Gegen den Kriegsdienst in der Türkei
Kurdische und türkische Männer organisieren aus Gewissensgründen
eine Anti-Kriegs-Bewegung
Von unserem Mitarbeiter THOMAS GEISEN
TRIER. Aus Gewissensgründen verweigern 20 türkische und kurdische
Männer aus Rheinland-Pfalz, dem Saarland und anderen Bundesländer
den Kriegsdienst in der Türkei. Dies teilten sie dem türkischen
Generalkonsulat in Frankfurt mit. Bei ihrer Aktion werden die Verweigerer
von der Aktion Dritte Welt Saar in Losheim (Kreis Merzig-Wadern) unterstützt.
Einige der Kriegsdienstverweigerer sind selbst Mitglied in der Organisation,
die sich für die Wahrung der Menschenrechte und für Gerechtigkeit
in den Ländern der sogenannten Dritten Welt einsetzt.
Unter den Kriegsdienstverweigerern befindet sich Vezir Düz. Der
25jährige Kurde lebt zur Zeit in Schillingen (Kreis Trier-Saarburg);
in der Türkei wird er als Deserteur gesucht. »Ich wollte erst
gar nicht zum Militär, aber man hat mich verhaftet und zum Militärdienst
gezwungen«, berichtet Düz.
Statt einer Ausbildung gab es Schläge Die Grundausbildung erhielt
er in Sivas, einer kurdischen Stadt: »Es war sehr hart, insbesondere
für uns Kurden. Aber wir hatten keine andere Möglichkeit. Statt
eine Ausbildung zu erhalten, wurden wir täglich beschimpft und geschlagen.«
Als seine Einheit auf einen Einsatz in den kurdischen Gebieten vorbereitet
wurde, entschloß sich Vezir Düz zur Flucht. »Neun Tage
vor der Verlegung habe ich bei einer Übung im Wald meine Waffe versteckt
und bin weggelaufen«, erzählt er.
Unterschlupf fand Düz zunächst bei Verwandten in Istanbul.
Doch als man ihn auch dort suchte, mußte er die Türkei verlassen
und kam nach Deutschland; hier läuft zur Zeit sein Asylantrag. Abdullah
Orüm (25) kommt aus der Nähe von Cizre, aus dem türkischen
Grenzgebiet zu Syrien, Irak und Iran. Er wuchs im Krieg der Türkei
gegen die Kurden auf. So erlebte er beispielsweise mit, wie das türkische
Militär 1992 das kurdische Newroz-Fest in Cizre »auflöste«
und dabei mit Panzern in die Menge fuhr. In dieser Region wurde ein gefangener
Guerilliakämpfer von den Militärs an einen Panzer gebunden und
zu Tode geschleift.
»Ich bin gegen diese Barbarei, ich will mich nicht an solchem
Handwerk beteiligen und bin deswegen gegen das Militär«, unterstreicht
Abdullah Örüm. Weil er half, drei Guerilliakämpfer zu beerdigen,
die Selbstmord begangen hatten, als sie vom türkische Militär
in seinem Dorf eingekesselt worden waren, befürchtete er, nunmehr
selbst ins Visir der Sicherheitskräfte geraten zu sein und floh. Er
schaffte es, nach Deutschland zu kommen. Heute lebt er in im saarländischen
Dillingen; sein Asylverfahren läuft noch.
Eine Verweigerung des Kriegsdienstes gilt in der Türkei als Versuch,
»das Volk vom Militär zu distanzieren und die Willenskraft der
Nation zu schwächen«. Sie wird laut Artikel 155 des Strafgesetzbuches
mit hohen Haftstrafen geahndet. Die Möglichkeit für junge Männer,
den Militärdienst zu verweigern gibt es nicht.
Aber den Verweigerern geht es nicht nur um ihr persönliches Schicksal,
sie wollen sich mit ihrer Aktion auch für eine generelle Beilegung
und um eine friedliche Lösung der Konflikte in Kurdistan einsetzen.
Emrullah Özdemir skizziert die erschreckenden Ausmaße, die
der Krieg bislang erreicht hat: »Der Krieg hat mittlerweile 50 000
Menschenleben gekostet, und in 15 Jahren wurden 4000 Dörfer zerstört.«
Im Namen der Verweigerer fordert Özdemir daher die Verankerung
des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung in der türkischen Verfassung.
Die jungen Männer wollen ihre Aktion in den folgenden Wochen und
Monaten fortsetzen und weitere Unterstützer finden.