Öcalan und Arafat: Zulässiger Vergleich?
Eigener Gesamtstaat nicht aktuell Kurdistan-Diskussion bei
der Aschaffenburger FDP
Mit der Geschichte Kurdistans und den »Perspektiven eines unbekannten
Volks« befaßte sich die Aschaffenburger FDP in einer Mitgliederversammlung.
Gesprächspartner der Liberalen waren drei am Untermain lebende Kurden.
Im neuen türkischen Staat dieses Jahrhunderts dominiert die Ideologie
eines türkischen Einheitsvolkes. Ethnische Minderheiten verlieren
das Recht auf den freien Gebrauch ihrer Sprache, Ortsnamen werden geändert,
Menschen umgesiedelt. Es kommt zu blutigen Aufständen, schließlich
1984 zum ständigen Guerillakrieg zwischen kurdischen Freischärlern
und dem türkischen Militär. Die Führung des Aufstands übernimmt
die Partiya Karkeren Kurdistan (PKK) unter ihrem Führer Abdullah Öcalan.
»Sind die Interessen Öcalans mit denen des Kurdischen Volkes
identisch?«, war die zentrale Frage in der Aschaffenburger Diskussion.
Dazu meinten die Kurden (zwei von ihnen sind deutsche Staatsbürger),
daß die Mehrheit aller Kurden dies wohl mit ja beantworten würde.
Öcalan verkörpere zumindest bei den etwa zwölf Millionen
Kurden in der Türkei »erstmalig die große Hoffnung auf
ein Leben in Freiheit«.
Dennoch sei Öcalan nicht der einzige politische Führer. In
Brüssel gebe es das Kurdische Exilparlament, in dem zahlreiche ethnische
und religiöse Organisationen vertreten seien, darunter auch Frauengruppen.
Alle, auch die PKK, stünden zu Demokratie und Menschenrechten.
Mehrfach wurden von Diskussionsteilnehmern Zweifel an der von der PKK
angewendeten Gewalt und der autoritären Führung der Partei vorgetragen.
Die kurdischen Gäste distanzierten sich persönlich von Gewalt
und Terror, gaben aber zu bedenken, daß es schwer sei, die Emotionen
unterdrückter Menschen bei Anlässen wie dem Kidnapping Öcalans
zu kontrollieren. Die in Deutschland lebenden Kurden hätten noch schnell
zur Besonnenheit zurückgefunden. Öcalan sollte man an seinen
letzten Äußerungen messen: In der Sieben-Punkte-Erklärung
bei seinem Eintreffen in Italien im November 1998 bekenne er sich zu Frieden
und Demokratie, zum politischen Dialog und zu Pluralismus. Vielleicht sei
ein Vergleich mit Palästinenserführer Arafat zulässig, der
heute gegen Gewalt eintrete und ungeachtet seiner früheren Untergrundtätigkeit
mit allen Ehrbezeugungen von den Regierenden in der Welt empfangen werde.
Früher geäußerte Forderungen nach dem eigenen kurdischen
Gesamtstaat seien nicht aktuell. Wie in der Sieben-Punkte-Erklärung
formuliert, strebe man jetzt die Autonomie für die kurdischen Gebiete
unter Wahrung der Grenzen der Türkei an unter Gewährung
aller demokratischen Rechte und Anerkennung der kurdischen Identität,
Sprache und Kultur. Noch bescheidener war einer der Gäste: Für
ihn sei die Einstellung der militärischen Aktionen und die Rückkehr
der Vertriebenen in ihre Dörfer vordringlich, damit das unmittelbare
große Leid der Menschen gelindert werde.