Irans Kurden regen sich
Im Gespräch: Parteichef Alizadeh
Von Edgar Auth (Frankfurt a. M.)
Über einen Aufschwung der politischen Aktivität der Kurden
in Iran berichtet der Generalsekretär der linksgerichteten Kurdenpartei
Komala, Ibrahim Alizadeh. Die beiden wichtigsten und lange rivalisierenden
Kurdenparteien dort näherten sich an, erklärte er im Gespräch
mit der FR. Aus seiner Sicht werden die iranischen Kurden künftig
eine größere Rolle in der kurdischen Frage spielen.
Als Mitte Februar der Vorsitzende der türkischen Kurdenpartei
PKK, Abdullah Öcalan, in die Türkei verschleppt wurde, riefen
nach Alizadehs Schilderung sogar die Teheran gegenüber loyalen kurdischen
Abgeordneten im iranischen Parlament zu Protestdemonstrationen in ihren
Heimatprovinzen auf. Dem folgten die Kurden im Nordwesten Irans gerne.
Doch sie forderten nicht nur Freiheit für Öcalan, sondern auch
die eigene Selbstbestimmung - und Arbeit. Es folgte ein überaus brutaler
Einsatz der Polizei und der Revolutionswächter, über den auch
die mit der Komala seit geraumer Zeit zusammenarbeitende Demokratische
Partei Kurdistan-Iran (DPK-I) berichtete. Demnach wurden in den Städten
Urmia, Mahabad, Sanandaj und Kamiran 30 kurdische Demonstranten getötet,
viele verletzt oder festgenommen.
Die Arbeitslosigkeit liegt dort nach Alizadehs Angaben bei 30 Prozent
und damit weit über iranischem Durchschnitt. Es gebe im kurdischen
Teil Irans weder Eisenbahn noch nennenswerte Industrie. Zigtausende Arbeiter
gingen saisonweise in andere Landesteile, andere schlügen sich in
kleinen Werkstätten mit schwerer Arbeit durch. Das Gesundheitssystem
sei sehr primitiv. Die Analphabetenrate liege weit über dem Landesdurchschnitt.
Die Mehrheit der etwa fünf bis sechs Millionen Kurden in Iran
bezeichnete Alizadeh als "politisiert". Sie orientierten sich an der DPK-I
oder der Komala. Teheran reagiere mit brutaler Repression. Seit Jahren
gleiche das Gebiet einem militärisch besetzten Land. Viele politisch
Aktive seien nach Irak geflohen. Dort wurden nach Alizadehs Angaben in
den vergangenen vier Jahren 400 Exilanten aus Iran ermordet. Auf jeden
einzelnen sei ein Kopfgeld ausgesetzt, wobei Oppositionelle "teurer" seien
als andere.
Den Aufschwung des politischen Bewußtseins bringt Alizadeh mit
der Regierung Mohammad Khatamis in Verbindung. Doch sei die Fraktion des
iranischen Präsidenten nicht Ursache des Wandels, sondern dessen Folge.
"Die politische Situation in Iran wird so werden, daß auch ein Khatami
nicht mehr reicht. Es muß ein noch Liberalerer kommen", sagt er.
Die Teuerungsrate sei weiter gestiegen, ebenso die Arbeitslosigkeit. Der
Terror gegen Oppositionelle sei derselbe wie vorher. "Aber die Leute haben
mehr Mut, sie machen etwas", spielt er auf eine seit Monaten anwachsende
Bewegung an.
Dabei seien für die Kurden soziale und allgemein-politische Fragen
wichtiger als staatliche Unabhängigkeit. Auch die Komala träumt
nicht von einem Großkurdistan aus Teilen der heutigen Türkei,
Syriens, Iraks und Irans. Alizadeh wünscht sich "ein besseres Leben
für die Kurden", sicher und gleichgestellt mit den anderen Arbeitern
in den jeweiligen Ländern. "Ein Großkurdistan unter einer
zurückgebliebenen kurdischen Diktatur wäre ein größerer
Schicksalsschlag als das, was wir jetzt haben", fügt er hinzu.
Dennoch beteilige sich die Komala an der Planung zu einem Kurden-Kongreß
für mehrere Länder, zusammen mit der PKK und der nordirakischen
PUK. Die PKK hält Alizadeh nicht für geschlagen, denn sie sei
mehr als eine Organisation, sie sei eine Bewegung in der Türkei. Wenn
die PKK angesichts der aktuellen türkischen Angriffe Hilfe suche,
sei weniger die Komala gefragt: "Die haben so gute Beziehungen zur iranischen
Regierung, daß sie uns nicht brauchen." Und: "Bewaffneter Kampf ist
wie ein zweischneidiges Schwert. Die eine Seite schneidet den Kopf des
Feindes ab, die andere die eigene Hand."