Öcalan wird hängen. Wer auch immer dieses Fazit zog, ob sich
Genugtung oder Erschrecken in diesem Satz ausdrückte: Diese Schlußfolgerung
zogen die meisten Türken, als sich der Erfolg der Rechtsextremisten
bei den Parlamentswahlen am Sonntag abzeichnete. Am Mittwoch nun hat Generalstaatsanwalt
Vural Savas die Todesstrafe für PKK-Chef Abdullah Öcalan gefordert,
der im Februar in Kenia entführt und in die Türkei verschleppt
worden war. Seither wartet Öcalan in einem türkischen Gefängnis
auf seinen Prozeß. Er wird für alle Aktivitäten der separatistischen
Arbeiterpartei verantwortlich gemacht. Die Anklage lautet auf Hochverrat.
Die Chancen auf einen fairen Prozeß tendieren gegen Null.
Die Anklageschrift ist das Werk der Staatswaltschaft. Vural Savas hat
mehrfach betont, daß er höchstpersönlich weder Zeit noch
Mühen gescheut hat, um Beweise gegen den „Staatsfeind Nummer 1“ zu
sammeln. Der 60jährige Jurist Savas hat in seiner Eigenschaft als
oberster Ankläger der Republik mehr als einmal Härte und Duchsetzungswillen
bewiesen. Fleiß, Tüchtigkeit und Prinzipientreue werden ihm
nachgesagt. Er hält es für seine heilige Pflicht, Gefahren für
den Staat auszumerzen. Seinen Auftrag sieht er in der Verteidigung des
Vermächtnisses von Kemal Atatürk. Der Republikgründer hatte
die Trennung von Staat und Religion durchgesetzt, dem Land eine republikanische
Verfassung und eine Rechts- und Gesellschaftsordnung gegeben, die eine
Annäherung an den Westen ermöglicht hat. Diese Grundlagen aber
sieht Vural Savas bedroht, durch Islamisten und die kurdische Minderheit.
Seine Laufbahn - vom Studenten an der Rechtsfakultät in Ankara über
seine Arbeit im Justizministerium bis zu seiner Wahl in den Obersten Gerichtshof
1987 - verlief ohne Brüche. 1997 ernannte ihn Präsident Suleiman
Demirel zum Generalsstaatsanwalt. Mit diesem Posten hat Savas die Macht
und die Möglichkeiten erhal- ten, gegen die Feinde der Türkei
vorzugehen. Zum ersten Schlag holte er 1997 aus, gegen die islamistische
Refah-Partei, die aus den Wahlen 1995 als stärkste Kräft hervorgegangen
war. Nach dem Scheitern einer bürgerlichen Koalition kam sie im Juni
1996 an die Macht. Ihr Chef, Necmettin Erbakan, wurde Premier. Mit Justizminister
Sevket Kazan bekam Savas einen Islamisten als obersten Dienstherrn was
ihn aber nicht hinderte, im Mai 1997 Anklage gegen die Refah-Partei und
deren Verbot zu fordern. Nur zwei Monate danach stürzte die Erbakan-Regierung
unter dem Druck der Militärs. Ein halbes Jahr später setzte sich
Savas mit seinem Antrag durch: Die Refah-Partei wurde verboten, Erbakan
jede politische Betätigung untersagt. Die türkische Justiz sei
nicht unabhängig, sie stehe im Dienst der Militärs, gaben damals
selbst hohe Vertreter der Justizbehörden zu. Doch an Savas prallen
diese Vorwürfe ab. Als Türke, so sagte er in einem Interview,
verstehe er es als seine Pflicht, so zu handeln. Die Refah-Partei ist für
ihn das Problem von gestern. Doch schon seit Monaten hat Savas ein neues
Opfer im Visier. Auch der pro-kurdischen Hadep-Partei droht ein Verbot.
Savas hatte sein Ersuchen um eine einstweilige Anordnung mit Aussagen Öcalans
begründet. Dieser hätte, so behauptete der Generalstaatsanwalt
in seinen Antrag, die Hadep als eine von der PKK gesteuerte Organisation
bezeichnet. Das Verfassungsgericht wies das Ansinnen zurück, den Ausschluß
der Hadep konnte Savas also nicht erzwingen. Sie hat den Einzug ins Parlament
zwar nicht geschafft. Doch ihr Erfolg bei den am Sonntag ebenfalls abgehaltenen
Kommunalwahlen im Südosten des Landes ist für Savas Antrieb genug,
das laufende Verbotsverfahren mit noch größerer Intensität
zu betreiben. Und nicht nur er ist sich sicher, daß er sein Ziel
erreichen wird. Wenn Vural Savas morgens federnden Schrittes sein Auto
verläßt und das Kassationsgericht in Ankara betritt, demonstriert
er Tatendrang. Der Prozeß gegen Öcalan ist die Herausforderung
seines Lebens. Und die Aussichten, daß er in seinem Sinne enden wird,
stehen gut. Die nationalistische Stimmung im Land, die den Rechtsextremen
zum Wahlsieg verholfen hat, wird nicht ohne Einfluß bleiben. Vorwürfe
von Menschenrechtsorganisationen, die einen fairen Prozeß und die
Teilnahme von internationalen Beobachtern beim Prozeß gegen Abdullah
Öcalan fordern, lassen ihn kalt. Verdächtigen würden ohnehin
viel zu viele Rechte eingeräumt, hat er in Interviews erklärt.
Und was die Menschenrechte beträfe, nehme die Türkei die Klagen
aus Europa. Aber sie würden als Waffe gegen sein Land eingesetzt,
behauptet Savas. Damit sind ihm auch die Europäer eine Bedrohung.
Berliner Zeitung 21.4.99