Gericht sieht wachsende Gefahr für Kurden: Familie Cetin wird
vorläufig geduldet
Öcalans Festnahme hat Situation in der Türkei verschärft
Hauptverfahren entscheidend
Kreis Miltenberg. Aufatmen bei den Cetins: Die fünf Mitglieder
der kurdischen Familie dürfen bis zur rechtskräftigen Entscheidung
über ihre Asylklage nicht in die Türkei abgeschoben werden. Das
entschied das Bayerische Verwaltungsgericht in Würzburg nach einem
Antrag.
Begründet wurde der Beschluß unter anderem mit der »Verschärfung
der allgemeinen Situation der Kurden in der Türkei« nach der
Festnahme des PKK-Chefs Abdullah Öcalan am 15.Februar.
Mehrmals hatte die in Weilbach lebende Familie nach Ablehnung ihrer
Asylanträge im vergangenen Jahr Rechtsschutz gegen die drohende Abschiebung
beantragt stets erfolglos. Nun hat sich die Situation geändert.
Durch die Verhaftung Öcalans, so argumentieren die Rechtsvertreter
der Familie Cetin, sei die Situation für Kurden in der Türkei
gefährlicher geworden.
Massives Vorgehen
Das Gericht teilte die Auffassung der Antragsteller. Seit dem 15.Februar
gebe es »Anzeichen für ein massives Vorgehen gegen Mitglieder
der prokurdischen Partei Hadep«. Möglicherweise seien Verbindungen
dieser Partei zur PKK bekannt geworden. Die neue Situation in der Türkei
erfordere daher »eine erneute Beurteilung«.
Begründet wird die neue Einschätzung auch mit den »Sonderverfügungen«
des türkischen Justizministers Selcuk Özek. Diese sehen vor:
konsequentes Vorgehen und Ergreifen »notwendiger Maßnahmen«
gegen die PKK, ihre Sympathisanten und generell all jene, die »gegen
das Staatsinteresse« der Türkei handelten.
Auf einen Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 25.Februar stützt
sich das Gericht ebenfalls. Darin heißt es: »Angesichts der
zur Zeit hochemotionalisierten Atmosphäre im Zusammenhang mit der
Inhaftierung Öcalans ist jedoch zu bedenken, daß ein erhöhtes
Risiko einer besonderen Gefährdung für abzuschiebende Türken
kurdischer Volkszugehörigkeit besteht.«
Für das Gericht hebt sich der Fall Cetin zudem »in mancherlei
Hinsicht von der Masse ab«. Mehmet und Zükriye Cetin stammten
aus der Kurdenprovinz Mardin. Nach Mehmets Cetin Angaben seien drei seiner
Geschwister bereits als Asylberechtigte in Deutschland anerkannt worden.
Das, so heißt es in der Begründung, sei »ein gewisses
Indiz«, daß der als Zwölfjähriger wegen politischer
Verfolgung nach Deutschland Eingereiste »nicht aus einer staatstreuen
Familie stammt«.
Für »maßgeblich« hält das Gericht die Tatsache,
daß Mehmet Cetin in das wehrdienstpflichtige Alter hineingewachsen
sei. Damit bestehe die Gefahr, daß er wegen Wehrdienstentziehung
gesucht werde. Darüber hinaus seien die Antragsteller in Deutschland
mit ihrem Anliegen an die Öffentlichkeit gegangen. Die individuellen
Gründe der Cetins haben in den Augen der Richter bislang jedoch nicht
ausgereicht, um ihnen das Asylrecht zu verschaffen. Das Bayerische Verwaltungsgericht
Würzburg beurteilt die Chancen der Familie im bevorstehenden Hauptsacheverfahren
daher als »eher ungünstig«.
Der CSU-Kreisrat Paul Ripperger (Weilbach), der sich für das Bleiberecht
der Familie einsetzt, schätzt, daß es in etwa einem halben Jahr
zur Hauptverhandlung kommen könnte. Auch er ist skeptisch, was den
Erfolg angeht: Die jetzt getroffene Entscheidung des Gerichts ist für
ihn »allein eine Folge aus der Öcalan-Geschichte«.
Altfallregelung erhofft
Aus diesem Grund setzt Ripperger darauf, daß die rot-grüne
Bundesregierung »endlich in die Gänge kommt« und eine
Altfallregelung für Asylbewerber verabschiedet, die seit mehr als
acht Jahren in der Bundesrepublik geduldet werden. Dann könnte auch
Mehmet Cetin, der seit zwölf Jahren in Deutschland wohnt, ohne Sorge
vor der Abschiebung hier leben.
Das Landratsamt Miltenberg hatte als Vertreter des Freistaats Bayern
die Abschiebung gefordert. Durch die Festnahme und Verbringung des PKK-Chefs
Abdullah Öcalan in die Türkei, so die Landkreis-Behörde,
sei es zu keiner Verschärfung der dortigen Sicherheitslage gekommen.
Der Prozeß gegen den PKK-Führer werde von zahlreichen Staaten
und ausländischen Organisationen beobachtet.