Nach Öcalans Verhaftung und einem Anschlag gleicht die Stadt
Van einem Heerlager
Kurdische Kandidaten einfach festgesetzt
Vor den Wahlen wird die PKK-nahe Hadep-Partei massiv behindert –
Keine Chance für Tourismus
VON THOMAS SEIBERT
VAN – Zenun blickt nervös um sich. Auf der „Straße der Republik“
gleich neben dem Teegarten, in dem der junge Mann sitzt, patrouillieren
schwerbewaffnete Soldaten, Panzerwagen mit aufgepflanzten Maschinengewehren
donnern vorüber. Polizisten in Uniform und in Zivil stehen an jeder
Straßenecke, und vor dem Sitz des Gouverneurs ist eine Hundertschaft
der Spezialeinheiten in voller Kampfmontur aufmarschiert.
Soldaten und Polizei gehören in der 225 000 Einwohner zählenden
Provinzhauptstadt Van im Südosten der Türkei zwar schon seit
Jahren zum Stadtbild, doch in jüngster Zeit sind die Sicherheitsaufgebote
noch einmal verstärkt worden:
Seit der Festnahme von PKK-Chef Abdullah Öcalan Mitte Februar
und dem Mordanschlag auf einen Provinzgouverneur in Zentralanatolien in
der vergangenen Woche gleicht Van einem Heerlager.
Vom Verbot bedroht
Auf Leute wie Zenun wirkt das martialische Großaufgebot noch
bedrohlicher als auf andere. Der junge Mann mit Designer-Brille ist Mitglied
in der Provinzleitung der kurdischen Partei Hadep, der die türkischen
Behörden vorwerfen, von der PKK ferngesteuert zu werden. Der Partei
droht das Verbot, obwohl sie in Van und in anderen Städten im Kurdengebiet
eine starke politische Kraft ist.
Auch im Wahlkampf für die Parlaments- und Kommunalwahlen am 18.
April wird die Hadep behindert: Ihr Kandidat für das Amt des Oberbürgermeisters
von Van wurde wie rund 2000 andere Parteifunktionäre im ganzen Land
in den vergangenen Wochen festgenommen; erst seit einigen Tagen ist er
wieder frei.
„Wir sind zwar die stärkste Partei hier, aber das ist noch keine
Garantie, daß wir auch regieren dürfen“, sagt eine Funktionärin.
Bei der Lagebeschreibung klingt auch trotziger Stolz durch: Bei der letzten
Parlamentswahl 1995 erzielte die Hadep in Van nach eigenen Angaben 63 Prozent.
Obwohl die Partei auch in anderen Teilen des vorwiegend kurdisch besiedelten
Südostens der Türkei auf ähnlich imposante Ergebnisse kam,
scheiterte sie an der landesweiten Zehn-Prozent-Hürde und ist deshalb
nicht im Parlament von Ankara vertreten. Diesmal sollen es in Van 65 Prozent
werden, und auch der Bürgermeisterposten soll erobert werden.
Die Region Van in der Nähe der Grenze zu Iran gehört zu jenen
Gebieten in der Türkei, in der fast jeden Tag gekämpft und gestorben
wird. In den noch schneebedeckten Bergen, die die Stadt am Van-See, dem
größten Binnensee der Türkei, von drei Seiten her so malerisch
einrahmen, jagen sich Einheiten der türkischen Armee und der PKK.
Davon künden auch die Straßensperren an den Ausfallstraßen.
Für die PKK gehört Van fest zu „Kurdistan“, dem erträumten
Staatsgebiet für die Kurden – ein Alptraum für viele Türken,
für die eine Aufteilung ihres Staatsgebietes das größte
Unglück wäre. Das Mitleid für die Hadep hält sich außerhalb
ihrer Anhängerschaft denn auch in Grenzen, besonders beim politischen
Gegner – und nicht nur bei den Machthabern in Ankara.
„Von außen hineingetragen“
Bürgermeister Aydin Talay von der islamistischen Tugendpartei,
die mit dem kemalistischen Staat ihre eigenen Probleme hat, gibt jedenfalls
nichts auf die optimistischen Wahlprognosen der Kurdenpartei. „Das schaffen
die nie“, prophezeit Talay. „Die Leute wählen diejenigen, die sich
um sie kümmern – und das sind wir.“ Spaltungstendenzen werden nach
Talays Meinung vor allem vom westlichen Ausland aus und besonders von Italien
und Deutschland in die Türkei hineingetragen.
Van hätte den Frieden bitter nötig. Viele Menschen hausen
in Lehmhütten und müssen sich in den langen Wintermonaten zum
Heizen auf die von der Stadtverwaltung subventionierte Kohle verlassen.
Mit dem atemberaubend schönen Bergpanorama und dem türkisgrünen
See vor der Haustür sowie mit seinen Zeugnissen einer fast 3000 Jahre
zurückreichenden Geschichte hätte die Stadt in normalen Zeiten
zudem die Chance, sich in einen florierenden Urlaubsort zu verwandeln.
Doch damit wird es so lange nichts, wie der Besucher im Flughafengebäude
bei der Ankunft statt von Hotelboten und Reiseleitern von der Militärpolizei
begrüßt wird.