Kurden-Abschiebung
Ausländerbehörde handelte rechtens
GIESSEN. Die Ausländerbehörde des Lahn-Dill-Kreises durfte
die Beteiligung eines Kurden an der Blockade der Autobahn A 45 bei Ehringshausen
im März 1994 zum Anlaß nehmen, den Mann aus der Bundesrepublik
auszuweisen. Das Verwaltungsgericht in Gießen hat am Mittwoch das
Vorgehen der Behörde bestätigt und die Klage des Kurden abgewiesen.
Die Entscheidung der 7. Kammer hat allerdings nicht zur Folge, daß
der Kurde, der sich seit April 1988 aufgrund mehrerer Asylanträge
in Deutschland aufhält, das Land in Richtung Türkei verlassen
muß: Im April 1998 hat das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer
Flüchtlinge dem Mann den Status der „Flüchtlingsanerkennung“
erteilt. Dieser Status war ihm noch nicht zugesprochen worden, als der
Lahn-Dill-Kreis den heute 26jährigen am 16. März 1995 auswies.
Den Widerspruch hatte das Regierungspräsidium 1997 zurückgewiesen.
Daraufhin reichte der Kurde Klage ein. Die Kammer bescheinigte gestern
der Behörde in Wetzlar, „fehlerfrei“ vorgegangen zu sein.
Der Kurde war im Dezember 1997 vom Landgericht Limburg wegen Landfriedensbruchs
in Tateinheit mit Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr
und neun Monaten verurteilt worden. Das Gericht hatte die Strafe zur Bewährung
ausgesetzt. Die Protestaktionen der Kurden, die 1994 zeitgleich an verschiedenen
Autobahnen im Bundesgebiet stattfanden, hatten zu heftigen Debatten geführt,
weil sie ganz offenbar von der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK
gelenkt worden waren.
Kurden hatten dabei mit Benzinkanistern hantiert und gedroht, sich
selbst anzuzünden. Auf dem Rastplatz „Lemper Berg“ hatte ein Mann
mit schweren Verbrennungen in eine Spezialklinik geflogen werden müssen.
tru
Gericht stellt besonderes Risiko für Kurden fest
stg BREMEN, 28. April. Für Kurden, die aus Deutschland in die Türkei
abgeschoben werden sollen, besteht nach Ansicht des Verwaltungsgerichts
Stade derzeit „ein erhöhtes Risiko einer besonderen Gefährdung“,
weil in der Türkei nach der Verhaftung von PKK-Führer Abdullah
Öcalan eine „hoch emotionalisierte Atmosphäre“ herrsche. Unter
anderem mit dieser Begründung hat das Gericht jetzt einer türkischen
Kurdenfamilie vorläufigen Abschiebeschutz gewährt.
Das Ehepaar mit fünf Kindern war mit einem ersten Asylbegehren
gescheitert und sollte abgeschoben werden. Deshalb flüchtete die Familie
ins „Kirchenasyl“ in Bremervörde bei Bremen. Seitdem die Presse mit
voller Namensnennung über das Kirchenasyl berichtet habe, bestehe
nun bei einer Zwangsrückkehr ein besonders hohes Mißhandlungsrisiko
- zumal nach der Öcalan-Verhaftung, erklärte das Gericht. (AZ:4
B 556/99).
Erfolgreiches Kirchenasyl in Niedersachsen
Abschiebung von siebenköpfiger kurdischer Familie vorerst verhindert
Im niedersächsischen Bremervörde ist ein Kirchenasyl mit einem
vorläufigen Erfolg für die betroffenen Flüchtlinge zu Ende
gegangen. Eine siebenköpfige kurdische Familie, die in zwei Kirchengemeinden
Zuflucht gefunden hatte, darf vorerst nicht abgeschoben werden. Das hat
jetzt das Verwaltungsgericht Stade entschieden.
Die Familie Görgülü stammt aus dem Dorf Nergizli im
Osten der Türkei. 1991 entdeckte das Militär in der Nähe
des Ortes ein Camp der PKK, die Soldaten nahmen Abdulhalim Görgülü
als mutmaßlichen Unterstützer der Guerilla fest. Er wurde wochenlang
inhaftiert, geschlagen und gefoltert, schließlich aber freigelassen.
Im Frühjahr 1992 forderte die Armee den Familienvater auf, als Dorfschützer
zu arbeiten. Abdulhalim Görgülü lehnte das ab und versteckte
sich in den Bergen. Daraufhin nahmen die Sicherheitskräfte die Ehefrau
Besra fest und schlugen sie sowie die damals drei Kinder. 1992 wurde die
Ortschaft Nergizli von Soldaten zerstört.
Im September kam die Familie Görgülü nach abenteuerlicher
Flucht auf einem Lastwagen in Niedersachsen an. Ihrem Antrag auf politisches
Asyl wurde zunächst stattgegeben, doch die Bundesrepublik Deutschland
klagte gegen den Bescheid. Ein jahrelanger Rechtsstreit endete erst im
vergangenen November mit einem für die Kurden negativen Ergebnis.
Am 14. Dezember stellten die Flüchtlinge einen Asylfolgeantrag,
der Ende Januar jedoch abgelehnt wurde. Trotz einer weiteren Klage gegen
die Ablehnung des Folgeverfahrens kündigte der Landkreis Rotenburg
die Abschiebung an und benannte als Termin den 6. April. Daraufhin nahmen
die beiden Bremervörder Gemeinden die Familie ins Kirchenasyl.
In einer Eilentscheidung kam das Verwaltungsgericht Stade nun zu dem
Ergebnis, daß die Kurden bis zu einer endgültigen Entscheidung
über den Asylfolgeantrag nicht abgeschoben werden dürfen. Nach
dem jüngsten ad-hoc-Bericht des Auswärtigen Amtes bestehe »angesichts
der zur Zeit hochemotionalisierten Atmosphäre im Zusammenhang mit
der Inhaftierung Öcalans ein erhöhtes Risiko einer besonderen
Gefährdung für abzuschiebende Türken kurdischer Volkszugehörigkeit«,
heißt es in verquastem Juristen- Deutsch in dem Urteil. Die Wahrscheinlichkeit,
daß die Familie bei einer Abschiebung von türkischen Sicherheitskräften
»in asylerheblicher Weise mißhandelt werden könnten«,
sei auch wegen der Aufmerksamkeit, für die das Kirchenasyl in der
lokalen Presse gesorgt habe, »besonders hoch«. Nach Einschätzung
des Gerichts könne deshalb »nicht von vornherein ausgeschlossen
(werden), daß auch der türkische Geheimdienst auf die Antragsteller
aufmerksam geworden ist und ihre Personalien an die örtlichen türkischen
Sicherheitskräfte, insbesondere auch an die auf dem Flughafen Istanbul
tätigen Sicherheitskräfte übermittelt hat«. Der Bremer
Rechtsanwalt Hans-Eberhard Schultz, der die Flüchtlinge vor Gericht
vertritt, begrüßte den Richterspruch als »längst
überfällige Reaktion auf die zugespitzte Situation«, der
abgeschobene Kurden seit der Festnahme Öcalans ausgesetzt sind.
Reimar Paul