsterdam mit der „Bettlermedaille“, dem höchsten
niederländischen Menschenrechtspreis. Der IHD bilanziert und veröffentlicht
Menschenrechtsverletzungen, für dessen typische Erscheinungsformen
er einen Katalog aufgestellt hat. Dieser wird regelmäßig aktualisiert
und verzeichnet für 1998 unter anderem: „167 Morde ,unbekannter Täter’;
103 aussergesetzliche Tötungen, zumeist infolge Folter; 1951 Personen
kamen bei Gefechten ums Leben; 90 Getötete und 164 Verletzte infolge
Angriffen auf Zivilisten; 27 Personen sind verschwunden; 449 Personen wurden
gefoltert; 39 604 Personen wurden in Polizeihaft genommen; 3454 wurden
dann später auch förmlich verhaftet; 848 Personen wurden von
Sicherheitsorganen angegriffen und bedroht; die Bewohner von 30 Dörfern
wurden vertrieben; 17 443 Personen verloren ihren Arbeitspltz aus politischen
Gründen oder wegen gewerkschaftlicher Betätigung...“
Als Öcalan Mitte Februar aus Nairobi in die Türkei verschleppt
wurde, wurden noch in derselben Nacht in Diyarbakir 1320 Menschen festgenommen,
wie der IHD laut Cetin registrierte. amnesty berichtete Anfang März:
„Die Unterdrückung der legalen Opposition durch den türkischen
Staat ist nach Erkenntnissen von ai in den vergangenen Monaten massiv verstärkt
worden.“ Büros der legalen Kurdenpartei Hadep seien durchsucht, Tausende
Mitglieder und Anhänger seit Mitte November - dem Zeitpunkt, als Öcalan
überraschend nach Rom kam - festgenommen worden.
Die meisten Menschenrechtsverletzungen würden aus den unter Ausnahmezustand
stehenden kurdischen Südostprovinzen der Türkei gemeldet, so
ai. Derzeit würden im Wahlkampf Hadep-Veranstaltungen „mit allen Mitteln“
verhindert, meldet die Zeitung Özgür Politika. In der Kurdenprovinz
Mardin seien dabei jüngst 100 Menschen festgenommen worden.
Das Büro des IHD in Diyarbakir wurde von staatlicher Seite schon
vor längerer Zeit geschlossen, erinnert Cetin. Als der PKK-Kommandant
Semdin Sakik 1998 verhaftet wurde, sei behauptet worden, dieser habe ausgesagt,
daß der IHD mit der verbotenen PKK in Verbindung stehe. Sakik
habe dies später öffentlich wiederrufen, sagt Cetin. Nun würden
ähnliche Aussagen Öcalan zugeschrieben. Auch das glaubt Cetin
nicht:
„Der türkische Staat sieht jeden, der sich für Menschenrechte
einsetzt, als Terroristen an.“
Zugleich aber werden die Kurdengebiete abgeriegelt, sodaß unabhängige
ausländische Beobachter nicht einreisen können. So wurde kürzlich
eine Göttinger Delegation in Diyarbakir abgefangen und zurückgeschickt.
Sie berichtete über „ein Klima des Terrors“, in weiten Teilen der
Türkei. Der Eschborner Rechtsanwalt Thomas Matthes erzählte der
FR, wie er vergeblich versuchte, zusammen mit einer Begleiterin nach Diyarbakir
zu gelangen. Er sei auf dem Flughafen von Sicherheitskräften zurückgewiesen
worden, mit der Begründung, ein neues Gesetz verbiete die Einreise
in die Kurdengebiete. Ein solches Gesetz existiere offenbar gar nicht.