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OFFENER BRIEF

AN DIE KANDIDATINNEN & KANDIDATEN FÜR DAS NEUE EUROPÄISCHE PARLAMENT

VON
BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN

UNDINE BLOCH VON BLOTTNITZ MdEP
OZAN CEYHUN MdEP
DANIEL COHN-BENDIT MdEP
FRIEDRICH-WILHELM GRAEFE ZU BARINGDORF MdEP
EDITH MÜLLER MdEP
HEIDE RÜHLE
WOLFANG ULLMANN MdEP
 

1. Mai 1999
 

Sehr geehrte Damen und Herren,

Lieber Dany und lieber Ozan,
 

Ihre Kandidatur für die bevorstehende Wahl zum neuen europäischen Parlament haben Sie soeben gemeinsam unter dem Titel einer Erklärung angekündigt, deren Überschrift  -„Für einen dauerhaften Frieden“ - die Begründung dafür zu geben versucht, einen womöglich langfristigen Krieg führen zu können. Gemeint ist Jugoslawien und der Kosovo.

Ihr Text liest sich knapp und rigoros: „Wer vor diesem Hintergrund Verhandlungen und Kompromisse um jeden Preis fordert, der muß eine Alternative vorschlagen. (..) Ansonsten billigt er die Verbrechen Milosevics.“

In ähnlicher Apodiktik kommen Sie auf die weitere Perspektive des Krieges zu sprechen: an dessen Ende „eine Balkankonferenz stehen muß, die unter Einschluß von Griechenland und der Türkei verbindliche Garantien für Minderheiten – auch der Kurden – zum Ziel hat.“

Nein, befürchten Sie nichts von mir: Ich werde Sie nicht fragen, welche Alternative Ihnen zu den erwachsen gewordenen Grauen Wölfen der MHP einfällt, warum die meisten Politiker von Bündnis 90 / Die Grünen so konsequent zur Kurdenverfolgung geschwiegen haben, und ob Sie nicht auch die andauernde Waffenlieferung der BRD an die Türkei möglicherweise als „Billigung“ zu interpretieren in der Lage wären, ich frage nicht einmal, warum Kollege Joseph Fischer in diesem Jahr erneut der Auslieferung von 200 rot-grünen Spürpanzern (Typ Fuchs) an die türkische Regierung seine Zustimmung erteilte: Sie könnten mir das alles gar nicht beantworten und wären in großer Verlegenheit!

Nur eines möchte ich festhalten, dieses in Gedankenstriche gehüllte und textuell miteingeschlossene „– auch der Kurden –„, und das „auf einer „Balkankonferenz“, meine Damen und Herren, „unter Einschluß der Türkei“, wie Sie es sagen!

Darauf möchte ich Sie festlegen: auf diese kleine nicht ganz hauptsächliche Bemerkung in Ihrer gemeinsamen Vorstellung der Kandidantengruppe der Reformpartei Bündnis 90 / Die Grünen.

Ich weiß, weil ich einige von Ihnen persönlich kenne und auch schätze, daß Sie die Lage der Menschen Kurdistans aufmerksam verfolgen, deren demokratische Veränderung Sie nun auf das zukünftige Balkan- und Nahostprogramm zu setzen versprochen haben.

Nur, falls sich doch am Ende keiner mehr erinnern sollte – und die aktuelle Amnesie ist chronisch kollektiv – dann werde ich Sie alle gezwungenermaßen erinnern müssen, in Großanzeigen, an Ihren eigenen Text und seine Versprechung, die Sie dann nicht gehalten hätten.

Mir läge heute schon daran, von Ihnen zu erfahren, wie Sie sich für die Demokratisierung der Türkei und für den Frieden in Kurdistan im Europäischen Parlament einzusetzen gedenken: womit man ja, wie Sie sagen, nie „zu spät“ beginnen sollte –

weshalb ich Sie heute bereits um eine Auskunft bitte.

Mit herzlichen Grüßen

Ihr

Hans Branscheidt
 
 

P.s.: Der vollständige Text der Kandidaten zu EU Parlament kann bei mir abgefordert werden.