Die Kläger wollen die Todesstrafe Streng abgeschirmt wartet Öcalan auf seinen Prozeß
Von Frank Herrmann
NICOSIA, 23. März. Es ist ungewöhnliche Fracht, die Marineboote
seit Wochen nach Imrali bringen. Kugelsicheres Glas, Sandsäcke, Spezialtechnik
für ein abhörsicheres Telefonsystem. Das Zuchthaus wird nicht
von gewöhnlichen Aufpassern bewacht, sondern von Elitesoldaten einer
Antiterroreinheit. Eine Armada von Kriegsschiffen kontrolliert die Zehn-Meilen-Sperrzone
rings um die pinienbestandene Insel im Marmarameer.
Seit fünf Wochen wartet der kurdische Guerillaführer Abdullah
Öcalan auf seinen Prozeß. Man weiß inzwischen, daß
er in einer dreizehn Quadratmeter großen Zelle sitzt. Er hat fließendes
Wasser, darf Radio hören und wird ab und zu auf den kleinen Hof des
Hochsicherheitstrakts gelassen.
Aber wann der Prozeß gegen „Apo“ beginnt, ist ungewiß.
Ursprünglich hatte der zuständige Staatsanwalt Nuh Mete Yüksel
den 24. März genannt. Wahrscheinlich werde der Termin verschoben,
heißt es jetzt aus dem Presseamt in Ankara. Türkische Zeitungen
brachten eine zweite Variante ins Spiel. Die Verhandlung werde zwar pünktlich
starten, aber nicht auf Imrali, sondern in Ankara – ohne Öcalan.
Nationalistischer Druck
Was den PKK-Chef erwartet, ist dagegen hinlänglich bekannt. Er
soll sich wegen „Verbrechen gegen den Staat“ verantworten. Generäle
und Geheimdienstler, Staatsanwälte und Richter haben fast 14 000 Tatbestände
aufgelistet. Zum Beispiel Apos Drohung im kurdischen Fernsehsender Med-TV:
„Wir haben die besten Attentäter der Welt.“
Daß die Kläger die Todesstrafe beantragen werden, haben
sie bereits angekündigt. Der eigentliche Streit aber wird sich um
die Vollstreckung drehen. Das Parlament müßte ein Todesurteil
ratifizieren. Das aber hat es seit fünfzehn Jahren nicht gemacht.
Ginge es nach dem Gesetz, wäre ein faires Verfahren durchaus möglich.
Das Prozeßrecht ist nach deutschem Vorbild geregelt. Doch die Justiz
steht unter dem Druck einer nationalistischen Welle. In den Medien wird
der Apo stets mit Beinamen wie Babykiller oder Terrorist versehen.
Daß der Fall vor dem Staatssicherheitsgericht verhandelt wird,
entspricht zwar türkischen Gepflogenheiten, aber nicht internationalen
Standards. Dem Gericht gehört neben zwei Zivilrichtern auch ein Militärrichter
an. Damit ist es nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofs für
Menschenrechte weder unabhängig noch unparteiisch.
Ahmet Zeki Okcuoglu, der einem 15köpfigen Team von Anwälten
vorsteht, darf nur selten und nur kurz mit Öcalan reden. Alle Gespräche
sollen überwacht, das erste nach nur 25 Minuten abgebrochen worden
sein. Zwei maskierte Militärs hätten die ganze Zeit dabeigesessen.
„Der Richter wollte sie rausschicken. Aber sie haben sich geweigert.
Daran sieht man, wer wirklich das Sagen hat“, sagt ein Anwalt.
Verfahren gegen PKK-Chef Öcalan wegen Hochverrats
ANKARA: Vor dem Staatssicherheitsgericht von Ankara findet an diesem
Mittwoch eine weitere Verhandlung gegen den separatistischen Kurdenführer
Abdullah Öcalan in Abwesenheit statt. Wie aus türkischen Justizkreisen
verlautete, handelt es sich dabei um ein bereits seit anderthalb Jahren
laufendes Verfahren wegen Hochverrats. Konkreter Anklagepunkt sind
die Aussagen Öcalans vor drei Jahren in einer Sendung des Privatsenders
MED-TV. Insgesamt laufen gegen Öcalan 15 Verfahren vor verschiedenen
Staatssicherheits- und Strafgerichten in mehreren Provinzen. (dpa)