Wie man Kriege inszeniert
Die »Friedens«verhandlungen von Rambouillet dienten
einzig dem Zweck, die Öffentlichkeit auf den geplanten Krieg vorzubereiten.
Von Uwe Soukup
Als Deutschland am 1. September 1939 Polen überfiel, hatte es
Hitler trotz der zurückliegenden sechs Jahre Diktatur, KZ-Terror und
Gleichschaltung der Medien offensichtlich immer noch nötig, der Öffentlichkeit
einen polnischen Angriffskrieg vorzugaukeln. Berühmt geworden ist
Hitlers lächerliches »Seit fünf Uhr wird zurückgeschossen!«,
das in den Morgenstunden des gleichen Tages aus den Volksempfängern
im ganzen Reich dröhnte. Aus heutiger Sicht unvorstellbar, daß
irgendjemand glauben konnte, daß Polen seinen hochgerüsteten,
aggressiven Nachbarn im Westen angegriffen haben könnte - es gibt
Lügen, die eine Beleidigung sind für den, dem sie aufgetischt
werden. Um diesen »Angriff« zu beweisen, hatte man deutsche
Soldaten in polnische Uniformen gesteckt, die den Sender Gleiwitz im Grenzgebiet
überfielen. Die Geschichte kennt unendlich viele Fälle von Aggressionen,
die gegenüber der eigenen Bevölkerung als Verteidigungsfall dargestellt
werden. Der erste Krieg mit deutscher Beteiligung nach dem Ende des Zweiten
Weltkriegs vor 54 Jahre n benötigt diese Lüge in modifizierter
Form ebenso wie Hitler am Beginn des Zweiten Weltkrieges oder Reichskanzler
Bethmann-Hollweg bei der Inszenierung des Ersten Weltkrieges. Diese Lüge
ist bei der Inszenierung des Krieges gegen Jugoslawien mit dem Namen des
Schlosses Rambouillet bei Paris verbunden.
Die NATO, so heißt es, führt den Krieg gegen Jugoslawien,
um den Menschen im Kosovo zu helfen, die von der jugoslawischen Zentralmacht
unterdrückt werden. Bevor das Militärbündnis, in dem die
USA das Sagen haben, den unerklärten Krieg begann, habe man, so wird
behauptet, alles getan, um Milosevic »zum Einlenken« zu bewegen.
Es habe sich aber gezeigt, daß Milosevic nicht verhandeln wolle und
zu keinerlei Kompromiß bereit sei, was bei den gescheiterten Verhandlungen
von Rambouillet offensichtlich geworden sei. Kritiker der NATO-Politik
haben von Beginn des Krieges an darauf hingewiesen, daß Jugoslawien
das Friedensdiktat von Rambouillet keinesfalls unterschreiben konnte, da
die dort vorgesehene Besetzung des Kosovo durch NATO- Truppen, nicht anderer
internationaler Organisationen (UNO, OSZE), einer Aufgabe der staatlichen
Souveränität Jugoslawiens gleichgekommen wäre.
Tatsächlich bleibt diese Argumentation weit hinter der Verhandlungswirklichkeit
von Rambouillet zurück, denn unbeachtet von der Öffentlichkeit
und vor dieser weitestgehend verborgen, war in dem Vertrag, den die jugoslawische
Delegation sich geweigert hat zu unterschreiben, vorgesehen, daß
die NATO, unannehmbar genug, nicht nur volle Bewegungsfreiheit im Kosovo,
sondern in der gesamten Bundesrepublik Jugoslawien erhalten soll.
Die »verteidigungspolitische« Sprecherin der Bundestagsfraktion
von Bündnis 90/Die Grünen, Angelika Beer, äußerte
in einem am Wochenende bekanntgewordenen Brief an ihre Fraktion (siehe
jW vom 13. April) Kritik an der Geheimhaltung von Teilen des Rambouillet-Abkommens.
In einem Anhang zum eigentlichen Abkommen werde die Souveränität
Jugoslawiens weitestgehend eingeschränkt. Ihrem Fraktionskollegen,
Außenminister Fischer, hat Angelika Beer vorgeworfen, Informationen
über die kritischen Passagen des Rambouillet-Abkommens zurückgehalten
zu haben. Es sei »vollkommen klar«, daß der jugoslawische
Präsident Slobodan Milosevic so etwas nicht habe unterschreiben können.
Seither wird die Öffentlichkeit von einer Fülle sich meist gegenseitig
widersprechender Stellungnahmen bombardiert. So könne es nicht gewesen
sein, erklärte der Ex-Bundeswehrgeneral Helge Hansen während
einer Diskussion im Fernsehsender »Phönix«. Vollkommen
absurd sei es, zu behaupten, man könne mit solch einem Verfahren 19
Demokratien versuchen zu hintergehen. (Mit »19 Demokratien«
können nur die 19 NATO-Mitgliedsländer gemeint sein, also auch
die Türkei, die dieser Tage zum wiederholten Male im Irak einmarschiert,
um Kurden zu jagen und umzubringen. Die Türkei, eine Demokratie?)
Die kunstvoll aufgebaute Legitimation für die kühl geplante und
durchgeführte Zerstörung Jugoslawiens droht verloren zu gehen,
die dröhnende Beteuerung »Wir haben wirklich alles versucht,
um den Krieg zu verhindern, aber Milosevic hat alles vom Tisch gewischt!«
ist in Gefahr, Seite an Seite mit »Seit fünf Uhr wird zurückgeschossen!«
in die Geschichtsbücher, Kapitel Kriegsinszenierungen, einzugehen.
Bundesaußenminister Joseph Fischer (Grüne) reagierte denn auch
wie ein getroffener Hund (Foto: Der BRD-Außenminister kurz vor Kriegsbeginn
in Frankreich mit dem serbischen Repräsentanten Milutinovic. Motto:
Unterschreib oder stirb!). Er hat die Kritik der Verteidigungspolitikerin
seiner eigenen Partei an der Kosovo- Politik als »übel«
zurückgewiesen. »Die Vorstellung, daß ich da irgend etwas
durchgefingert hätte, um die NATO und Deutschland in einen Krieg zu
bringen, und das steckte da im Hintergrund dahinter, das finde ich übel«,
bellte der Minister am Montag vor Journalisten in Brüssel. Das gehe
an die persönliche Glaubwürdigkeit, und das werde er nicht auf
sich sitzen lassen. Kurz darauf beteuerte Fischer, der am kommenden Sonnabend
endlich heiraten möchte - wer weiß, wie lange dieser blöde
Krieg noch andauert -, daß mit der jugoslawischen Delegation in Rambouillet
und Paris überhaupt nicht über militärische Passagen des
Abkommens gesprochen worden sei, weil sich Milosevic strikt geweigert habe,
über die Stationierung ausländischer Soldaten in Serbien zu verhandeln.
Eine absurde Argumentation: Hat der Vertrag nun vorgelegen oder nicht?
Ist die Nichtunterzeichnung eines offensichtlich unzumutbaren Vertrages
der vor der Öffentlichkeit inszenierte »Kriegsgrund« oder
eine irgendwie dumm gelaufene Kleinigkeit? Es sei eine »absurde Vorstellung«,
daß die NATO die Absicht habe, Jugoslawien zu besetzen, so Fischer
weiter. Dies hätte auch Frankreich als Ko-Vorsitzender der Rambouillet-Konferenz
niemals hingenommen. Der »Annex B« habe ohnehin bei den Verhandlungen
»nicht eine Millionstel Sekunde eine Rolle gespielt«, da Jugoslawiens
Präsident Slobodan Milosevic ihm - Fischer - klipp und klar gesagt
habe: »Es kommt kein fremder Soldat auf heilige serbische Erde.«
In dem Annex B des Rambouillet-Abkommens sollten nach Angaben Fischers
militärisch-technische Bestimmungen getroffen werden. Man sei aber
bei den Verhandlungen mit den Serben nicht so weit gewesen, »daß
wir auf militärischer Ebene darüber gesprochen hätten«.
Fischers Sprecher Andreas Michaelis erklärte dazu ergänzend,
die in dem Annex B enthaltenen Bestimmungen entsprächen Formulierungen,
wie sie auch in anderen Fällen bei der Stationierung von Streitkräften
in einem anderen Land verwendet worden seien. Als Beispiel nannte er Abmachungen
für den Transit der SFOR-Truppen, die den Frieden in Bosnien sichern
sollen, durch Jugoslawien und andere angrenzende Staaten. Michaelis räumte
auf Fragen von Journalisten ein, bei der Passage in dem Vertragsentwurf
könne es sich um eine »anspruchsvollere Anfangsformulierung«
gehandelt haben. Er versicherte, der Text wäre verhandelbar gewesen,
die serbische Seite habe aber ein Gespräch darüber rundweg abgelehnt.
Der Außenamtssprecher wies zugleich den Vorwurf der Geheimhaltung
des Abkommens durch die Bundesregierung als »balkanische Legendenbildung«
zurück, die völlig gegenstandslos sei. Minister Fischer habe
am 24. Februar dem Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags,
dem SPD-Politiker Hans-Ulrich Klose, den Vertragsentwurf mit allen Anlagen
übergeben, um auf diese Weise den Auswärtigen Ausschuß
zu informieren, was nichts anderes beweist, daß einige andere führende
Parlamentarier in die hinterhältige Inszenierung des Krieges eingeweiht
waren. Doch offensichtlich haben nicht einmal enge Vertraute Fischers im
Auswärtigen Amt, so etwa der grüne Ludger Volmer oder der Sozialdemokrat
Günter Verheugen, volle Kenntnis von dem Vertragsentwurf gehabt. Mit
österreichischer Gemütlichkeit äußerte sich der Diplomat
Wolfgang Petritsch, in Rambouillet einer der drei Unterhändler der
»internationalen Gemeinschaft«, in einem Interview mit der
Süddeutschen Zeitung zu dem Problem des Vertragsentwurfs:
SZ: War Rambouillet für die Serben eine Falle, war also das Abkommen
für Belgrad unannehmbar wegen der weitreichenden militärischen
Freiheiten für die NATO in ganz Jugoslawien?
Petritsch: »Was über die Bewegungsfreiheit der NATO im Anhang
steht, ist sozusagen nur der Entwurf gewesen, in den man halt alles hineinschreibt,
was man sich wünscht. Da die jugoslawische Seite sich strikt geweigert
hat, darüber überhaupt zu reden, blieb das unverändert.
Aber es ist ganz klar gewesen, daß sich in einem Kosovo-Abkommen
an alle relevanten Aspekte nur auf den Kosovo beziehen können.«
SZ: Es hätte also bei diesen Punkten Verhandlungsspielraum gegeben?
»Ja, absolut. Da war natürlich die Flexibilität sehr
groß. Es war uns vollkommen klar, daß sich ein souveränes
Land mit diesen Bestimmungen amschwersten tut.«
SZ: Warum ist überhaupt gefordert worden, daß sich die NATO-Truppen
in ganz Jugoslawien und nicht nur im Kosovo frei bewegen dürfen?
»Das war so nicht gemeint. Das hätte ja dem Geist des Vertrages
und auch dem Geist von Rambouillet absolut widersprochen. Es ging um die
Frage, wie kommen wir in den Kosovo hinein, also um die Durchfahrt durch
serbisches oder auch montenegrinisches Gebiet.« Soweit das Interview.
Ähnlich äußerte sich der grüne Bundesumweltminister
Jürgen Trittin in einer Talkshow als Gast von Erich Böhme und
dem ehemaligen sächsischen Innenminister Heinz Eggert auf n-tv. Der
Vertragsentwurf sei doch verhandelbar gewesen, Milosevic habe aber nicht
verhandeln wollen. Dann aber habe es keine andere Wahl gegeben. Die verteidigungspolitische
Sprecherin der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, Angelika
Beer, fordert nun die NATO zu einer Waffenruhe auf. Es müßten
neue Friedensverhandlungen mit Belgrad geführt werden, erklärte
sie. Es bleiben nur zwei Fragen: Wer trägt die Verantwortung für
das zwischenzeitlich - wohl versehentlich - zerstörte Jugoslawien
und vor welches Kriegsverbrechertribunal die heuchelnden Akteure, die die
Menschheit trickreich an den Abgrund des Dritten Weltkrieges geführt
haben, gestellt werden können?