Kurdische Familie wurde gestern abgeschoben - Ohne VorwarnungIns Flugzeug nach Istanbul
HASSFURT · Herzzerreißende Szenen spielten sich am frühen Montag morgen in Haßfurt ab, als eine kurdische Familie abgeschoben wurde.
¤ VON JOCHEN BOPP UND KLEMENS ALBERT
Ohne Vorwarnung mußte die seit sieben Jahren in Deutschland lebende
Familie in aller Eile ihre Habseligkeiten zusammenpacken, ehe sie von der
Polizei zum Flughafen Frankfurt gebracht wurde. Vergeblich protestierten
gegen die Abschiebung Mitglieder des Forums Toleranz und Menschenwürde
Ebern, der Caritas sowie Kindergärtnerinnen, die von der durch das
Landratsamt Haßberge veranlaßten Aktion überrascht wurden.
Allerdings gab es rein rechtlich an der Abschiebung nichts zu rütteln:
Der Asylantrag der bereits gut integrierten und beliebten Familie Ay war
bereits im vergangenen Sommer abgelehnt worden. Man hoffte auf Duldung.
Eine Vermittlung von Landrat Rudolf Handwerker bei Innenminister Beckstein
Anfang des Jahres hatte offenbar keinen Erfolg. Warum die Abschiebung nun
-trotz angeblich anderslautender Zusagen von Handwerker, der sich seit
Sonntag im Urlaub befindet - ohne Vorwarnung erfolgte, begründete
eine Sprecherin des Landratsamtes mit einem möglichen Untertauchen
der fünfköpfigen Kurdenfamilie. Dies ist teilweise auch so „geglückt“.
Denn mit Beginn der Osterferien am Wochenende verreisten die beiden 7-
und 8jährigen Kinder zu Verwandten in Deutschland. Die Behörden
kennen den Aufenthaltsort (noch) nicht.
Ins Flugzeug nach Istanbul gesetzt wurde mit den Eltern nur das 4jährige
Kindergartenkind. Sobald der Aufenthaltsort der beiden Schulkinder bekannt
sei, würden auch sie die ungewisse Reise in die Türkei antreten
müssen, erklärte Regierungsrätin Sylvia Schindler.
Besonders überrascht zeigte sich auch Roswitha Schmidt, Mitarbeiterin
der Caritas-Betreuungsstelle für Asylbewerber im Landkreis. „Ich hab’s
nicht geglaubt“, meinte sie in Anspielung auf angebliche Zusicherungen
des Landrates Handwerker. Mit ihm hatte im September zusammen mit der Familie
Ay, Vertretern der Ausländerbehörde und mit den oben genannten
Gruppierungen und Einzelpersonen ein Gespräch stattgefunden. Im Juli
war das Asylbewerben endgültig abgelehnt worden. Der Landrat hatte
sich bei Innenminister Beckstein stark machen wollen, der Familie ein Bleiberecht
zu gewähren. Sein Hauptargument damals war, daß die Familie
in Deutschland bereits gut integriert sei. Bis heute zeigt sich, daß
die Kinder die deutsche Schule beziehungsweise den Kindergarten mit gutem
Erfolg besuchen, deutsch sprechen und vorbildliches Sozialverhalten zeigen.
Außerdem hatte Handwerker zugesichert, rechtzeitig darüber zu
informieren, wenn er aus München Bescheid wisse. An ihn konnte sich
niemand mehr wenden, denn er befand sich am Montag in Urlaub.
Das Ehepaar Ay kam im Spätsommer 1991 über die Schweiz nach
Deutschland. Das älteste Kind wurde in der Schweiz geboren, die beiden
jüngeren Mädchen kamen in Deutschland zur Welt. Sowohl der erste
als auch zwei Folgeanträge wurden abgelehnt. Ende Juli waren die rechtlichen
Mittel ausgeschöpft, die Familie mußte die Pässe abgeben
und erhielt eine jeweils für zwei Wochen verlängerte Grenzübertrittsbescheingung,
verbunden mit einer Halbierung des Taschengeldes. Die beiden Polizeibeamten
hatten gestern sichtlich Mühe, die Fassung zu bewahren und die ihnen
aufgetragene Aktion durchzuführen.