»Volkszorn«, trifft Öcalans Anwälte
Zweite Verhandlung gegen den PKK-Vorsitzenden
Von Jan Keetman, Istanbul
Am Wochenende fand in Ankara die zweite Verhandlung gegen PKK-Chef Abdullah Öcalan nach seiner Festnahme in Abwesenheit des Angeklagten statt.
Vor dem Eingang des Staatssicherheitsgerichtes in Ankara hat sich eine
Gruppe älterer Frauen und Männer mit den Bildern ihrer gefallenen
Söhne versammelt. Einige haben sich mit Stecknadeln türkische
Fahnen wie Schürzen vor die Brust gebunden.
Ein hagerer Mann Mitte 50, an dessen Revers mehrere Medaillen befestigt
sind, tritt zeitweise als Wortführer der Gruppe auf. Er heißt
Mehmet Altintas und ist Vorsitzender eines von 30 Vereinen der Familien
der »Märtyrer«, wie in der Türkei gefallene Soldaten
genannt werden. Auf Nachfrage erklärt er die Forderungen ihrer Vereine.
Ihr erstes Ziel ist die Hinrichtung des »Vaterlandsverräters«
Öcalan, das zweite die Hinrichtung »aller Vaterlandsverräter,
die ihm geholfen haben«. Außerdem verhandeln sie mit einem
Ministerium um die Erhöhung der monatlichen Rente, die der Staat den
Eltern jedes »Märtyrers« zahlt und die derzeit gut das
Dreifache des türkischen Mindestlohnes beträgt.
Gelegentlich bricht die Gruppe in wütende Parolen aus wie: »Hunde
ohne Vaterland - PKK ohne Nation!« Eine andere Gruppe von Männern
mittleren Alters, alle von kräftiger Statur, überbietet sie manchmal
noch mit Parolen wie »Die Türkei wird das Grab Apos!«
und »Die Märtyrer sind unsterblich, das Vaterland ist unteilbar!«
Vor allem stürzt sich die zuletzt genannte Gruppe sofort auf jeden
Anwalt Öcalans, den sie zu sehen bekommt. Zweimal gelingt es ihnen,
einen Anwalt zu schlagen, ehe sie die reichlich anwesende Polizei abdrängen
kann. Diese macht jedoch keinen Versuch, die Angreifer festzunehmen oder
ihre Personalien festzustellen.
Im überfüllten Gerichtssaal geht es wieder turbulent, zu.
Die Verteidigung stellt den Antrag, das Verfahren wegen mangelnder Unabhängigkeit
des mit zwei Zivilrichtern und einem Militär besetzten Staatssicherheitsgerichtes
zu stoppen. Wenn nicht, soll das Verfahren näher an den Ort des Geschehens,
nach Diyarbakir, verlegt werden. Die »Märtyrer«-Angehörigen
im Saal empfinden dies als Zumutung und beschimpfen die Verteidiger als
»ehrlos« oder »Nachkommen von Griechen, die die Fahne
der PKK verehren«. Eine Frau im Publikum wird ohnmächtig und
muß von einem Arzt hinausgebracht werden.
Der Vorsitzende Richter Mehmet Turgut Okyay ist bemüht, die Redezeiten
zwischen den 17 Anwälten Öcalans und den rund 70 Anwälten
der Nebenklage etwa gleich zu verteilen und ruft das Publikum zur Ruhe
auf. Das Gericht lehnt die Anträge der Verteidigung. ab und beschließt,
alle Anklagen gegen Öcalan zusammenzulegen und das nächste Mal
am 31. Mai in Anwesenheit des Angeklagten auf der Gefängnisinsel Imrali
zu verhandeln. Von Verteidigung und Nebenklage sollen jeweils nur 12 Anwälte
-sowie weitere 90 Personen Publikum und Presse zugelassen werden. Internationale
Beobachter, deren Zulassung die Außenminister der EU im Februar gefordert
hatten, dürfen an dem Prozeß nicht teilnehmen.
Die Beschränkung der Zuschauerzahl führt zu wütenden
Protesten des Publikums, dessen Zorn sich schließlich wieder gegen
die Verteidiger richtet, die im Laufschritt, mit geducktem Oberkörper,
die Aktentasche über dem Kopf, durch einen Polizeikordon den Gerichtssaal
verlassen. Später berichten die Anwälte, sie seien auch von den
Polizisten, die sie zu ihrem Schutz abgetrennt hatten, getreten und mit
Polizeiknüppeln geschlagen worden und man habe sie unter Drohungen
aufgefordert, einen Marsch zu singen. Die Polizei habe sie schließlich
in ein anderes Viertel gebracht und Passanten mit den Worten »das
sind Apos Anwälte« auf sie gehetzt.