Schwieriger Wahlkampf im Südosten der Türkei
Poster, Fahnen, Autos - der Staat beschlagnahmt alles
Am Sonntag wird gewählt in der Türkei. Vor allem der prokurdischen
Hadep-Partei werden immer wieder Steine in den Weg gelegt. Den Einzug ins
Parlament wird sie wohl nicht schaffen.
Von Astrid Frefel, Diyarbakir
Diyarbakir, eine Woche vor den türkischen Parlaments- und Lokalwahlen:
Wie überall im Land sind auch in der heimlichen Hauptstadt der Kurden
alle Wände mit Plakaten beklebt, über den Straßen, durch
die unablässig Lautsprecherwagen dröhnen, hängen Fahnen
wie Girlanden. Der Schmetterling auf gelbem Grund, das Logo der prokurdischen
Hadep-Partei, fehlt, und auch Plakate ihrer Kandidaten sucht man vergebens.
Die Hadep setzt sich für die Rechte der zehn bis 15 Millionen Kurden
in der Türkei ein.
Für Samstag hatte sich Deniz Baykal, der Chef der sozialdemokratischen
Partei CHP angekündigt. Die Sicherheitsmaßnahmen sind besonders
streng, weil zur gleichen Zeit der Supergouverneur der Ausnahmezustandsregion
einen Ball für die Polizei veranstaltet. In den vergangenen Tagen
waren Gouverneure im Kurdengebiet mehrfach Ziel von Selbstmordattentaten
gewesen. Etwa 1500 Neugierige, darunter nur ganz wenige Frauen, wollen
Deniz Baykal sehen. ¸¸Die kurdische Frage ist auch eine
Frage der Demokratie’’, verkündet eines der Spruchbänder auf
dem Platz vor der Zitadelle. Baykal vermeidet es, über die Kurden
zu reden. Er zieht es vor, nicht konkret zu werden. Er spricht vom ¸¸Südosten’’
und daß es bei all der Gewalt keinen Frieden geben könne. Aber
jeder Mensch habe das Recht auf Achtung seiner Identität und seines
Glaubens.
Konkret verspricht Baykal den Anwesenden, daß seine Partei, wäre
sie an der Macht, ein Entwicklungsprogramm für die Region nicht nur
ankündigen, sondern auch ausführen würde. Baykals
CHP ist unter den etablierten türkischen Parteien die fortschrittlichste
und europäischste. Aber auch er wagt es, in der seit der Festnahme
von PKK-Chef Abdullah Öcalan aufgeheizten Stimmung, nicht, der kurdischen
Minderheit Reformen zu versprechen. Bei den Wahlen im Dezember 1995 hatte
es die CHP in Diyarbakir nur auf zwei Prozent gebracht.
Wo die Sympathien wirklich liegen, hätte das Hadep-Treffen am
Dienstag zeigen sollen. 150 000 Menschen hatten die Veranstalter erwartet.
Aber die Behörden verboten die Kundgebung aus Sicherheitsgründen.
Es gab nach Protesten 300 Festnahmen. Obwohl offiziell zu dem Urnengang
zugelassen, legt der Staat der Hadep viele Steine in den Weg und schränkt
ihre Bewegungsfreiheit massiv ein. Parteichef Murat Bozlak und mehrere
Führungskräfte sitzen unter dem Vorwurf, Sympathieaktionen für
Öcalan unterstützt zu haben, im Gefängnis. ¸¸Der
Staat sieht die Hadep als Feind, deshalb geht er gegen sie vor’’, erklärt
der Anwalt Sabahattin Korkmaz.
Wie diese Schikanen in Diyarbakir aussehen, schildert Cabbar Leygara,
Bürgermeisterkandidat im Stadtteil Baglar. ¸¸Alle unsere
Plakate und Fahnen werden immer wieder entfernt. 103 unserer Fahrzeuge
hat die Polizei unter irgendeinem Vorwand beschlagnahmt’’, erklärt
Cabbar in der Parteizentrale, bevor er sich zu Fuß auf Wahlkampftour
begibt. Nicht die Fahnen, sondern Herzen und Überzeugung seien wichtig,
bekomme er von den Leuten immer wieder zu hören. Schlimmer als in
der Stadt sei der Druck aber auf den Dörfern. Dort laute die Drohung
der Behörden, wenn auch nur eine Stimme für die Hadep in der
Urne liege, werde das Dorf zerstört, würden die Einwohner vertrieben.
Dort wo Hadep an die Regierung komme, gebe es aus Ankara kein Geld mehr
für Investitionen, lautet ein anderer Einschüchterungsversuch.
Gegen die Hadep läuft bereits ein Verbotsverfahren, wobei es aber
noch mehrere Monate dauern wird, bis darüber entschieden wird. Deshalb
versuchte der Oberstaatsanwalt, zumindest ein Verbot für die Teilnahme
an den Wahlen durchzusetzen. Einmal ist er vor dem Verfassungsgericht bereits
abgeblitzt. Vor wenigen Tagen hat er abermals einen Antrag gestellt, mit
der Begründung, die Partei hätte Verbindungen zu einer terroristischen
Organisationen (gemeint ist die PKK). Es gelte deshalb zu verhindern, ¸¸daß
wir Hunderte oder sogar Tausende von terroristischen Abgeordneten, Bürgermeistern
und Mitglieder der Gemeindebehörden haben’’. Vor Hadep waren schon
mehrere pro-kurdische Parteien verboten worden. Zweck einer Partei sei
es, an Wahlen teilzunehmen. Ein solches Verbot würde deshalb
den Tod der Hadep bedeuten, meint Cabbar, der diesen Antrag als Mittel
sieht, den psychologischen Druck weiter zu verstärken.
An mehreren Orten wurden Leute verhaftet, die an Hadep-Kundgebungen
teilnehmen wollten, und verschiedentlich kam es zu tätlichen Angriffen
von türkisch-nationalistischen MHP-Mitgliedern (Grauen Wölfen)
gegen Hadep-Wahlhelfer. Das staatliche Fernsehen berichtet zwar von Hadep-Treffen,
aber ohne den Zustrom der Anhänger zu zeigen.
Die Lokalwahlen von 1994 hatte Hadep wegen der vielen Einschränkungen
boykottiert. Damit war in Diyarbakir der Weg frei für Ahmet Bilgin
von der proislamistischen Fazilet. Er hat sich als Oberbürgermeister
einen guten Namen gemacht und hat darum gute Chancen, seinen Sessel zu
verteidigen. Bei den Parlamentswahlen vom Dezember 1995 erreichte Hadep
landesweit 4,2 Prozent und verfehlte damit die extrem hohe Hürde von
zehn Prozent klar: Nicht ein Hadep-Abgeordneter konnte ins Parlament einziehen.
Profitiert hat die Fazilet. In Diyarbakir etwa erreichte die Hadep 152
000 Stimmen und bekam dafür keinen Sitz, die Fazilet erhielt mit 62
000 Stimmen fünf Abgeordnete.
Laut regierungseigenen Prognosen könnte die Hadep-Partei im kurdischen
Südosten diesmal sechzig Prozent der Stimmen erzielen und künftig
in 13 Provinzen und fünfzig Städten regieren. Der Einzug ins
nationale Parlament scheint aber auch an diesem Sonntag unerreichbar.