Härtere Haltung der Türkei in der Kosovo-Frage
Einmarsch türkischer Truppen in den Nordirak
Ankara hat seinen vorsichtigen Kurs in der Kosovo-Frage aufgegeben und
spricht nun von einem Völkermord. Gleichzeitig marschierten am Wochenende
türkische Soldaten erneut in den Nordirak ein, um die kurdische PKK-Guerilla
zu bekämpfen. Noch werden Parallelen zwischen dem Vorgehen Ankaras
und Belgrads gegen ihre jeweiligen «Separatisten» in der Türkei
als unhaltbar zurückgewiesen.
it. Istanbul, 13. April
Der türkische Aussenminister Ismail Cem hat während der Nato-Konferenz in Brüssel von seinen Amtskollegen eine grössere Rolle für die Türkei und für Griechenland bei der Bewältigung der Jugoslawien-Krise gefordert. Die zwei Länder seien die einzigen Nato-Mitgliedstaaten auf dem Balkan und würden wegen der Jugoslawien-Krise mit langfristigen Gefahren konfrontiert, erklärte er am Dienstag mit sichtlichem Unmut. Die Türkei verfüge zudem über eine 500jährige Erfahrung in der Kosovo-Frage, was einer Lösung wohl dienlich sein könnte.
Kapitulation Belgrads gefordert
Die Forderung des Aussenministers Cem spiegelt mittlerweile eine Grundstimmung
in der Türkei. Nach dem Zusammenbruch der alten Weltordnung wächst
die Überzeugung, dass die Türkei als einstige Hegemonialmacht
des Balkans während 500 Jahren und nun als aufkommende Regionalmacht
mehr Einfluss auf das dortige Geschehen haben müsste. Ankara bezeichnet
den Schutz der muslimischen Bevölkerung auf dem Balkan neuerdings
als seine moralische Pflicht. In diesem Rahmen hat der türkische Staatspräsident
Süleyman Demirel letztes Wochenende die albanischen Flüchtlingslager
in Mazedonien und in Albanien besucht. Dort sprach er als erster türkischer
Politiker von einem Völkermord in Kosovo und erklärte, der jugoslawische
Präsident Milosevic gehöre vor ein Kriegsverbrechertribunal.
Die harschen Töne Demirels markieren eine deutliche Wende in Ankaras
Jugoslawien-Politik. Der Regierungschef Bülent Ecevit hatte anfänglich
einen vorsichtigen Kurs eingeschlagen und immer wieder unterstrichen, dass
die territoriale Integrität Jugoslawiens auch in der Kosovo-Frage
bewahrt werden müsse. Solche Aussagen sind nun nach Beginn des Luftkriegs
gegen Jugoslawien nicht mehr zu hören. Regierung wie Opposition betrachten
einen Einsatz von Bodentruppen als unausweichlich für eine Lösung
der Kosovo-Frage und kümmern sich wenig um die Souveränität
Jugoslawiens. Was in Ankara mittlerweile als akzeptable Lösung der
Kosovo-Krise betrachtet wird, umschrieb unlängst Sükrü Eledag
mit der bedingungslosen Kapitulation Belgrads. Der ehemalige Botschafter
Eledag ist sowohl in Kreisen der Politik als auch der türkischen Armee
zu Hause.
Während Staatspräsident Demirel in Albanien die unmenschlichen
Aktionen der jugoslawischen Streitkräfte anprangerte, marschierten
Tausende von türkischen Soldaten erneut in den Nordirak ein, um die
kurdische Guerilla zu bekämpfen. Laut offiziellen Erklärungen
sind letztes Wochenende rund 5000 türkische Soldaten mit amerikanischen
Cobra-Kampfhelikoptern und Kampfflugzeugen in das nordirakische Gebiet
vorgedrungen. Bei den Kämpfen sollen dabei mehrere Dutzende PKK-Mitglieder
sowie acht Soldaten getötet worden sein. Der Kampf der türkischen
Armee im Nordirak werde so lange anhalten, bis sie ihr Ziel erreicht habe,
teilte ein Offizier der Presse mit - in einem Wortlaut, der sich kaum vom
Vokabular der jugoslawischen Streitkräfte unterscheidet.
Was im Nordirak oder im kurdischen Südosten der Türkei wirklich
vor sich geht, ist kaum auszumachen. Ankara hat die Presse aus dieser Region
verbannt, genauso wie Belgrad Journalisten aus Kosovo vertrieben hat. Wie
früher jugoslawische Friedensaktivisten, so wurden am letzten Freitag
114 türkische Intellektuelle zu einer einjährigen Haftstrafe
verurteilt, weil sie mit einer Deklaration im Jahre 1993 für eine
friedliche Lösung der Kurdenfrage plädiert hatten.
Ablehnung jeglicher Parallelen
Versuche, zwischen den serbischen Angriffen gegen die Kosovo-Albaner
und den türkischen Militäraktionen gegen die Kurden Parallelen
zu ziehen, weist der türkische Präsident Demirel als unhaltbar
zurück. Es sei, als vergliche man einen Elefanten mit einem Fisch,
sagte er vor kurzem. Die Meinung, dass Kosovo mit dem kurdischen Südostanatolien
nicht zu vergleichen sei, teilt auch die überwältigende Mehrheit
der türkischen Bevölkerung. Dass rund 4000 kurdische Dörfer
zwangsevakuiert wurden und dass den zwölf Millionen Kurden die Ausbildung
in kurdischer Sprache noch immer untersagt wird, führen türkische
Politiker jeglicher Couleur auf den «unitären Charakter»
der Republik zurück. Nur wenige, beispielsweise das renommierte politische
Magazin «Briefing», warnen vor einer neuen «unerträglichen
Arroganz» der Türkei. Dieses kritisiert, türkische Politiker
seien davon überzeugt, dass die geostrategische Bedeutung der Türkei
nach der Auflösung der Sowjetunion ihr Land für Washington unentbehrlich
mache. Die Türkei könne sich daher alles leisten, ohne eine Strafe
wegen ihres nach wie vor traurigen Umgangs mit den Menschenrechten befürchten
zu müssen.
Festnahme von Demonstranten
Ankara, 13. April. (dpa) 300 Anhänger der pro- kurdischen Demokratie-Partei
des Volkes (Hadep) sind bei dem Versuch festgenommen worden, an einer Wahlkundgebung
in der südöstlichen türkischen Stadt Diyarbakir teilzunehmen.
Wie die Nachrichtenagentur Anadolu am Dienstag berichtete, hatte der Gouverneur
der Stadt die Hadep-Demonstration nicht genehmigt. Die 300 Parteianhänger
seien am Montag festgenommen worden, als sie versuchten, sich den Demonstranten
anzuschliessen. Gegen die im Juni 1993 als Nachfolgerin von zwei verbotenen
Parteien gegründete Hadep läuft gegenwärtig vor dem Verfassungsgericht
ein Verfahren. Die Richter wollen in Kürze entscheiden, ob die Partei
an den Parlaments- und Kommunalwahlen am 18. April teilnehmen darf.