Griechische Regierung in der Bredouille
Von Wolfgang Koydl
Istanbul – Bomben, Blockaden, Proteste – in keinem anderen Mitgliedsstaat
der Nato ist der Widerstand gegen die Luftangriffe auf Jugoslawien so groß
wie in Griechenland. Den Serben religiös und historisch verbunden,
standen viele Griechen der Aktion von Anfang an ablehnend gegenüber.
Je mehr Bomben fallen, desto lauter werden die Rufe nach einem Ende des
„imperialistischen Krieges“. Der amerikanische Botschafter in Athen, Nicholas
Burns, warnte bereits besorgt davor, „einander nicht zu verteufeln und
rational zu bleiben“.
Letzteres fällt einigen Griechen zunehmend schwer, vor allem,
seitdem immer häufiger serbische Zivilisten das Opfer westlicher Angriffe
werden. Anfang vergangener Woche verübten linksradikale „Revolutionäre
Zellen“ einen Bombenanschlag auf ein Athener Luxushotel; am 1. Mai erinnerten
die Parolen der Demonstranten in ihrem schrillen Anti-Amerikanismus an
die schlimmsten Jahre der Amtszeit des ehemaligen Ministerpräsidenten
Andreas Papandreou; und in Thessaloniki blockierten hunderte von Demonstranten
mehr als 24 Stunden lang den Hafen der Stadt. Bis zu 95 Prozent aller Griechen
lehnen die Bombenangriffe auf Serbien ab. Neuerdings konzentrieren sich
die privaten Fernsehsender in ihrer Berichterstattung wieder sehr viel
mehr auf die „Verbrechen“ der Nato als auf die Vertreibung der Kosovo-Albaner.
Immer häufiger wird deshalb in der Öffentlichkeit gefragt, wer
eigentlich schlimmer sei – die Nato oder der jugoslawische Präsident
Slobodan Milosevic. Eine Antwort auf diese Frage erscheint vielen umso
leichter, wenn – wie an diesem Wochenende – ein westliches Kampfflugzeug
einen vollbesetzten Reisebus abschießt, derweil Milosevic huldvoll
drei US-Soldaten freiläßt. Wenn der Kriegsherr in Belgrad
sagt, daß die Serben zwar „keine Engel sind, aber auch nicht die
Teufel, die der Westen in uns sieht“, dann ist dies Kommentatoren eine
eingehende Betrachtung wert.
Pasok droht Wahlniederlage
Für die Regierung unter dem rationalen und nüchternen Ministerpräsidenten
Kostas Simitis ist der Grat, auf dem sie balancieren muß, noch schmaler
geworden. Auf der einen Seite weiß man in Athen, mit welch großem
Mißtrauen vor allem Washington alle Handlungen des kleinen Partners
verfolgt. Schließlich ist es noch keine fünf Jahre her, daß
aufgeputschte Demonstranten Hellas’ Austritt aus Nato und EU gefordert
hatten. Niemand weiß, ob und wann die Stimmung wieder umschlagen
wird. Andererseits blicken Simitis und seine regierende „Panhellenische
Sozialistische Bewegung“ (Pasok) mit steigendem Bauchgrimmen den Wahlen
zum EU-Parlament entgegen. Schon vor Beginn des Krieges auf dem Balkan
war die Pasok stetig in der Wählergunst gesunken. Dafür hatten
ein rigider Sparkurs und die Affäre um den PKK-Chef Abdullah „Apo“
Öcalan gesorgt, der offenkundig mit stillschweigender Billigung Athens
den Türken übergeben wurde. Die zähneknirschende Duldung
der westlichen Attacken auf Jugoslawien hat Simitis weitere Sympathien
gekostet. Die Sozialisten haben sich deshalb mehr oder weniger damit abgefunden,
vom Wähler einen Denkzettel verpaßt zu bekommen. Da die oppositionelle
bürgerliche „Nea Dimokratia“-Partei einen schamlos populistischen
Kurs eingeschlagen hat, könnte die Abrechnung aber noch größer
als erwartet ausfallen.
Von der Höhe einer Pasok-Niederlage wird es abhängen, ob
die Regierung selbst ins Wanken gerät. Auf dem Parteitag der Sozialisten
im April war Simitis zwar überraschend deutlich als Parteichef wiedergewählt
worden. Aber wenn der Verlust der Macht droht, werden seine innerparteilichen
Rivalen sofort wieder zur Stelle sein. Doch eine Regierungskrise oder gar
Neuwahlen in einem chauvinistisch hochgeputschten Klima wären das
letzte, was Amerika und Europa in der gegenwärtigen Lage wünschen
würden. In diesem Gedanken liegt wohl der einzige Trost, den Simitis
in diesen Tagen bezieht.