Berliner Zeitung 24.3.99

Die Kläger wollen die Todesstrafe Streng abgeschirmt wartet Öcalan auf seinen Prozeß

Von Frank Herrmann
NICOSIA, 23. März. Es ist ungewöhnliche Fracht, die Marineboote seit Wochen nach Imrali bringen. Kugelsicheres Glas, Sandsäcke, Spezialtechnik für ein abhörsicheres Telefonsystem. Das Zuchthaus wird nicht von gewöhnlichen Aufpassern bewacht, sondern von Elitesoldaten einer Antiterroreinheit. Eine Armada von Kriegsschiffen kontrolliert die Zehn-Meilen-Sperrzone rings um die pinienbestandene Insel im Marmarameer.
Seit fünf Wochen wartet der kurdische Guerillaführer Abdullah Öcalan auf seinen Prozeß. Man weiß inzwischen, daß er in einer dreizehn Quadratmeter großen Zelle sitzt. Er hat fließendes Wasser, darf Radio hören und wird ab und zu auf den kleinen Hof des Hochsicherheitstrakts gelassen.
Aber wann der Prozeß gegen „Apo“ beginnt, ist ungewiß. Ursprünglich hatte der zuständige Staatsanwalt Nuh Mete Yüksel den 24. März genannt. Wahrscheinlich werde der Termin verschoben, heißt es jetzt aus dem Presseamt in Ankara. Türkische Zeitungen brachten eine zweite Variante ins Spiel. Die Verhandlung werde zwar pünktlich starten, aber nicht auf Imrali, sondern in Ankara – ohne Öcalan.
Nationalistischer Druck
Was den PKK-Chef erwartet, ist dagegen hinlänglich bekannt. Er soll sich wegen „Verbrechen gegen den Staat“ verantworten. Generäle und Geheimdienstler, Staatsanwälte und Richter haben fast 14 000 Tatbestände aufgelistet. Zum Beispiel Apos Drohung im kurdischen Fernsehsender Med-TV: „Wir haben die besten Attentäter der Welt.“
Daß die Kläger die Todesstrafe beantragen werden, haben sie bereits angekündigt. Der eigentliche Streit aber wird sich um die Vollstreckung drehen. Das Parlament müßte ein Todesurteil ratifizieren. Das aber hat es seit fünfzehn Jahren nicht gemacht.
Ginge es nach dem Gesetz, wäre ein faires Verfahren durchaus möglich. Das Prozeßrecht ist nach deutschem Vorbild geregelt. Doch die Justiz steht unter dem Druck einer nationalistischen Welle. In den Medien wird der Apo stets mit Beinamen wie Babykiller oder Terrorist versehen.
Daß der Fall vor dem Staatssicherheitsgericht verhandelt wird, entspricht zwar türkischen Gepflogenheiten, aber nicht internationalen Standards. Dem Gericht gehört neben zwei Zivilrichtern auch ein Militärrichter an. Damit ist es nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte weder unabhängig noch unparteiisch.
Ahmet Zeki Okcuoglu, der einem 15köpfigen Team von Anwälten vorsteht, darf nur selten und nur kurz mit Öcalan reden. Alle Gespräche sollen überwacht, das erste nach nur 25 Minuten abgebrochen worden sein. Zwei maskierte Militärs hätten die ganze Zeit dabeigesessen. „Der Richter wollte sie rausschicken. Aber sie haben sich geweigert.  Daran sieht man, wer wirklich das Sagen hat“, sagt ein Anwalt. 



 

Verfahren gegen PKK-Chef Öcalan wegen Hochverrats

ANKARA: Vor dem Staatssicherheitsgericht von Ankara findet an diesem Mittwoch eine weitere Verhandlung gegen den separatistischen Kurdenführer Abdullah Öcalan in Abwesenheit statt. Wie aus türkischen Justizkreisen verlautete, handelt es sich dabei um ein bereits seit anderthalb Jahren laufendes Verfahren wegen Hochverrats.  Konkreter Anklagepunkt sind die Aussagen Öcalans vor drei Jahren in einer Sendung des Privatsenders MED-TV.  Insgesamt laufen gegen Öcalan 15 Verfahren vor verschiedenen Staatssicherheits- und Strafgerichten in mehreren Provinzen. (dpa)