Mainpost 30.3.99

Kurdische Familie wurde gestern abgeschoben - Ohne VorwarnungIns Flugzeug nach Istanbul

HASSFURT · Herzzerreißende Szenen spielten sich am frühen Montag morgen in Haßfurt ab, als eine kurdische Familie abgeschoben wurde.

¤ VON JOCHEN BOPP UND KLEMENS ALBERT
Ohne Vorwarnung mußte die seit sieben Jahren in Deutschland lebende Familie in aller Eile ihre Habseligkeiten zusammenpacken, ehe sie von der Polizei zum Flughafen Frankfurt gebracht wurde. Vergeblich protestierten gegen die Abschiebung Mitglieder des Forums Toleranz und Menschenwürde Ebern, der Caritas sowie Kindergärtnerinnen, die von der durch das Landratsamt Haßberge veranlaßten Aktion überrascht wurden.
Allerdings gab es rein rechtlich an der Abschiebung nichts zu rütteln: Der Asylantrag der bereits gut integrierten und beliebten Familie Ay war bereits im vergangenen Sommer abgelehnt worden. Man hoffte auf Duldung. Eine Vermittlung von Landrat Rudolf Handwerker bei Innenminister Beckstein Anfang des Jahres hatte offenbar keinen Erfolg. Warum die Abschiebung nun -trotz angeblich anderslautender Zusagen von Handwerker, der sich seit Sonntag im Urlaub befindet - ohne Vorwarnung erfolgte, begründete eine Sprecherin des Landratsamtes mit einem möglichen Untertauchen der fünfköpfigen Kurdenfamilie. Dies ist teilweise auch so „geglückt“. Denn mit Beginn der Osterferien am Wochenende verreisten die beiden 7- und 8jährigen Kinder zu Verwandten in Deutschland. Die Behörden kennen den Aufenthaltsort (noch) nicht.
Ins Flugzeug nach Istanbul gesetzt wurde mit den Eltern nur das 4jährige Kindergartenkind. Sobald der Aufenthaltsort der beiden Schulkinder bekannt sei, würden auch sie die ungewisse Reise in die Türkei antreten müssen, erklärte Regierungsrätin Sylvia Schindler.
Besonders überrascht zeigte sich auch Roswitha Schmidt, Mitarbeiterin der Caritas-Betreuungsstelle für Asylbewerber im Landkreis. „Ich hab’s nicht geglaubt“, meinte sie in Anspielung auf angebliche Zusicherungen des Landrates Handwerker. Mit ihm hatte im September zusammen mit der Familie Ay, Vertretern der Ausländerbehörde und mit den oben genannten Gruppierungen und Einzelpersonen ein Gespräch stattgefunden. Im Juli war das Asylbewerben endgültig abgelehnt worden. Der Landrat hatte sich bei Innenminister Beckstein stark machen wollen, der Familie ein Bleiberecht zu gewähren. Sein Hauptargument damals war, daß die Familie in Deutschland bereits gut integriert sei. Bis heute zeigt sich, daß die Kinder die deutsche Schule beziehungsweise den Kindergarten mit gutem Erfolg besuchen, deutsch sprechen und vorbildliches Sozialverhalten zeigen. Außerdem hatte Handwerker zugesichert, rechtzeitig darüber zu informieren, wenn er aus München Bescheid wisse. An ihn konnte sich niemand mehr wenden, denn er befand sich am Montag in Urlaub.
Das Ehepaar Ay kam im Spätsommer 1991 über die Schweiz nach Deutschland. Das älteste Kind wurde in der Schweiz geboren, die beiden jüngeren Mädchen kamen in Deutschland zur Welt. Sowohl der erste als auch zwei Folgeanträge wurden abgelehnt. Ende Juli waren die rechtlichen Mittel ausgeschöpft, die Familie mußte die Pässe abgeben und erhielt eine jeweils für zwei Wochen verlängerte Grenzübertrittsbescheingung, verbunden mit einer Halbierung des Taschengeldes. Die beiden Polizeibeamten hatten gestern sichtlich Mühe, die Fassung zu bewahren und die ihnen aufgetragene Aktion durchzuführen.