Frankfurter Rundschau 29.4.99

Kurden-Abschiebung
Ausländerbehörde handelte rechtens

GIESSEN. Die Ausländerbehörde des Lahn-Dill-Kreises durfte die Beteiligung eines Kurden an der Blockade der Autobahn A 45 bei Ehringshausen im März 1994 zum Anlaß nehmen, den Mann aus der Bundesrepublik auszuweisen. Das Verwaltungsgericht in Gießen hat am Mittwoch das Vorgehen der Behörde bestätigt und die Klage des Kurden abgewiesen.
Die Entscheidung der 7. Kammer hat allerdings nicht zur Folge, daß der Kurde, der sich seit April 1988 aufgrund mehrerer Asylanträge in Deutschland aufhält, das Land in Richtung Türkei verlassen muß: Im April 1998 hat das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge dem Mann den Status der „Flüchtlingsanerkennung“ erteilt. Dieser Status war ihm noch nicht zugesprochen worden, als der Lahn-Dill-Kreis den heute 26jährigen am 16. März 1995 auswies. Den Widerspruch hatte das Regierungspräsidium 1997 zurückgewiesen. Daraufhin reichte der Kurde Klage ein. Die Kammer bescheinigte gestern der Behörde in Wetzlar, „fehlerfrei“ vorgegangen zu sein.
Der Kurde war im Dezember 1997 vom Landgericht Limburg wegen Landfriedensbruchs in Tateinheit mit Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt worden. Das Gericht hatte die Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Die Protestaktionen der Kurden, die 1994 zeitgleich an verschiedenen Autobahnen im Bundesgebiet stattfanden, hatten zu heftigen Debatten geführt, weil sie ganz offenbar von der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK gelenkt worden waren.
Kurden hatten dabei mit Benzinkanistern hantiert und gedroht, sich selbst anzuzünden. Auf dem Rastplatz „Lemper Berg“ hatte ein Mann mit schweren Verbrennungen in eine Spezialklinik geflogen werden müssen. tru


Frankfurter Rundschau 29.4.99

Gericht stellt besonderes Risiko für Kurden fest

stg BREMEN, 28. April. Für Kurden, die aus Deutschland in die Türkei abgeschoben werden sollen, besteht nach Ansicht des Verwaltungsgerichts Stade derzeit „ein erhöhtes Risiko einer besonderen Gefährdung“, weil in der Türkei nach der Verhaftung von PKK-Führer Abdullah Öcalan eine „hoch emotionalisierte Atmosphäre“ herrsche. Unter anderem mit dieser Begründung hat das Gericht jetzt einer türkischen Kurdenfamilie vorläufigen Abschiebeschutz gewährt.
Das Ehepaar mit fünf Kindern war mit einem ersten Asylbegehren gescheitert und sollte abgeschoben werden. Deshalb flüchtete die Familie ins „Kirchenasyl“ in Bremervörde bei Bremen. Seitdem die Presse mit voller Namensnennung über das Kirchenasyl berichtet habe, bestehe nun bei einer Zwangsrückkehr ein besonders hohes Mißhandlungsrisiko - zumal nach der Öcalan-Verhaftung, erklärte das Gericht. (AZ:4 B 556/99). 


junge Welt 29.04.1999

Erfolgreiches Kirchenasyl in Niedersachsen
Abschiebung von siebenköpfiger kurdischer Familie vorerst verhindert

Im niedersächsischen Bremervörde ist ein Kirchenasyl mit einem vorläufigen Erfolg für die betroffenen Flüchtlinge zu Ende gegangen. Eine siebenköpfige kurdische Familie, die in zwei Kirchengemeinden Zuflucht gefunden hatte, darf vorerst nicht abgeschoben werden. Das hat jetzt das Verwaltungsgericht Stade entschieden.
Die Familie Görgülü stammt aus dem Dorf Nergizli im Osten der Türkei. 1991 entdeckte das Militär in der Nähe des Ortes ein Camp der PKK, die Soldaten nahmen Abdulhalim Görgülü als mutmaßlichen Unterstützer der Guerilla fest. Er wurde wochenlang inhaftiert, geschlagen und gefoltert, schließlich aber freigelassen. Im Frühjahr 1992 forderte die Armee den Familienvater auf, als Dorfschützer zu arbeiten. Abdulhalim Görgülü lehnte das ab und versteckte sich in den Bergen. Daraufhin nahmen die Sicherheitskräfte die Ehefrau Besra fest und schlugen sie sowie die damals drei Kinder. 1992 wurde die Ortschaft Nergizli von Soldaten zerstört.
Im September kam die Familie Görgülü nach abenteuerlicher Flucht auf einem Lastwagen in Niedersachsen an. Ihrem Antrag auf politisches Asyl wurde zunächst stattgegeben, doch die Bundesrepublik Deutschland klagte gegen den Bescheid. Ein jahrelanger Rechtsstreit endete erst im vergangenen November mit einem für die Kurden negativen Ergebnis.
Am 14. Dezember stellten die Flüchtlinge einen Asylfolgeantrag, der Ende Januar jedoch abgelehnt wurde. Trotz einer weiteren Klage gegen die Ablehnung des Folgeverfahrens kündigte der Landkreis Rotenburg die Abschiebung an und benannte als Termin den 6. April. Daraufhin nahmen die beiden Bremervörder Gemeinden die Familie ins Kirchenasyl.
In einer Eilentscheidung kam das Verwaltungsgericht Stade nun zu dem Ergebnis, daß die Kurden bis zu einer endgültigen Entscheidung über den Asylfolgeantrag nicht abgeschoben werden dürfen. Nach dem jüngsten ad-hoc-Bericht des Auswärtigen Amtes bestehe »angesichts der zur Zeit hochemotionalisierten Atmosphäre im Zusammenhang mit der Inhaftierung Öcalans ein erhöhtes Risiko einer besonderen Gefährdung für abzuschiebende Türken kurdischer Volkszugehörigkeit«, heißt es in verquastem Juristen- Deutsch in dem Urteil. Die Wahrscheinlichkeit, daß die Familie bei einer Abschiebung von türkischen Sicherheitskräften »in asylerheblicher Weise mißhandelt werden könnten«, sei auch wegen der Aufmerksamkeit, für die das Kirchenasyl in der lokalen Presse gesorgt habe, »besonders hoch«. Nach Einschätzung des Gerichts könne deshalb »nicht von vornherein ausgeschlossen (werden), daß auch der türkische Geheimdienst auf die Antragsteller aufmerksam geworden ist und ihre Personalien an die örtlichen türkischen Sicherheitskräfte, insbesondere auch an die auf dem Flughafen Istanbul tätigen Sicherheitskräfte übermittelt hat«. Der Bremer Rechtsanwalt Hans-Eberhard Schultz, der die Flüchtlinge vor Gericht vertritt, begrüßte den Richterspruch als »längst überfällige Reaktion auf die zugespitzte Situation«, der abgeschobene Kurden seit der Festnahme Öcalans ausgesetzt sind.

Reimar Paul