Hetzkampagne gegen islamistische Abgeordnete
öhl ATHEN, 4. Mai. Das türkische Establishment hat ein neues
Feindbild:
Merve Kavakci. Galt bisher der PKK-Chef Abdullah Öcalan als Staatsfeind
Nummer 1, so beginnt nun die junge Abgeordnete der islamistischen Tugend-Partei
(FP) ihm diese Rolle streitig zu machen. Die Tumulte, die Kavakci am Sonntag
im Parlament auslöste, als sie als erste Frau in der Geschichte der
türkischen Republik den Plenarsaal mit einem Kopftuch betrat, waren
wohl nur ein Vorgeschmack auf das, was nun folgt.
Bürgerliche Politiker und große Teile der Medien schießen
sich auf Kavakci ein, sehen Gefahr für die weltliche Verfassungsordnung
der Türkei. „Kavakci ist Agentin des Auslands“, erklärte die
liberale Zeitung Cumhuriyet. Die FP-Abgeordnete sei „nicht zufällig
ins Parlament gekommen“, ahnt das Massenblatt Hürriyet. Sie habe Verbindungen
zur militanten Palästinenserorganisation Hamas, schreibt die Zeitung
Milliyet und rückt damit die 31Jährige in den Dunstkreis des
Terrorismus. Auch Staatspräsident Süleyman Demirel glaubt zu
wissen, daß die junge Frau als „Agent provocateur“ im Parlament sitzt.
Es gebe Beweise, daß Kavakci „Verbindungen zu bestimmten Ländern“
habe. Welche Länder das sein könnten, Iran etwa oder Saudiarabien,
ließ der Staatschef offen.
Nachweisliche Verbindungen ins Ausland hat die Computersoftware-Spezialistin
tatsächlich: sie verbrachte einen Teil ihrer Jugend in den USA, wo
noch heute ihre Eltern leben. Während Demirel durch die Kopftuchtracht
den Tatbestand des „Separatismus“ erfüllt sieht und die Staatsanwälte
gegen die Abgeordnete wegen des Verdachts der „Volksverhetzung“ ermitteln,
bleibt die parlamentarische Karriere der Merve Kavakci in der Schwebe.
Ihren Amtseid konnte sie am Sonntag wegen der Tumulte nicht ablegen, die
Sitzung wurde ohne sie fortgesetzt. Versäumt sie fünf Sitzungen,
würde sie ihr Mandat verlieren.