Das türkische Militär kann mit dem Ergebnis der Parlamentswahl
zufrieden sein. Zwar gestaltet sich die Regierungsbildung schwierig, aber
die Armee hat ihre Hauptziele erreicht: Die Partei von Wunschkandidat Bülent
Ecevit ist die führende Kraft im Parlament. Und die bisher stärkste
Partei, die islamistische Tugendpartei (FP), fiel von 21 auf 16 Prozent.
Seit Jahren schon zieht das Militär gegen die Islamisten zu Felde.
Im Juni 1997 zwangen die Militärs die fundamentalistische Regierung
von Necmettin Erbakan zum Abdanken und sorgte für ein Verbot seiner
Wohlfahrtspartei, die sich daraufhin unter dem Namen Tugendpartei neu gründete.
Im gleichen Jahr demonstrierte die Armee ihre Entschlossenheit mit einer
Panzerparade in einer islamistischen Hochburg. In den vergangenen Jahren
wurden Hunderte Offiziere wegen Verletzung des Prinzips der strikten Trennung
von Staat und Religion aus der Armee ausgeschlossen. Die Ablehnung reichte
so weit, daß Soldaten der Kauf von Produkten untersagt wurde, deren
Hersteller angeblich die islamistischen Strömungen unterstützen.
«Schwerte bereit gegen jene, die Säkularismus untergraben»
Seit Mustafa Kemal Atatürk nach dem Ersten Weltkrieg und dem Ende
des Osmanischen Reiches die moderne Türkei gründete, sieht sich
das Militär als Garant der Trennung von Staat und Religion. Bis heute
schwören Kadetten bei ihrer Vereidigung, daß ihre «Schwerte
bereit und scharf sind gegenüber jenen, die Säkularismus, Demokratie
und Unabhängigkeit untergraben». Diesen Schwur nehmen die Generäle
äußerst ernst.
So sehen viele Türken die Militärs auch als die wahren Machthaber
hinter der Regierung. «Die Leute glauben, daß Wahlen sowieso
nichts ändern, denn die Armee ist der eigentliche Machtfaktor in der
Türkei», sagt Oral Calislar, Kolumnist der Zeitung «Cumhüriyet».
Tatsächlich müssen die politisch Verantwortlichen die Generäle
am letzten Freitag eines jeden Monats unterrichten. Dabei geäußerte
Empfehlungen des Militärs werden von der Regierung fast immer befolgt.
Seit 1960 hat das Militär dreimal die Macht übernommen, seit
1984 führen türkische Truppen einen Krieg gegen die kurdischen
Rebellen im Südosten des Landes. Gegen die mächtige Rolle der
Armee haben die meisten Türken allerdings wenig einzuwenden. Umfragen
zufolge gehören Würdenträger der Armee zu den respektiertesten
Mitgliedern der Gesellschaft, während Politiker im allgemeinen als
korrupt gelten.
«Wegen der Fehlleistungen der Politiker haben die Menschen Vertrauen
zum Militär», erklärt Calislar. Zu Ecevits Wahlsieg hat
neben der Gefangennahme des Führers der Kurdischen Arbeiterpartei
(PKK), Abdullah Öcalan, sicher auch beigetragen, daß er im Gegensatz
zu anderen Politkern bisher von Korruptionsskandalen verschont blieb.
Türkei vor schwieriger Regierungsbildung
Ankara (AP)
Die Türkei steht nach der vorgezogenen Parlamentswahl offenbar
vor einer schwierigen Regierungsbildung. Zwar wurde die Demokratische Linkspartei
(DSP) des bisherigen Ministerpräsidenten Bülent Ecevit nach vorläufigen
Ergebnissen vom Montag mit 22 Prozent stärkste Partei, auf den zweiten
Platz schob sich aber überraschend die ultrarechte Partei der Nationalen
Bewegung (MHP) mit 18 Prozent. Deutliche Verluste erlitt die islamische
Tugendpartei (FP), die von 21 Prozent auf 16 Prozent abrutschte.
Zu den großen Verlierern der Wahl vom Sonntag gehören die
zwei Mitte-rechts-Parteien. Nach Auszählung von 75 Prozent der Stimmen
lag die Mutterlandspartei (Anap) von Ecevits Vorgänger Mesut Yilmaz
bei 14 Prozent und die Partei des Rechten Weges (DYP) der früheren
Regierungschefin Tansu Ciller bei zwölf Prozent. Dies bedeutet für
beide Parteien ein Verlust von mindestens fünf Prozentpunkten gegenüber
der Wahl von 1995. Beide Parteien standen im Mittelpunkt von Korruptionsvorwürfen.
Ecevit waren schon in Umfragen mit mehr als 20 Prozent die meisten
Stimmen vorhergesagt worden. Im bisherigen Parlament stellte seine DSP
mit 59 Sitzen nur die viertstärkste Fraktion. Sie dürfte jetzt
auf 135 der 550 Sitze kommen, gefolgt von der MHP mit 129. Auf die Tugendpartei,
die Nachfolgerin der verbotenen Wohlfahrtspartei, entfallen den vorläufigen
Ergebnissen zufolge 112 Sitze.
Vor der Wahl erhielt Ecevits Übergangsregierung starken Auftrieb
durch die Festnahme des kurdischen Guerillaführers Abdullah Öcalan.
In einer ersten Reaktion zeigte sich Ecevit zufrieden mit dem Ergebnis.
«Ich denke, daß die Zeit vorbei ist, in der Religion für
politische Ziele benutzt wird», sagte er auf einer Pressekonferenz.
Die MHP profitierte offenbar ebenfalls von dem Schlag gegen die Kurdische
Arbeiterpartei (PKK). Zudem schien es, als habe die ebenfalls islamistisch
geprägte Partei der FP Stimmen abjagen können. Vor vier Jahren
scheiterte die MHP noch an der Zehn-Prozent-Hürde.
Im bisherigen Parlament stellte die islamische FP mit 144 Abgeordneten
die stärkste Fraktion. Zweitstärkste Kraft war mit 131 Mandaten
Anap. Die DYP war mit 89 Sitzen drittstärkste Partei. Nach Ecevits
DSP folgte die sozialdemokratische Republikanische Volkspartei (CHP). Seit
der vergangenen Wahl erlebte das Land sechs Koalitionsregierungen. Da keine
stabile Regierung mehr gebildet werden konnte, wurde die Wahl um ein Jahr
vorgezogen.
Bei den ebenfalls am Sonntag veranstalteten Kommunalwahlen konnte die
prokurdische Demokratiepartei des Volkes (Hadep) im Kurdengebiet im Südosten
der Türkei einige Erfolge verbuchen. So dürfte die Partei die
Bürgermeister in Diyarbakir und Siirt stellen, den zwei größten
Städten im Kurdengebiet. Bei der Parlamentswahl kam die Hadep allerdings
nur auf etwa vier Prozent. Internationale Beobachter berichteten von Unregelmäßigkeiten
bei der Wahl in den kurdischen Gebieten.
yahoo, 19.04.99