Nach Abschiebung - Mutter und Vater in Haft
HASSFURT (JOB)
Das Asylgesuch der in Haßfurt lebenden kurdischen Familie Ay
war nach sieben Jahren immer neuer Anträge abgelehnt worden. Ihre
Abschiebung erfolgte am vergangenen Montag früh von Haßfurt
über Frankfurt nach Istanbul.
Nach dem Stand vom Mittwoch abend befinden sich sowohl Ali Ay als auch
seine Ehefrau Hatice in türkischem Polizeigewahrsam. Bei Ali Ay hatte
man diese Reaktion der türkischen Behörden als ziemlich sicher
vorausgesehen, weil er in der Türkei den Wehrdienst verweigert hatte.
Hatice Ay durfte kurz bei ihrem Vater in Deutschland anrufen.
Die vierjährige Tochter des Paares, die mit ausgeflogen worden war,
wurde auf Anweisung der türkischen Behörden bei Ali Ays Vater
im kurdische Elbistan untergebracht. Der verzweifelte alte Mann rief bei
einer Haßfurter Familie an, weil das völlig verstörte Kind
in wildfremder Umgebung bei dem ihm fremden Mann nur noch weinte.
Aus Zufall nicht abgeschoben wurden die siebenjährige Tochter
und der achtjährige Sohn der Familie. Sie waren bei der Polizeiaktion
am frühen Montagmorgen bei Verwandten und gelten jetzt nach Auskunft
der Behörden als "untergetaucht". Wenn man sie findet, sollen auch
sie abgeschoben werden, hieß es aus dem Landratsamt.
Fränkischer Tag - Hassberge - Samstag, 3. April 1999
Schicksal der Familie Ay ungewiß
Nach der Abschiebung ist das kurdische Ehepaar wohl in türkischem
Polizeigewahrsam
HASSFURT. Die Ungewißheit über das weitere Schicksal der
kurdischen Familie Ay, deren Asylgesuch in der Bundesrepublik nach
sieben Jahren immer neuer Anträge abgelehnt worden war und für
die sich noch im Januar Landrat Handwerker persönlich bei Innenminister
Beckstein eingesetzt hatte (vergeblich, wie man jetzt weiß), hält
an. Ihre Abschiebung am vergangenen Montag früh von Haßfurt
über Frankfurt nach Istanbul hat, wie berichtet, erhebliches Aufsehen
erregt.
Nach dem Stand vom Mittwoch abend befinden sich sowohl Ali Ay als auch
seine Ehefrau Hatice in türkischem Polizeigewahrsam. Bei Ali Ay hatte
man diese Reaktion als ziemlich sicher angesehen, da er in der Türkei
den Wehrdienst verweigert hatte. Hatice Ay durfte für wenige Minuten
bei ihrem Vater in Deutschland anrufen, wobei sie sich — so der ebenfalls
in Deutschland lebende Bruder gegenüber der Ausländerbeauftragten
der Haßfurter Caritas, Roswitha Schmitt, — "sehr vorsichtig" ausgedrückt
haben soll.
Überraschend erreichte am Mittwoch abend eine Haßfurter
Familie ein weiterer Anruf aus der Osttürkei, und zwar aus dem kurdischen
Gebiet Elbistan, in dem bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen
und in dem das einstige Heimatdorf von Ali und Hatice Ay dem Erdboden gleichgemacht
worden ist. Als einziger Anverwandter der Familie Ay lebt dort noch Alis
Vater, ein alter Mann. Dieser war von den türkischen Behörden
aufgefordert worden, die vierjährige Tochter Tilber, die mit den Eltern
ausgeflogen worden war, in Obhut zu nehmen. In völlig fremder Umgebung
und zusammen mit einem ihr wildfremden Mann heulte die Kleine fast ununterbrochen.
Der alte Mann wußte sich nicht anders zu helfen, als in Haßfurt
anzurufen, damit Tilber wenigstens ein paar ihr vertraut klingende deutsche
Worte vernehmen und sich beruhigen konnte. Quasi "illegal" halten sich
in der Bundesrepublik weiterhin die beiden anderen Kinder der Ay's, die
siebenjährige Gülsan und der achtjährige Tahir, auf. Es
war Zufall, daß sie am Montag früh bei der Abschiebeaktion nicht
dabei waren. Die Familie Ay war am Wochenende zu ihren Verwandten gefahren,
und weil die Schulferien begonnen hatten, waren beide dort geblieben. Sie
sind sozusagen "untergetaucht". Wie Regierungsrätin Sylvia Schindler
vom Landratsamt Haßberge mitteilte, ist die Kreisverwaltungsbehörde
im Auftrag des Innenministeriums verpflichtet, nach ihnen polizeilich suchen
zu lassen. "Bisher wissen wir nicht, wo sie sich befinden", sagte sie am
Donnerstag auf Anfrage. Und was geschieht, wenn man sie findet? "Falls
sie sich bei Verwandten aufhalten, wo ordnungsgemäße Zustände
herrschen und ihre Versorgung gesichert ist, brauchen wir das Jugendamt
nicht einzuschalten", sagte Sylvia Schindler. "Aber dann müssen auch
sie abgeschoben werden." Allerdings müsse organisiert und gewährleistet
sein, daß die Kinder am Flughafen in Istanbul auch abgeholt werden.
Falls dies nicht durch die Eltern geschehen könne, müßte
dies über den Kinderschutzbund organisiert werden. Nicht wenige, die
mit dem Fall juristisch betraut sind, glauben, daß dies bedeuten
würde, daß die Kinder, die weit besser die deutsche Sprache
als die türkische beherrschen, wohl in ein Heim kommen. In der zurückliegenden
Woche haben die Kindergartenkinder der Fröbelstraße in Haßfurt
von der Abschiebung mit größter Bestürzung Kenntnis genommen.
Es waren erklärende Gespräche der Kindergärtnerinnen mit
den sichtlich mitgenommenen Kindern erforderlich. In einem großen
Kreis haben die Kinder und die Kindergärtnerinnen für die Familie
Ay gebetet. Gerührt hat, wie er dem FT schilderte, auch einen Vater
das Gute-Nacht-Gebet seines knapp fünfjährigen Sohnes, der zusammen
mit Tilber in einer Kindergartengruppe war und der auch mit Gülsan
ein Jahr lang in dieser Gruppe zusammen war. Es sei aussagekräftiger
als alle Argumente zu Recht, Moral oder Integration: "Papa, die Gülsan
und die Tilber sind in die Türkei gereist. Beide sind meine Freunde.
Ich bin traurig. Lieber Gott, bitte beschütze Gülsan und Tilber
und mach, daß sie bald wieder nach Haßfurt zu Besuch kommen."
Jochen Bopp