Grüne fordern Diplomatie im Kosovo
Nach wachsender Kritik der Grünen-Basis meldet sich der Bremer
Landesvorstand zum Krieg zu Wort / „Nato ist weder militärischem noch
politischem Ziel näher gekommen“
Nach langem Schweigen haben sich die Bremer Grünen gestern erstmals
öffentlich zum Kosovo-Konflikt geäußert. Die Landesvorstandssprecher
Kathrin Kummerow und Hucky Heck forderten „die Möglichkeiten für
eine politische Lösung auszuschöpfen und die Bundesregierung
auf, eine diplomatische Initiative für einen politischen Ausweg zu
ergreifen.“ Die Luftangriffe hätten gegen die Politik Milosevics der
„Ethnischen Säuberung“ nichts oder nur wenig ausgerichtet. Der einzige
Ausweg aus der „verfahrenen Situation“ sei eine „von der deutschen Bundesregierung
initiierte diplomatische Offensive“.
Jörg Hutter, Beisitzer im Landesvorstand und
Bürgerschaftskandidat, ging noch einen Schritt weiter. Er forderte
den Einsatz von Bodentruppen im Kosovo, falls sich die Hinweise auf einen
großangelegten Völkermord bestätigen sollten. „Ich befürchte,
daß die Menschen, die sich noch im Kosovo aufhalten, dem Tod geweiht
sind.“
Hutter sagte: „Mit wahnsinnigen Bauchschmerzen habe ich jetzt diese
sehr weitreichende Position übernommen“. Hutter beschäftigt sich
seit Jahren wissenschaftlich mit Verfolgung im „Dritten Reich“. Er
entdeckt Parallelen zwischen serbischem Verhalten und dem Nationalsozialismus.
Dem könne man nun nicht tatenlos zuschauen. Hutter lehnt eine
Beteiligung deutscher Bodentruppen aus historischen Gründen ab.
Für Vorstandssprecher Heck und Kummerow hingegen sind Bodentruppen
ein „unkalkulierbares Risiko“ und daher grundsätzlich abzulehnen.
Andererseits würde eine bedingungslose Einstellung der NATO-Aktionen
dem Völkermord Vorschub leisten. Als Ziel formulierten die Sprecher
einen „Stabilitätspakt für die Region“, der an sechs Bedingungen
geknüpft sein müßte. So soll Rußland in die diplomatischen
Bemühungen einbezogen werden; serbische Einheiten müßten
sich aus dem Kosovo zurückziehen; die in Mazedonien gefangengenommenen
US-Soldaten müßten „befreit“ werden; Flüchtlinge müßten
an ihren Herkunftsort zurückkehren; internationale Friedenstruppen
mit UN-Mandat müßten stationiert und eine politische Lösung
für den gesamten Balkan gesucht werden.
Die Konsequenz, die die Grünen jetzt schon aus dem Kosovo-Konflikt
gezogen haben: In Zukunft wolle man sich stärker auf die Entwicklung
des Völkerrechtes konzentrieren, „die die Menschenrechte stärker
zum Maßstab nimmt und die eine Verbindung zur aktiven Friedenspolitik
schafft“. Ihr 17-tägiges Schweigen begründeten die Sprecher damit,
daß es verständlich sei, daß „der erste Weg nicht immer
über ein Statement in der Presse laufen könne“.
Die Stellungnahme des Landesvorstandes kann als Reaktion auf die wachsende
Kritik von der Grünen-Basis gewertet werden. Zu den ersten öffentlichen
Kritikern des NATO-Einsatzes hatte der Kreisvorstand der Grünen in
Bremen-Nord gehört. Vor einer Woche hatten sie sich von den NATO-Angriffen
distanziert und das Ende der Kampfhandlungen der NATO gefordert. Die NATO
messe mit zweierlei Maß, weil sie die türkischen Übergriffe
in Kurdistan seit Jahren dulde und zudem Waffenlieferungen in das Krisengebiet
Jugoslawien nicht unterbunden habe.
Am vergangenen Mittwoch hatte die Grünen Jugendinitiative (GJI)
aufbegehrt und eine Erklärung „Junge Bremer Grüne gegen den Krieg
im Kosovo“ veröffentlicht. Die Grünen, allen voran Außenminister
Fischer, haben mit dem NATO-Einsatz „ein weiteres grünes Ideal über
Bord geworfen“, formulierten die jugendlichen Grünen. Zu ihnen gehörten
unter anderem Bürgerschaftskandidat Björn Fecker, Ex-Bundestagskandidat
Til Stenzel, GJI-Mitglied Jan Fries und die GJI-Bundesausschußdelegierte
Kathrin Christians. In ihren Augen schaffe der „völkerrechtswidrige
Angriffskrieg“ keine Lösung, sondern stelle eine „Zäsur der Internationalen
Politik“ dar. In der Erklärung heißt es: „Die NATO-Staaten,
insbesondere Deutschland, müssen erkennen, daß der Schritt der
Selbstmandatierung ein Schritt zu weit war“. Sie erinnerten ihre Parteichefs:
„Auch für die Grünen gilt, sie haben ihre Partei nur von ihren
Kindern geerbt.“
Christoph Dowe