Mit den Serben leben
Von Erich Böhme
Da gibt es kein Vertun, es herrscht Krieg auf dem Balkan, in Europa.
Und wir können sagen, wir seien dabeigewesen.
Allen Grund hätte es für uns gegeben, uns nach über
fünfzig Jahren, seit wir blutig und brutal auf dem Balkan eingefallen
waren, aus einem neuen Schießkrieg herauszuhalten. Und auch die Amerikaner
hätten Grund genug gehabt, an sich zu halten. Zu schmählich war
ihr Abgang aus Vietnam, zu lächerlich ihr Operettenkrieg gegen Grenada,
zu hanebüchen der Golfkrieg, den sie gewannen, ohne Sieger über
Saddam Hussein geworden zu sein, zu auffällig ihre humanitäre
Zurückhaltung im Kurdenkrieg und ihre CIA-Beihilfe beim Kidnapping
des PKK-Bosses Öcalan. Den Saddam Hussein brauchten sie einst in ihrer
Auseinandersetzung mit dem Iran, die Türkei als Stützpunkt beim
Bombing Bagdads. Nun also gehören wir zum ersten Mal mit zum amerikanischen
Expeditionskorps, euphemistisch Nato-Einsatz geheißen.
Vieles, wenn nicht alles, hätte gegen den deutschen Beitrag zum
amerikanischen Abenteuer gesprochen, alles gegen das amerikanische Abenteuer.
Kein Zweifel, der Jugoslawe Milosevic ist ein Brutalo, der ohne Zögern
Massenmorde, wenn nicht Völkermord geschehen läßt. Aber
seit wann heilt man einen Irren, indem man auf ihn einprügelt? Die
Uno verweigerte ihre Unterschrift, die Russen, panslawistische Tutoren
der Jugoslawen, drangen auf eine diplomatische Lösung, auch die Franzosen
haben inzwischen kalte Füße. Denn was die Nato mit ihren Raketen-
und Bombenangriffen auf Ziele in Jugoslawien und dem Kosovo (militärische,
unterstellen wir mal) bisher erreicht hat, erweist sich als das Gegenteil
einer Pazifizierung der Region. Die Serben sind hinter Milosevic getreten,
der hat seine "ethnischen Säuberungen" im Kosovo zu einem massenmörderischen
Furioso gesteigert. Je mehr gebombt wird im Sinne der Humanität, desto
mörderischer tobt die Inhumanitas – schlechthin pervers.
Aber voraussehbar. Solange man nicht das Risiko eines großen
Landkriegs eingehen will, helfen Stellvertreter-Einsätze aus der Luft
wenig. Solange man sich nicht ernsthaft mit den Russen um eine Pazifizierung
bemüht und nur mokant lächelnd der Primakow-Mission zuschaut,
ist ein Milosevic nicht kirre zu kriegen, ein Kofi Annan gefesselt und
die Uno zum Kaspertheater degradiert. So blieb denn der demütigende
Gang Primakows nach Belgrad ein Metzgergang mit ebenso vorhersehbarem Ergebnis.
Milosevic hört nicht auf zu morden und zu brandschatzen, solange die
Nato ihre Bomben und Raketen über Belgrad und Pristina ablädt.
Die Nato hört nicht auf zu bomben, solange Milosevic nicht seine
Mördertruppe aus dem Kosovo zurückzieht.
Was kommt danach?
Und was danach kommen soll, weiß nur Slobodan Milosevic. Er möchte
mit allen Mitteln der Gewalt dem Verfall Rest-Jugoslawiens vorbeugen. Gäbe
er nach, sprengte ihm die UCK den Kosovo aus dem jugoslawischen Staatsverband.
Nach seiner kruden Philosophie muß er alsoweitermachen. Was immer
aus dem Himmel auf ihn herabregnen sollte.
Und wie stellen sich die Amerikaner, die Nato, die Deutschen eine Lösung
vor? Nur auf der Basis des Waffenstillstandsabkommens von Rambouillet?
Das die Jugoslawen nichtunterschrieben haben und die UCK-Leute nur im Wissen
darum, daß die Milosevic-Leute nicht unterschreiben. Flösse
nicht Menschenblut in Strömen, die Zwickmühlensituation wäre
grotesk. Und wir können sagen, wir hätten an der Zwickmühle
mitgearbeitet. Und dabeivermutlich nur den dummen Kasper gespielt. Da nützt
es nichts, wenn der Kanzler im Bundeskabinett dekretiert: "Jetzt ist nicht
die Zeit, in der die Mitglieder dieses Kabinetts Fragen nach der Sinnhaftigkeit
des Einsatzes stellen." Hier irrt Schröder, Fragen nach der Sinnhaftigkeit
müssen gestellt werden, jede Minute, Tag und Nacht. Er irrt auch,
wenn er meint, die Nato sei "Teil der deutschen Staatsräson". Und
was ist mit der Uno-Charta? Unverständliche Völkerrechtslyrik?
Schröder, Fischer, Scharping müssen das Kunststück wagen,
zusammen mit den Jugoslawen, den Russen, den Amerikanern, der Uno oder
weiß noch mit wem, einen Schlüssel zu finden, der Jugoslawiens
staatliche Unversehrtheit genauso garantiert wie die Minderheitsrechte
der Kosovo-Albaner, die Absage an Blutrünstigkeiten sowohl auf serbischer
wie auf UCK-Seite. Wenn schon nicht mit Milosevic, mit den Serben müssen
und wollen wir auch in Zukunft leben. Ja, wollen! Diesen Auftrag kann man
mit Bomben und Granaten nicht erfüllen.