Vor türkischen Wahlen kämpft pro-kurdische Hadep gegen behördliche Schikanen
STANDARD-Korrespondentin Astrid Frefel aus Diyarbakir
Diyarbakir knapp vor den türkischen Parlaments- und Lokalwahlen.
Wie überall im Land sind auch in der heimlichen Hauptstadt der Kurden
alle Wände mit Plakaten verkleistert. Doch der Schmetterling auf gelbem
Grund, das Logo der pro-kurdischen Hadep, fehlt, und auch die Fotos ihrer
Kandidaten sucht man vergeblich. Die Hadep setzt sich für die Rechte
der zehn bis 15 Millionen Kurden in der Türkei ein.
Dieser Tage hat sich Deniz Baykal, der Chef der sozialdemokratischen
CHP, angekündigt. „Die kurdische Frage ist eine Demokratiefrage“,
verkündet eines der Spruchbänder. Baykal selbst vermeidet es,
über „Kurden“ zu reden. Er wird nicht konkret, spricht vom „Südosten“
und daß es mit Gewalt keinen Frieden gebe. Jeder habe das Recht auf
die Achtung seiner Identität und seines Glaubens. Baykal verspricht,
daß seine Partei, wäre sie an der Macht, ein Entwicklungsprogramm
für die Region ausführen würde.
Baykals CHP ist unter den etablierten türkischen Parteien die
fortschrittlichste und europäischste. Aber auch er wagt es in der
seit der Festnahme von PKK-Chef Öcalan aufgeheizten Stimmung nicht,
der kurdischen Minderheit Reformen zu versprechen. Bei den letzten Wahlen
1995 hatte die CHP in Diyarbakir gerade zwei Prozent erreicht.
Wo die Sympathien liegen, hätte das Hadep-Treffen vom Dienstag
zeigen sollen. 150.000 Menschen hatten die Veranstalter erwartet. Aber
die Behörden verboten die Kundgebung aus „Sicherheitsgründen“.
Obwohl offiziell zur Wahl zugelassen, legt der Staat der Hadep jede Menge
Steine in den Weg und schränkt ihre Bewegungsfreiheit massiv ein.
Parteichef Murat Bozlak und mehrere Führungskräfte sitzen unter
dem Vorwurf, Sympathie-Aktionen für Öcalan unterstützt zu
haben, in Haft. „Unsere Plakate und Fahnen werden immer wieder entfernt.
103 unserer Fahrzeuge hat die Polizei beschlagnahmt“, erzählt Cabbar
Leygara, Hadep-Bürgermeisterkandidat im Stadtteil Baglar, bevor er
sich zu Fuß auf Wahlkampftour begibt. Schlimmer als in der Stadt
sei der Druck in den Dörfern. Dort laute die Drohung der Behörden,
wenn auch nur eine Stimme für die Hadep in der Urne liege, werde das
Dorf zerstört und die Einwohner vertrieben. Wo Hadep an die Regierung
komme, gebe es aus Ankara kein Geld mehr für Investitionen.
Schließungsverfahren
Gegen die Hadep läuft bereits ein Schließungsverfahren,
das bis zu einem Entscheid aber noch mehrere Monate dauern wird. Deshalb
versuchte der Oberstaatsanwalt, ein Verbot für die Teilnahme an den
Wahlen durchzusetzen. Einmal ist er vor dem Verfassungsgericht bereits
abgeblitzt. Vor wenigen Tagen hat er neuerlich einen Antrag gestellt mit
der Begründung, die Partei hätte Verbindungen zu einer terroristischen
Organisation (gemeint ist die PKK).
Die letzten Lokalwahlen von 1994 hatte Hadep wegen der vielen Einschränkungen
boykottiert. Damit war in Diyarbakir der Weg frei für Ahmet Bilgin
von der pro-islamistischen Fazilet. Er hat sich als Oberbürgermeister
einen guten Namen gemacht und hat gute Chancen, seinen Sessel zu verteidigen.
Bei den Parlamentswahlen vom Dezember 1995 erreichte Hadep landesweit 4,2
Prozent und verfehlte damit die extrem hohe Hürde von zehn Prozent,
sodaß keine Hadep-Abgeordneten ins Parlament kamen. Profitiert davon
hat die Fazilet. Laut regierungseigenen Prognosen könnte Hadep im
kurdischen Südosten diesmal 60 Prozent der Stimmen erzielen. Der Einzug
ins nationale Parlament scheint aber auch an diesem Sonntag unerreichbar.