Zweite Newroz-Delegation wieder frei
Augenzeugenbericht belegt erneut Einsatz von BRD-Waffen gegen Kurden
Nachdem am Montag früh bereits die sechsköpfige thüringische
Delegation zum kurdischen Newroz-Fest aus türkischem Polizeigewahrsam
entlassen worden war (jW berichtete), befinden sich jetzt auch die neun
Menschenrechtler aus Schleswig-Holstein wieder auf freiem Fuß. Sie
wurden nach zwei Tagen Polizeihaft in der Nacht vom Montag zum Dienstag
nach Deutschland ausgewiesen. Zu der neunköpfigen Delegation gehörten
auch die PDS- Bundestagsabgeordneten Heidi Lippmann und Carsten Hübner,
die am Dienstag in Bonn gemeinsam mit der ebenfalls während der Newroz-Feiern
in der Türkei inhaftierten Dolmetscherin Gülten Sahin und einer
Mitarbeiterin des Newroz-Delegationsbüros auf einer Pressekonferenz
über ihre Reise berichteten. Lippmann berichtete von zahlreichen Übergriffen
und Razzien in Istanbul auf friedliche Demonstranten sowie auf Organisationen,
die für kurdische Belange eintreten, so unter anderem auch bei der
HADEP-Partei. Aus Gesprächen mit dem türkischen Menschenrechtsverein
IHD hätte man erfahren, daß es seit der Verhaftung von PKK-Chef
Abdullah Öcalan bis zum 20. März bereits mehr als zehntausend
Verhaftungen gegeben habe. Allein am Newroz-Wochenende hätte es wiederum
mehrere tausend Festnahmen gegeben. Am 12.März sei es im Istanbuler
Ortsteil Gazi zu regelrechten Straßenschlachten gekommen, bei denen
viele Menschen erschossen, von Panzern überfahren oder zu Tode geprügelt
worden seien. Nach den Auseinandersetzungen am vergangenen Sonntag seien
ebenfalls zahlreiche Menschen durch Schußwaffen- und Knüppeleinsatz
von seiten der Polizei verletzt worden. Die prokurdisch und demokratisch
orientierte HADEP-Partei ist, so Heidi Lippmann, mehr denn je massiven
Repressionen ausgesetzt. Generell werden prokurdische Organisationen und
Parteien in der türkischen Öffentlichkeit als aus dem Ausland
ferngesteuert diffamiert, womit offenbar der Eindruck erweckt werden solle,
daß es im Lande keine Opposition gegen die Unterdrückung der
Kurden gibt. Ebenfalls aus Anlaß von Newroz hatte Alexander Kauz,
Vorstandsmitglied des Rüstungs-Informationsbüros Baden- Württemberg
(RIB), versucht, nach Diyarbakir einzureisen, wobei er verhaftet und stundenlangen
Verhören ausgesetzt worden war. Bei seinen Verhören im Militärposten
und auf der Gendarmeriestation in Ergani, 70 Kilometer vor Diyarbakir,
seien ihm die vergangenes Jahr aus Wörth (Pfalz) gelieferten neuen
Unimog-Fahrzeuge ebenso wie achträdrige Radpanzer vom Typ BTR-60 aus
ehemaligen NVA- Beständen ins Auge gefallen. Diese Aussage deckt sich
mit zahlreichen bereits vorhandenen Belegen zum Einsatz von aus der Bundesrepublik
gelieferten Waffen in den kurdischen Gebieten. Vor dem Hintergrund der
jüngsten Berichte aus Kurdistan fordert das RIB gemeinsam mit anderen
Friedensorganisationen von der Bundesregierung, einen sofortigen Abschiebestopp
in die Türkei zu verfügen, Druck auf die Türkei auszuüben,
einer politischen Lösung des Kurdistan-Konflikts endlich den Weg zu
ebnen und ein Waffenembargo gegen die Türkei zu verhängen. Bislang
hat die rot-grüne Bundesregierung den Kurs ihrer Vorgängerin
gegenüber der Türkei allerdings nahtlos fortgesetzt: Erst kürzlich
genehmigte sie die Lieferung von U-Booten in die Türkei.
Jana Frielinghaus