Bei Ausländern in Mecklenburg-Vorpommern wächst die Angst
Ein Libanese nach brutalem Überfall im Koma - In zwei Tagen
drei Gewalttaten Von AP-Korrespondent Lutz Jordan
Schwerin (AP) In Mecklenburg-Vorpommern wächst unter der ausländischen
Bevölkerung die Angst vor gewaltsamen Übergriffen. Binnen zwei
Tagen wurden jetzt drei Ausländer brutal von einer Übermacht
junger Täter zusammengeschlagen und mißhandelt. Am schwersten
traf es in Neubrandeburg einen 21jähriger Libanesen, den vier Angreifer
vor den Augen seiner Freundin nicht nur mit Faustschlägen und Tritten
traktierten, sondern auch lebensbedrohlich am Kopf verletzten. Nach sofortiger
Notoperation lag er am Dienstag noch im Koma. In Greifswald mußten
sich ein Algerier und ein Inder nach Überfällen in ärztliche
Behandlung begeben.
Den tätlichen Angriffen in Greifswald und Neubrandenburg, in deren
Folge bis Dienstag lediglich ein Tatverdächtiger ermittelt wurde,
gingen rechtsextreme Pöbeleien voraus. So hieß es in einem Fall,
«was willst Du Türke hier?». Zum anderen fielen Äußerungen
wie «Scheiß-Ausländer» oder «Ausländer
raus». Polizei und Staatsanwaltschaft üben sich in der Bewertung
der Fälle allerdings in äußerster Zurückhaltung und
räumen lediglich die «Möglichkeit ausländerfeindlicher
Motive» ein. Schwerins Ausländerbeauftragte Anette Köppinger
hingegen spricht von zunehmender Angst unter den Ausländern im Lande.
Diese trauten sich alleine kaum noch in die Öffentlichkeit, nachts
schon gar nicht.
Einen Großteil Schuld an dem offenbar wieder stärker aufflammenden
Ausländerhaß gibt Köppinger der noch immer laufenden CDU-Umfrage
zur doppelten Staatsbürgerschaft. «Diese Aktion hat die ausländerfeindlichen
Kräfte ermutigt», ist ihre Überzeugung. Die Mehrheit der
Bevölkerung habe die Umfrage als Entscheidungsmöglichkeit gegen
Ausländer begriffen. Hinzu kämen die Vorgänge um den Kurdenführer
Abdullah Öcalan. An den Schulen des Landes sei festzustellen, daß
die Nationalitätenbezeichnung «Türke» zu einem üblen
Schimpfwort mutiert sei.
Sozialer Frust und unverantwortliche Meinungsmacher
Köppinger vermutet, daß die weit verbreitete Ablehnung von
Ausländern in einem Land wie Mecklenburg-Vorpommern unmittelbar damit
zusammenhängt, daß diese hier nur einen Bevölkerungsanteil
von unter einem Prozent ausmachen. Man kennt die Ausländer weniger
als normale Nachbarn, die ihrer Arbeit nachgehen, sondern sieht in ihnen
mehr die auf Kosten der Steuerzahler lebenden Asylbewerber, die möglicherweise
einmal Konkurrenten auf dem überstrapazierten Arbeitsmarkt werden
könnten. Der Frust über die eigene unbefriedigende soziale Lage
schlage dann mit dem Zutun unverantwortlicher Meinungsmacher schnell in
Haß gegen die angeblich schuldigen Ausländer um, erläutert
die Ausländerbeauftragte.
Die Angst unter den Ausländern ist allgegenwärtig, erklärt
Koffi Yovogan aus Togo, der in Schwerin in Hilfsgremien für Ausländer
mitwirkt. Besonders schlimm sei, daß «die deutsche Bevölkerung
häufig wegschaut, wenn Ausländer angegriffen, ausgegrenzt und
diskriminiert werden». Es falle den Bürgern offenbar schwer,
Zivilcourage, Toleranz und Akzeptanz zu zeigen. Das Schweriner Innenministerium
verweist seinerseits auf die Landesstatistik, wonach Straftaten mit fremdenfeindlichem
Hintergrund im Vorjahr auf 86 zurückgingen und sich damit im Vergleich
zu 1997 fast halbierten. Auch der Neubrandenburger Oberstaatsanwalt Horst
Müller-Praefcke warnt davor, hinter jeder Gewalttat einen ausländerfeindlichen
Hintergrund zu vermuten.