Politiker in Erklärungsnot
„Warum greift Nato nicht die Türkei an?“
Die neuen Ost-Mitglieder tun sich schwer
Von Klaus Bachmann
Warschau - In den Warschauer Radiostationen stehen am Donnerstag morgen
die Telefone nicht mehr still. Ein Pole mit stark serbisch gefärbtem
Akzent fragt, warum die Nato nicht auch die Türkei bombardiere, um
Autonomie für die Kurden durchzusetzen. Ein Anrufer erklärt,
die Nato-Aktion im Kosovo zeige, „daß die Nato kein Verteidigungsbündnis
mehr ist und mit der UN und der OSZE kein Staat mehr zu machen ist.“ Außenminister
Bronislaw Geremek verteidigt die Aktion: Völkerrecht sei gebrochen
worden, als in Bosnien 200 000 und im Kosovo 2000 Menschen umgebracht worden
seien. Die Intervention sei Rechtens und nur dazu da, Milosevic an den
Verhandlungstisch zu zwingen.
Militärisch wird sich wohl keines der neuen mittelosteuropäischen
Nato-Mitglieder Polen, Ungarn und Tschechien an der Intervention beteiligen.
Budapest vermeidet das aus politischen Gründen mit Rücksicht
auf den Nachbar Serbien und die dort lebende ungarische Minderheit. Warschau
könnte für eine Intervention nur einige wenige Nato-kompatible
Kampfflugzeuge bereitstellen - genau wie Tschechien. Polens Präsident
Aleksander Kwasniewski hat bereits darauf hingewiesen, daß Einheiten
des Landes nur für die Überwachung des Abkommens von Rambouillet
vorgesehen waren - und das kam ja nicht zustande.
Die größten politischen Probleme mit dem Nato-Schlag hat
die Ukraine, die sich in den letzten Wochen stets für eine friedliche
Lösung und gegen eine von der UN nicht gedeckte Nato-Intervention
ausgesprochen hat. Im Kiewer Außenministerium und im Präsidentenpalast
herrschte gestern Schweigen. Das Parlament verabschiedete dagegen eine
Resolution, in der der „atomwaffenfreie Status der Ukraine im Zusammenhang
mit der Nato-Aggression aufgehoben wird“ - eine Erklärung, die allerdings
keine direkten Folgen hat, da die Ukraine ihre Atomwaffen bereits 1994
auf starken westlichen Druck hin an Rußland abgegeben, bzw. vernichtet
hat. Mit Sicherheit hat der Nato-Angriff auf Jugoslawien aber den Kiewer
pro-russischen und anti-westliche Kräften Auftrieb gegeben, umso mehr,
als die nationale und prowestliche Ruch-Partei in mehrere verfeindete Flügel
zerstritten ist. Für den weißrussischen Präsidenten Aleksander
Lukaschenko kommt die Kosovo-Krise dagegen gerade recht.
Waffen fürs Brudervolk?
Einer seiner hohen Berater wurde bereits mit den Worten zitiert, sein
Land schließe eine Rückkehr der an Rußland abgegebenen
Atomwaffen nicht aus. Lukaschenko hat bereits Waffenlieferungen an das
serbische „Brudervolk“ angekündigt.
Lukaschenkos legale Amtszeit läuft in diesem Sommer aus, er hat
sie sich aber mit Hilfe eines verfassungswidrigen Referendums auf zwei
weitere Jahre verlängert. Für ihn bietet die außenpolitische
Polarisierung zum einen die Möglichkeit, innenpolitische und wirtschaftspolitische
Probleme zu überspielen, zum anderen aber auch die Chance, sich mit
noch radikalerer antiwestlicher Rhetorik Sympathien im prorussischen Teil
der Bevölkerung und in der kommunistischen und nationalistischen Öffentlichkeit
in Rußland zu sichern.
Damit haben die Nato-Attacken auf Serbien nicht nur die Lage der pro-westlichen
Bevölkerungsteile und Politiker in der Ukraine und Weißrußland
erschwert, sondern auch die Ostpolitik Polens und Ungarns. Ihre uneingeschränkte
Unterstützung für die Angriffe auf Jugoslawien haben dagegen
die drei pro-westlichen, in die Nato drängenden baltischen Staaten
Lettland, Litauen und Estland erklärt.