Hamburgs Innensenator hart gegen Flüchtlinge
SPD-Koalitionspartnerin GAL unterstützt Kampagne für Abschiebestopp
Die Hamburger Initiative »Zeit für Frieden in Kurdistan«
fordert den SPD-Oberbürgermeister der Hansestadt, Ortwin Runde, dessen
Stellvertreterin aus der GAL-Fraktion, Krista Sager, und die Präsidentin
der Hamburger Bürgerschaft, Ute Pape, SPD, in einem offenen Brief
auf, einen landesweiten Abschiebestopp in die Türkei zu erlassen sowie
sich im Bundesrat für eine entsprechende bundesweite Regelung einzusetzen.
»Abgeschobene Kurden und türkische Oppositionelle können
nicht versuchen, unauffällig in den Metropolen der West-Türkei
unterzutauchen«, heißt es in dem Brief.
»Sie durchlaufen automatisch die polizeilichen Grenzkontrollen.
Hier sind sie aufgrund ihrer Papiere als abgelehnte Asylbewerber identifizierbar.
Beschimpfungen, Verhaftungen und Folter durch die Grenzbehörden sind
häufig die Folge.« Bei der Begründung für die Forderung
nach Abschiebestopp bezieht sich die Initiative auf eine Veröffentlichung
der ehemaligen Bundestagsabgeordneten der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen, Amke Dietert-Scheuer. Diese hatte Fälle von in der BRD
abgeschobenen Kurden dokumentiert, die nach ihrer Einreise in die Türkei
länger als 24 Stunden in Polizeihaft verbrachten, dort gefoltert wurden
oder »verschwanden«. In allen der mehr als dreißig geschilderten
Fälle im Zeitraum von 1994 bis 1998 seien die Angaben der Gefolterten
von Anwälten oder dem türkischen Menschenrechtsverein IHD bestätigt
worden, so Frau Dietert- Scheuer in ihrem Vorwort der Dokumentation. Auffällig
sei, so die frühere Bundestagsabgeordnete weiter, daß die Zahl
der bekannt gewordenen Fälle von Mißhandlungen nach Abschiebungen
in die Türkei im Jahre 1998 weiter gestiegen sei.
Die Kampagne »Abschiebestopp« wird begleitet von einer
Unterschriftensammlung, die Anfang April dem Oberbürgermeister übergeben
werden soll. Für den 1. April ist eine Demonstration von der Ausländerbehörde
zur Innenbehörde geplant.
Auch die Hamburger Grünen, die GAL, unterstützen die Forderung.
»Kurden in die Türkei auszufliegen wäre aus meiner Sicht
Beihilfe zu Folter«, erklärte die migrationspolitische Sprecherin
der GAL- Bürgerschaftsfraktion Susanne Uhl gegenüber jW.
Das sieht Koalitionspartnerin SPD und vor allem der sozialdemokratische
Innensenator, Hartmut Wrocklage, allerdings ganz anders. »Abschiebestopp?
Ohne mich«, so titelte die »Hamburger Morgenpost« (MoPo)
ein Interview mit dem Innensenator. Statt auf Abschiebestopp setze er auf
Einzelfallprüfung, so der Sozialdemokrat. Jede Gefahr von Folter und
Todesstrafe müsse dabei vermieden werden. Dafür gebe es Absprachen
zwischen dem deutschen und dem türkischen Innenminister. Auf die Frage
des MoPo- Redakteurs Günter Beling, ob diese Erklärungen des
türkischen Regimes nicht wertlos seien, antwortete Wrocklage: »Wir
haben die Erfahrungen gemacht, daß sich die türkische Republik
an Absprachen hält.« Blanker Zynismus angesichts der vielen
dokumentierten Fälle von Folter und Verfolgung abgeschobener Kurden
und türkischer Oppositioneller gerade in der jüngsten Zeit (jW
berichtete).
Der türkische Staat habe dabei seine Taktik geändert, erläutert
dazu ein Teilnehmer einer jüngst aus der Türkei zurückgekehrten
Menschenrechtsdelegation. Während früher im europäischen
Ausland abgewiesene Asylbewerber häufig schon an der Grenze verhaftet
wurden, gingen die Grenzbeamten jetzt dazu über, ihnen Dokumente auszustellen,
mit denen sie sich in ihren kurdischen Heimatorten melden sollten. Und
dann, Hunderte Kilometer von Istanbul und Ankara entfernt, würden
sie verhaftet und niemand könne kontrollieren, was anschließend
aus ihnen würde. Trotzdem schieben die deutschen Behörden weiter
ab. Erst am Donnerstag wurden in Hamburg fünf abgelehnte kurdische
Asylbewerber abgeschoben. Laut Christoph Holstein, Pressesprecher der Innenbehörde,
»ganz normale Kriminelle«, nur in einem Fall handele es sich
um einen abgelehnten Asylbewerber. »Nicht einer, sondern alle fünf
waren abgelehnte Asylbewerber«, so die GAL-Abgeordnete Uhl. »Ich
habe Mittwoch abend von der bevorstehenden Abschiebung erfahren. Noch in
der Nacht habe ich für alle fünf eine Eingabe an den Petitionsausschuß
geschrieben, um das zu verhindern. Doch leider hat der Ausschuß diese
Eingabe nicht akzeptiert.« Ein Sprecher der Initiative »Zeit
für Frieden« wertete diese Abschiebungen gegenüber junge
Welt als »absolute Machtdemonstration. Fast so, als wollte Senator
Wrocklage uns zeigen, wer die Macht hat in Hamburg. Eben: Abschiebestopp,
mit mir nicht.«
Birgit Gärtner, Hamburg