Die Kurdin A. - dreimal in Haft und immer wieder vergewaltigt
Ein Istanbuler Rechtshilfebüro setzt sich für Frauen ein,
die von Polizisten und Soldaten sexuell mißbraucht wurden
Von Dieter Balle (Istanbul)
Eren Keskin ist eine mutige Frau. Die 39jährige Rechtsanwältin
ist als Vize-Vorsitzende des türkischen Menschenrechtsvereins IHD
schon länger Morddrohungen ausgesetzt - vor allem jetzt, da sie die
Verteidigung von PKK-Chef Abdullah Öcalan mit übernommen hat.
Vor eineinhalb Jahren gründete sie ein Rechtshilfebüro für
von Polizei- und Armeeangehörigen sexuell mißhandelte Frauen.
Nur wer die oft willkürlich ausgeübte Macht türkischer
Polizisten und Militärs kenne, könne ermessen, was es bedeute,
ihre Verbrechen vor Gericht zu bringen, heißt es in Menschenrechtskreisen.
Genau das versucht Eren Keskin gemeinsam mit ihrer Berliner Kollegin Jutta
Hermanns in zwei kleinen Büroräumen ohne Türschild im Istanbuler
Touristenviertel Sultanahmed, unweit der Blauen Moschee. Seit August 1997
haben sie hier 90 Schicksale mißbrauchter Frauen aufgenommen und
in den meisten Fällen Anzeige erstattet.
Bei einem Drittel der Fälle handelt es sich um Vergewaltigungen,
bei nahezu zwei Dritteln um sexuelle Folter und Mißhandlungen anderer
Art. Dies sei eine Methode der Kriegsführung, sagt Hermanns.
Immer sei auch die Zerstörung der weiblichen Identität beabsichtigt.
Dabei seien die Frauen oft nicht einmal selbst angeklagt: Man wolle durch
die sexuelle Mißhandlung der Frauen und Mädchen, oft in Anwesenheit
der Männer, nicht selten ihre Verwandten oder Freunde „zum Sprechen
bringen“.
In bisher 77 der dokumentierten Fälle waren die Täter Polizisten.
Die Tatorte sind Gendarmerie- und Polizeistationen sowie Gefängnisse
im ganzen Land. Mehr als zwei Drittel der betroffenen Frauen waren Kurdinnen.
Leider aber, so bedauert Hermanns, sei es bislang nicht gelungen, eine
Zweigstelle des Rechtshilfebüros in der Kurdenmetropole Dyarbakir
zu eröffnen.
Wie berechtigt die Angst der Frauen ist, zeigt der Fall der Kurdin
Meral A. Als 17jährige 1994 in Dyarbakir festgenommen, wurde
sie in Polizeihaft schwer gefoltert und von Polizisten vergewaltigt. Lange
Zeit konnte sie mit niemandem über das Erlebte sprechen. Drei Jahre
später wurde sie in Istanbul erneut festgenommen und gefoltert. Dann
kam sie zum Rechtshilfebüro und erstattete Anzeige, berichtet Jutta
Hermanns. Sie wollte die Türkei verlassen, sei aber kurz vor der Ausreise
in Istanbul erneut verhaftet worden. Sieben Tage lang sei sie als unregistrierte
Gefangene mit verbundenen Augen festgehalten und jeden Tag vergewaltigt
worden. Jetzt befinde sie sich im Ausland.
Die türkische Staatsanwaltschaft indes stellte trotz der Anzeige
des Rechtshilfe-Projekts das Verfahren ein - eine Erfahrung, die Eren Keskin
und ihre Kolleginnen häufig machen.
Daß die türkische Justiz jedoch auch bei Fällen mit
klarer Beweislage Freisprüche erläßt, zeigt laut Jutta
Hermanns das Schicksal von Sükran A., einer von bislang sechs Fällen,
die das Istanbuler Rechtshilfebüro bis vor den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof
brachte. Dort wurde die Türkei rechtskräftig verurteilt. Doch
das hinderte das Strafgericht im kurdischen Mardin nicht, den wegen Vergewaltigung
angeklagten Gendarmerie-Offizier freizusprechen. „Die rechtlichen Regelungen
in diesem Land haben nur für eine mit Gewaltbefugnissen ausgestattete
Minderheit Geltung“, umschreibt Eren Keskin ihre Erfahrungen mit der türkischen
Justiz.
Gelingt ihnen die Flucht in Ausland, haben die Frauen oft neue Probleme
bei der Asylantragstellung und der Anhörung. Diese birgt nämlich,
so die Erfahrung Jutta Hermanns’, „unendlich viele Situationen der Retraumatisierung
und Demütigung“. Die meisten Frauen erlebten dabei ihre Foltersituation
in der Erinnerung erneut. Eine sorgfältige Vorbereitung solcher Anhörungen
zusammen mit Vertrauensanwältinnen und -dolmetscherinnen sei deshalb
unerläßlich, fordern die beiden Anwältinnen.