BONN, 18. April. Die Bilder vom kurdischen Neujahrsfest Newroz haben
sich bei Lord Rymond Hylton eingeprägt. In den türkischen Provinzen
im Ausnahmezustand erlebte das Mitglied des britischen Oberhauses mit,
wie türkische Sicherheitskräfte gegen die kurdischen Demonstranten
vorgingen. „Der Konflikt kann von der türkischen Regierung nicht mit
militärischen Mitteln gelöst werden“, ist der Politiker überzeugt.
Seit fast zehn Jahren engagiert sich Hylton gegen die Unterdrükkung
der Kurden in ihrer Heimat. Am vergangenen Samstag war der britische Politiker
in Bonn, als rund 90 000 Kurden für Frieden in Kurdistan und für
Demokratie in der Türkei demonstrierten. „Es muß eine Autonomie
für die Kurden geben“, forderte Hylton unter dem Jubel der Versammelten.
Die Kurden nutzten die Veranstaltung, um einen Tag vor den türkischen
Parlaments- und Kommunalwahlen auf die Unterdrükkung in ihrer Heimat
aufmerksam zu machen und eine internationale Friedenskonferenz zu fordern.
Von den europäischen Regierungen sind sie enttäuscht. Sie seien
nicht in der Lage gewesen, politisch zu handeln, als sich der Führer
der Kurdischen Arbeiterpartei PKK, Abdullah Öcalan, im vergangenen
Jahr in Italien aufgehalten habe.
Die Demonstranten erinnerten aber auch an die europäische Mitverantwortung
für den Konflikt, bei dem auch am Wochendende wieder 25 PKK-Kämpfer
bei Gefechten mit türkischen Soldaten starben.
„Das türkische Militär hat mit deutschen Panzern mein Dorf
zerstört“, beklagte Hüsseyin Demir, der aus Köln zu der
Demonstration angereist war und nicht der PKK angehört. Die Dorfbewohner
seien vertrieben worden, er selbst mit seiner Frau und acht Kindern nach
Deutschland geflohen. Demir erhielt politisches Asyl. Wie so viele unter
den Demonstranten forderte auch er: „Deutsche Panzer müssen raus aus
Kurdistan“.
Internationale Unterstützung
Unterstützung erhielten die Kurden von Politikern aus Europa,
den USA und Israel. Der ehemalige US-Justizminister Ramsey Clarke forderte
in einem Grußwort die amerikanische Regierung auf, die Militärhilfe
für die Türkei zu stoppen. Der israelische Autor Uri Avnery nannte
es auf der Schlußkundgebung „zynisch“, daß die Nato gegen die
Vertreibung der Kosovo-Albaner kämpfe, zugleich aber die Unterdrückung
der Kurden in der Türkei dulde. Die PDS-Bundestagsabgeordnete Ursula
Lötzer rief in Erinnerung, daß das türkische Militär
mehr als 3 000 kurdische Dörfer zerstört habe, und drei Millionen
Kurden in den vergangenen Jahren vertrieben worden seien. „Dieselbe Türkei
ist im Namen der Menschenrechte am Kosovo-Krieg beteiligt.“ Die Demonstration
war aber auch ein Zeichen der Solidarität für den in der Türkei
inhaftierten PKK-Führer Öcalan. Frauen trugen sein mit Blumen
geschmücktes Bild. „Biji serok“ – „es lebe der Führer“ wurde
gerufen und seine Freilassung gefordert. Er sei eine Schlüsselfigur
für die politische Lösung des Konflikts.
Eberhard Schultz, der deutsche Anwalt Öcalans, hat derzeit kaum
Hoffnungen auf einen fairen Prozeß gegen den PKK-Vorsitzenden. „Die
Verteidiger können ihre Rechte nicht wahrnehmen“, kritisierte er am
Rande der Kundgebung. Er berichtete, daß türkische Sicherheitsbehörden
von den Anwälten verlangt hätten, Beweise gegen ihren Mandanten
zu sammeln.
Berliner Zeitung, 19.04.99