5000 Kurden am 1.Mai
Der Tag der Arbeit zieht mehr Demonstrierende an als üblich.
Der Stadtrat ruft zum Gewaltverzicht auf.
Von Bernhard Sutter
Der 1. Mai bereitet der Stadtregierung dieses Jahr besondere Sorgen.
Gestern Mittwoch trat sie mit einer Mitteilung an die Öffentlichkeit.
Sie erinnert an die Kriege „unweit von Zürich“, ruft zur würdigen,
friedlichen Manifestation auf und mahnt:
„Gewalt darf nicht die Sprache derer sein, die für eine gute Sache
einstehen!“
Damit gemeint ist für einmal nicht der schwarze Block, dessen
Anhänger den Klassenkampf jeweils mit Sachbeschädigungen übten,
sondern die Teilnehmer des offiziellen Umzugs. Denn dieses Jahr sind die
Vorzeichen düster: Krieg in Jugoslawien, am Freitag beginnt der Öcalan-Prozess
- und der Umzug ist zum guten Teil Veranstaltung der Fremdarbeiter. Erik
Eitle, Sprecher des Polizeidepartements, bringt es auf den Punkt: „Viele
Leute auf engem Raum, darunter vier Ethnien, die in der Heimat verfeindet
sind.“
Kurden und Türken hintereinander
Am Samstagmorgen werden sich am Central auch Kosovo-Albaner und Serben
sowie Kurden und Türken besammeln. Von den 80 Organisationen im veranstaltenden
1.-Mai-Komitee sind 50 kurdisch oder türkisch. Der Auftritt des Präsidenten
des kurdischen Exilparlaments zieht Anhänger aus dem Ausland an. Philippe
Surber vom Komitee:
„Wir gehen von 5000 Kurdinnen und Kurden aus.“ Er rechnet mit total
15 000 Demonstrierenden, die Polizei mit 10 000, deutlich mehr als in den
Jahren zuvor.
Könnte die Spannung zwischen den Gruppen so gross werden, dass
es zu Zwischenfällen im Umzug kommt? Die Veranstalter verneinen. Monika
Spring vom Gewerkschaftsbund: „Wir vertreten Migranten-Anliegen, doch für
ethnische Auseinandersetzungen hat es keinen Platz.“ Sie hat die Zusicherung
einzelner Gruppen, dass keine Aktionen geplant sind. Philippe Surber vom
1.-Mai-Komitee, das 1999 zum ersten Mal Mitverantwortung für den Umzug
trägt: „Wir haben intern Vorkehrungen zur Sicherheit getroffen.“ Welche,
sagt er nicht.
Im Umzug zum Helvetiaplatz marschieren Kurden und Türken hintereinander.
Mehmet Akyol, türkischer Vertreter im 1.-Mai-Komitee, meint aber:
„Klar sind nicht alle Türken von den Kurden begeistert. Doch die Türken
im Umzug unterstützen die Sache der Kurden, auch wenn sie keine PKK-Anhänger
sind.“ Und Kurde Nefsat Soylu: „Die Umzugsteilnehmer sind nicht das Problem,
höchstens die Grauen Wölfe (türkische Extremisten) am Strassenrand.
Doch sie werden uns kaum angreifen.“
Die Polizei bricht ein Tabu
Die Stadtpolizei geht keine Risiken ein. Zum ersten Mal seit langem
markiert sie - in Absprache mit den Veranstaltern - klar sichtbar Präsenz.
Das war bisher am Arbeitermarsch tabu. „Wir sind auf alles gefasst“, erklärt
Polizeivorsteherin Esther Maurer auf Anfrage. Die Sozialdemokratin, die
selbst am 1. Mai teilnimmt, hält es aber für wahrscheinlicher,
dass bei Nachdemos denn beim regulären Umzug etwas passiert.
Zur 1.-Mai-Nachdemo hat der „schwarze Block“ aufgerufen. In den Jahren
zuvor hat er der Polizei wiederholt Strassenschlachten geliefert. Einzelne
Mitglieder sind schon verurteilt worden. Eine gewisse Gefahr geht auch
von Skinheads aus, die in früheren Jahren angereist waren, um Jagd
auf Linksaktivisten zu machen. Gemeinderat und Gewerbe haben von der Polizei
wirkungsvolle Gegenmassnahmen gefordert. Das 1.-Mai-Komitee hingegen rät
von provozierenden Polizeiaktionen ab.
Die grösste 1.-Mai-Feier im Land startet schon heute mit Vorveranstaltungen.
Der Umzug führt am Samstag erstmals über die Bahnhofstrasse.
Politische Themen sind neben der Kurdenfrage die Mutterschaftsversicherung
und das Asylgesetz. Die Kosten von 130 000 Franken werden durch Festanlässe
auf Helvetiaplatz, Kanzlei- und Kasernenareal gedeckt.