Wenn KD Niewind ermittelt
Die Berliner Polizeibehörden gehen rigoros gegen juristische
und ärztliche Berater von Asylbewerbern vor
Von Ullrich Fichtner (Berlin)
Die Ereigniskette einer Abschiebung hat die immergleichen Glieder.
Sie beginnt, wenn es einen Mann, ein Kind, eine Familie aus tausenderlei
Gründen in die Fremde verschlägt, die sie über tausend legale
und illegale Trampelpfade der weltweiten Wanderung erreichen. In der Fremde,
in Deutschland, beginnen bald die „Verfahren“: Zuerst der Asylantrag, der
meist binnen Monatsfrist ablehnend beschieden wird, stereotyp, im trockenen
Ton des Formulars. Oft folgen weitere Anträge auf Asyl, irgendwann
bleibt nur noch ein Antrag auf Duldung, der irgendwann im Geschäftsgang
der Behörden versickert. Ein, zwei, drei Jahre nach dem ersten Asylantrag
verdichten sich die Ereignisse, das heißt: Sie beginnen, sich dramatisch
zu überstürzen.
Polizei, Zugriff, Abschiebehaft, die manchmal Monate dauert, manchmal
nur Wochen, dann steht der Tag der erzwungenen Ausreise fest. Er ist zugleich
der Tag der Gerichte. In wenigen Stunden spielt sich das Folgende ab: Ein
Anwalt zieht gegen die Abschiebung vor das Verwaltungsgericht, das Gericht
lehnt den Antrag fast immer ab. Der Anwalt zieht weiter zum Oberverwaltungsgericht,
das Gericht lehnt den Antrag fast immer ab. Unter der letzten Entscheidung
steht der Satz: „Dieser Beschluß ist unanfechtbar.“ Rasend schnell
geht das alles vonstatten, verhandelt wird per Telefon und Fax, auf den
Blättern steht, hastig hingeschmiert: „Eilt!“, „Bitte sofort vorlegen!“.
Und sofort nach dem letzten Verfahrensschritt sitzt der „Schübling“
im Flugzeug, kehrt zurück in die Heimat, die keine mehr ist.
Auch der kurdische Junge Burhan S. durchlief diese Verfahren. 14 oder
15 Jahre alt war er, als er in Berlin auftauchte und erzählte, seine
Mutter sei tot, sein Vater sitze in der Türkei im Gefängnis.
Mit 16 schon kannte er zwei Berliner Abschiebegefängnisse von innen
und bald darauf strandete er wieder in der Türkei. Heute, da er eben
17 geworden ist, verliert sich seine Spur. Man weiß noch, daß
er im vergangenen Sommer, nach der Ankunft in Izmir, als „Notfall“ in ein
Krankenhaus kam, man weiß, daß er verlegt wurde in eine psychiatrische
Klinik in der Nachbarstadt Manisa. Seitdem weiß man nichts mehr und
will auch nichts wissen. Der Fall Burhan S. ist erledigt. So steht es jedenfalls
auf die Akten gestempelt, die die Behörden über ihn anlegten.
Ein Einzelfall, wie immer. Betreut von einzelnen Helfern, von Anwalt
Andreas Günzler, vom Arzt Eberhard Vorbrodt, von Leuten des Berliner
Flüchtlingsrats, von anderen kleinen Initiativen, deren beharrliche
Knochenarbeit darauf zielt, daß kein Mensch als illegal empfunden
und erledigt wird. Sand in einem Getriebe wollen sie sein, das allzu gut
geölt menschliche Schicksale abfertigt, die Ruhe eines routinierten
Geschäftsgangs wollen sie stören. Derzeit wird in Berlin der
Beweis erbracht, daß ihnen das ganz gut zu gelingen scheint: Die
Behörden fühlen sich gestört. Deshalb haben sie nach Burhan
S.s Abschiebung die Amtsschimmel gesattelt und reiten gegen die Menschenfreunde
an. Prompt haben sie sich dabei in einen „Fall Vorbrodt/Günzler“ vergaloppiert.
Der Arzt - Vorbrodt - und der Anwalt - Günzler - besuchten Burhan
S. am Tag seiner Abschiebung in der Zelle. Am Gefängnistor hatte
Günzler Vorbrodt als seinen Mitarbeiter vorgestellt, beide hatten
sich die üblichen Besucherschilder mit dem Aufdruck „Rechtsanwalt“
angesteckt - und sie fanden den jungen Kurden in jämmerlichem Zustand
vor. Apathisch, regungslos stand er im Türrahmen zum Naßraum
seiner Zelle. Anwalt und Arzt schien er nicht zu erkennen, minutenlang
„verharrte er in völliger Körperstarre“, sein Leib war übersät
mit Kratzspuren und blauen Flecken.
Eberhard Vorbrodt beobachtete dies und kam als Arzt zu dem Schluß,
Burhan S. sei offenkundig psychisch erkrankt und suizidgefährdet;
er bedürfe dringend stationärer Hilfe; er sei nicht haftfähig;
seine Reisefähigkeit sei „absolut zu verneinen“. Vorbrodt schickte
Kopien dieses Berichts an die Innenverwaltung, die Ausländerbehörde,
den polizeiärztlichen Dienst, die Ärztekammer, es half nichts.
Das Verwaltungsgericht glaubte seiner Schilderung nicht und folgte statt
dessen der dreizeiligen Expertise eines Polizeiarztes, der kein Wort der
Begründung verlor. Burhan S. wurde abgeschoben. Und Eberhard Vorbrodt
bekam bald überraschende Post.
Per Formblatt wurde ihm mit Datum vom 4. 9. 1998 von der Polizei mitgeteilt,
daß gegen ihn wegen „Hausfriedensbruchs und Amtsanmaßung“ ermittelt
werde. Tatzeit: der Tag von Burhan S.s Abschiebung, Tatort: das Abschiebegefängnis.
Es ging wohl um das Schildchen „Rechtsanwalt“. Mit Datum vom 12. 10. 1998
schrieb die Polizei, daß ihm für die Abschiebegefängnisse
Köpenick und Tiergarten Hausverbot erteilt werde und ihm im Fall der
Zuwiderhandlung „unmittelbarer Zwang“ drohe. Am gleichen Tag erhielt auch
die Ärztekammer Post von der Polizei mit der Aufforderung, sie möge
ihr Mitglied Eberhard Vorbrodt mit „standesrechtlichen Sanktionen“ doch
bitte endlich zur Ruhe bringen. Und auch die Anwaltskammer bekam ein Beschwerdeschreiben
des Polizeipräsidiums, in dem Schritte gegen den unbotmäßigen
Anwalt Günzler gefordert wurden.
In der Regel unterzeichnete, hochachtungsvoll, „KD Niewind“ diese Briefe,
ein Kriminaldirektor, der offenkundig Spaß an der Sprache hat. Das
Hausverbot gegen Vorbrodt begründete er, lustvoll fast, auf drei eng
beschriebenen Sei- ten. Vorbrodt habe sich des „konspirativen Einschleichens“
schuldig gemacht, habe sich - das ist als Vorwurf zu verstehen - bemüht,
eine Abschiebung zu verhindern, habe in diesem Bemühen - das wird
gleich mehrfach moniert - „verantwortliche Persönlichkeiten des öffentlichen
Dienstes“ behelligt und habe, kurzgefaßt, am Tag der „Tat“ „eine
konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit“ dargestellt.
Aber damit nicht genug. Der Kriminaldirektor schreibt weiter: „Es ist
amtsbekannt, daß Sie sich als Arzt in dem sogenannten Flüchtlingsrat
Berlin als Sprecher der Arbeitsgruppe Medizin und Soziales gerieren.“ „Gerieren“?
„Sogenannter“ Flüchtlingsrat, immerhin ausgezeichnet mit dem Heinemann-Bürgerpreis.
KD Niewind versteigt sich. Er findet, daß es „keiner weiteren Erörterung“
bedürfe, „inwieweit Sie als ehemals praktizierender Arzt für
Frauenheilkunde und Geburtshilfe zu einer ernsthaften Stellungnahme . .
. medizinisch befähigt sind“. Und: Die „Zwangsmittelandrohung“ sei
nötig, „um jeden Versuch Ihrerseits, sich wiederum unter einer Legende
einzuschleichen, zu unterbinden“. Niewind schreibt noch andere Sachen,
versteckte Gemeinheiten, setzt Anführungszeichen, wo keine hingehören,
und Provokationen, die ihm nicht zustehen; er giftet, im Namen des Polizeipräsidenten.
Eberhard Vorbrodt legt gegen die Briefe und Anordnungen Widerspruch
ein. Die Ermittlungsverfahren, alle Ermittlungsverfahren werden eingestellt.
Kein Hausfriedensbruch, keine Amtsanmaßung, kein Mißbrauch
von Titeln. Die Staatsanwaltschaft findet die Vorwürfe lachhaft. Das
Hausverbot für die Abschiebegefängnisse besteht indes noch immer.
Ausgefertigt von KD Niewind, inzwischen auf dem Schreibtisch des Innensenators
gelandet. Seine Sprecherin Isabelle Kalbitzer sagt, „das Hausverbot bleibt
bis auf weiteres bestehen“. Und sie sagt: „Das ist alles, was ich Ihnen
im Moment dazu sagen kann.“ Der Rest ist Verschweigen.