Logik außer Kraft gesetzt
Brief aus Belgrad: Bitterer als die NATO-Bomben sind die Lügen
Seit mittlerweile mehr als zwei Wochen ist das gesamte Gebiet Jugoslawiens
unter dem Vorwand, die nationalen Interessen der USA zu schützen und
eine »sich abzeichnende« humanitäre Katastrophe zu verhindern
- genau diese wurde aber in einem viel größeren Ausmaße
geschaffen -, den Bombenangriffen der NATO ausgesetzt.
Schlimmer noch als die Bomben auf unser Land ist die Tatsache, daß
praktisch alle Darstellungen in BBC, CNN und anderen ausländischen
Fernsehanstalten, die die Aggression gegen Serbien rechtfertigen sollen,
Erfindungen sind - so wie es bereits früher in Kroatien und Bosnien
der Fall war. Die Galerie der Fälschungen ist enorm. An Nazi-Propaganda
erinnernd, werden immer neue Anklagen gegen die Serben vorgebracht: ethnische
Säuberung, paramilitärische Todesschwadrone, humanitäre
Katastrophe und Genozid sind die medialen Schlagworte. Und wenn die Lügen
und Anklagen Hunderte Mal wiederholt werden, beginnt die Öffentlichkeit,
sie zu glauben.
Die USA versuchen, ihre Truppen in unserem Land zu stationieren und
unsere Unabhängigkeit zu vernichten, um den ganzen Balkan unter ihre
Kontrolle zu bringen. Das eigentliche Ziel dieses Kriegsspieles ist allerdings
Rußland, dessen Öl-, Gold-, Eisen-, Gas- und Diamantenvorräte
in Sibirien in den Augen westlicher Kapitalgesellschaften glänzen.
Als Rechtfertigung für den Druck und die massiven Angriffe auf unser
Land wurde - bezugnehmend auf US- Präsident Clinton und seine Außenministerin
Albright - angeführt, eine humanitäre Katastrophe zu verhindern.
Dabei hat es in den westlichen Medien nie eine Rolle gespielt, daß
nach wie vor mehr als 700 000 serbische Flüchtlinge aus Kroatien und
Bosnien in Serbien leben - mehr als fünf Jahre, nachdem sie unter
anderem mit US-Bomben und Cruise Missiles aus ihren Häusern vertrieben
worden sind.
Clinton behauptet, daß im Kosovo mehr als 2 000 Kosovaren (eine
neue ethnische Gruppe, die von Orwell- Medien des Westens geschaffen wurde,
um die Ziele der ethnischen Albaner im Kosovo zu bekräftigen) vor
den NATO-Luftangriffen getötet wurden, von Serben natürlich.
Die Wahrheit ist das genaue Gegenteil: Die Sicherheitskräfte werden
seit Jahren von paramilitärischen albanischen Guerillagruppen angegriffen.
Diese haben ihre Attacken auf serbische Zivilisten ausgeweitet, um die
serbische Bevölkerung komplett aus dem Kosovo zu vertreiben. Doch
die Argumente der USA für eine Intervention in Jugoslawien sind kaum
vereinbar mit der Weigerung Washingtons, Truppen zu entsenden, um die Ermordung
von 500 000 Menschen in Ruanda zu stoppen. Und warum bombardiert die NATO
nicht ihr Mitgliedsland Türkei, wo in den vergangenen Jahren Zehntausende
Kurden getötet wurden und deren Regierung verneint, daß es 25
Millionen Kurden in ihrem Land gibt? Warum, wenn wir wirklich über
eine humanitäre Katastrophe sprechen wollen, interveniert beispielsweise
Großbritannien nicht in Indien, nachdem es das Land 300 Jahre lang
verwüstet hat? Hunderte Millionen Inder leben in bitterer Not und
sterben an den elenden Bedingungen, die zurückgeblieben sind, nachdem
die weißen Kolonialherren das Land verlassen haben. Das ist eine
wirkliche humanitäre Katastrophe.
»Ethnische Säuberer« ist ein neugeschaffenes Wortgeschoß,
daß unterschiedslos auf alle Serben abgefeuert wurde. Paradoxerweise
gehört »Der letzte Mohikaner« von James Fenimore Cooper
zum zentralen Bestandteil des kulturellen Erbes der USA. In dem Buch erzählen
stolze Amerikaner, wie sie die indianischen Ureinwohner ausgerottet haben.
Keine Regel der einfachen Logik bildet derzeit noch eine Grenze für
antiserbische Anschuldigungen. CNN kritisiert, wie sie es nennen, die »exzessive
Präsenz« serbischer Truppen im Kosovo. Dabei hat die NATO derzeit
über 450 hochentwickelte Kampfflugzeuge sowie Cruise Missiles im Einsatz,
um unser kleines Land zu (Foto: Einwohner Belgrads sichern seit Tagen als
»lebende Schutzschilde« die Brücken in ihrer Stadt) bombardieren
und ihre Truppen im Herzen Serbiens zu stationieren. Um die Intensivierung
der Bombenangriffe vor der Öffentlichkeit rechtfertigen zu können,
beschuldigt die NATO nun die Serben, für die Masse von albanischen
Flüchtlingen verantwortlich zu sein. Ein Großteil dieser Flüchtlinge
ging nach Mazedonien und Albanien - aber Albaner wie Serben fliehen aus
Angst um das nackte Leben vor den NATO- Bomben. CNN hat bislang nicht ein
einziges Mal darüber informiert, daß auch Tausende Serben aus
dem Kosovo in nördlichere Gebiete Serbiens fliehen. Die NATO braucht
Flüchtlinge, also hat sie sich welche geschaffen. Die NATO hatte den
Führern der albanischen Separatisten mit Aufrufen an die Kosovo-Albaner
geholfen, die Provinz zu verlassen, damit sie die militärischen Positionen
der jugoslawischen Armee bombardieren kann. Und nun gebiert sich die Kriegsallianz
als Mutter Teresa.
Die Ziele der Bombardierungen in Jugoslawien reichen von militärischen
Einrichtungen bis hin zu verschiedenen zivilen Objekten: Systematisch werden
die wichtigsten Brücken über die Flüsse zerstört, Elektrizitäts-
und Heizkraftwerke, Raffinerien sowie Telekommunikationseinrichtungen angegriffen.
Sie wollen uns komplett zerstören, weil wir uns entschieden haben,
für unsere Heimat zu kämpfen. Und sie wollen jedes andere Land
warnen, was mit ihm passieren wird, wenn es sich dem imperialistischen
Willen und den IWF-Regeln zu widersetzen wagt. Leider hat man es in Europa
noch nicht begriffen, daß die USA den Kontinent mit Krieg überziehen,
um eine Vereinigung Europas zu stoppen und die Herausbildung einer allzu
starken ökonomischen Konkurrenz zu verhindern.
Bosko Gajic/Foto: AP