Will türkische Regierung Bodentruppen nach Kosovo schicken?
jW sprach mit Alexander Kauz, Mitarbeiter des Rüstungs- Informationsbüros
Baden-Württemberg
F: Sie sind vor wenigen Tagen aus der Türkei zurückgekehrt,
wo Sie im Auftrag der bündnisgrünen Bundestagsfraktion waren.
Wie beurteilen Sie die Situation in den kurdischen Gebieten?
Meine Gesprächspartner vermittelten mir ein Bild, das ich von
früheren Aufenthalten in den kurdischen Gebieten kannte. Die türkischen
Sicherheitskräfte gehen weiter mit aller Brutalität gegen die
Kurdinnen und Kurden vor, die für ihr Volk die Stimme erheben. Die
nach der Verhaftung Öcalans von Ministerpräsident Ecevit angekündigten
Verbesserungen bleiben eine propagandistische Farce. Vertretern der prokurdischen
Parteien HADEP und BDP ist es unmöglich, Wahlkampf zu führen:
Wahlkampfveranstaltungen im Südosten des Landes werden von den Sicherheitskräften
aufgelöst, Teilnehmer wahllos verhaftet. Von Istanbul bis in die Städte
des Südostens wurden kurdische Aktivisten zu Tausenden verhaftet.
Newroz-Kundgebungen wurden mit aller Gewalt, bis hin zum Schußwaffengebrauch,
im Keime erstickt. Daß eine von der Staatsführung angekündigte
Versöhnung mit den Kurden nicht eingesetzt hat, sondern genau das
Gegenteil zu beklagen ist, zeigt folgende Tatsache: Im ganzen Land waren
Plakate mit dem in Handschellen vor der türkischen Fahne stehenden
Öcalan aufgehängt - eine pure Provokation der türkischen
Staatsführung.
F: Wie sieht es mit dem inzwischen auch von der rot- grünen BRD-Regierung
abgestrittenen, vertragswidrigen Einsatz deutscher Waffen in den kurdischen
Gebieten aus?
Ich wurde am Militärkontrollpunkt zwischen Maden und Ergani, nordwestlich
der kurdischen Großstadt Diyarbakir, von Sicherheitskräften
festgesetzt. Dort fielen mir die vergangenes Jahr neu gelieferten Daimler-Benz-Militärunimogs
auf. Außerdem sah ich die aus der Bundesrepublik so zahlreich gelieferten
Kalaschnikow- Schnellfeuergewehre und die in Lizenz gebauten NATO-G3- Gewehre
von Heckler & Koch. Im Gendarmerieposten Ergasi konnte ich dann noch
zwei der bekannten BTR 60- Schützenpanzer sehen. Niemand in der deutschen
Regierung sollte behaupten, daß diese Waffen nicht eingesetzt werden;
damit würden Schröder und Fischer nur die Lügen der Vorgängerregierung
wiederholen. Einer meiner Gesprächspartner sagte: »Wir wissen,
daß Ecevit schamlos lügt. Und ihr wißt es auch. Nur gelten
bei euch andere Interessen: Deshalb wollt ihr nicht wahrnehmen, daß
diese Waffen uns tagtäglich bedrohten. Das Wichtigste, was ihr in
Deutschland für uns machen könnt, ist zu verhindern, daß
weiter Waffen geliefert werden. Sonst erwarten wir von der deutschen Regierung
nichts«.
F: Sehen Sie im Moment Wege zu einer politischen Lösung des Konflikts?
Leider nur wenige. Egal, wer in der Türkei nach den Wahlen Ende
April die neue Regierung bildet - Veränderungen könnten nur mittels
politischen Drucks seitens der Europäer erreicht werden. Doch die
Europäer haben gegenüber der Türkei keine einheitliche Linie.
Die partiellen Interessen sprechen dagegen, sich auf eine konsequente Menschenrechtspolitik
zu verständigen. Zuallererst müßten die Europäer Kurden
als Konfliktpartei,
als eine legitime Konfliktpartei, anerkennen. Davon sind wir heute
meilenweit entfernt. Auch steht der augenblickliche Krieg im Kosovo jeglicher
politischen Initiative für Kurden im Wege. Und die Türkei ist
viel stärker, als es hierzulande wahrgenommen wird, in diesen Krieg
involviert. Während meines ganzen Aufenthaltes wurde von offizieller
Seite über die Dringlichkeit, türkische Bodentruppen in das Kosovo
zu entsenden, diskutiert. Die türkische Generalität fiebert geradezu
einem Waffengang entgegen.
F: Die kurdische Bevölkerung ist damit konfrontiert, daß
die NATO im Kosovo unter dem Hinweis eingreift, es müsse eine humanitäre
Katastrophe verhindert beziehungsweise unterbunden werden, während
seit 15 Jahren in Kurdistan ein Krieg tobt, in dessen Folge mehrere tausend
Dörfer vom türkischen Militär niedergebrannt und zerstört
wurden, nach Schätzungen über drei Millionen Menschen zu Flüchtlingen
geworden sind, ohne daß hier ernsthaft von außen eingegriffen
wurde - es sei denn in konfliktanheizender Weise, indem sogar die türkische
Seite in den letzten Jahren von den NATO-Partnern USA und Deutschland massiv
ausgerüstet wurde? Haben sich Ihre Gesprächspartner dazu geäußert?
Jede Kurdin, jeder Kurde, die ich in den zurückliegenden Tagen
gesprochen habe, stellte mir die Frage: »Warum Kosovo und nicht wir?«
Die Kurdinnen und Kurden nehmen sehr schmerzhaft zur Kenntnis, daß
die von der NATO propagandistisch hervorgehobenen Menschenrechte für
sie scheinbar keine Gültigkeit besitzen. Die Menschen sind enttäuscht,
wütend und begreifen diese Schizophrenie in der Politik der NATO-Länder
kaum. Allerdings nannten die Parteivertreter in den Gesprächen ganz
klar die geostrategischen Interessen der NATO, die einer Unterstützung
ihres berechtigten Anliegens im Wege stehen. Für die Kurden macht
sich die NATO im doppelten Sinne unglaubwürdig. Es ist verständlich,
daß sie keine Sympathie für dieses überkommene und aggressive
Militärbündnis haben.
Interview: Thomas W. Klein