An
den „Beauftragten für Menschenrechte
und Humanitäre Hilfe“
Herrn
GERD POPPE
Auswärtiges Amt
BONN
OFFENER BRIEF
Sehr geehrter Herr Beauftragter GERD POPPE,
Sie kennen die Merkwürdigkeiten bei der Begegnung des Kurdenführers
Abdullah Öcalan mit Europa? -: Ein von Interpol gesuchter Delinquent
nähert sich den rechtsstaatlichen Metropolen aus eigenem Antrieb,
erklärt sich bereit, ein prozessuales Tribunal zu akzeptieren, auch
jedes europäische Gericht, wenn dieses nur willens sei, nicht
nur über ihn, sondern auch über die Verbrechen der Türkei
an den Kurdinnen und Kurden zu verhandeln.
Bekanntlich mochte die europäische Wertegemeinschaft dem als „Terrorist“
gesuchten Mann kein rechtsstaatliches Verfahren zur Verfügung stellen,
sondern trennte sich ironischerweise wieder mit Macht von dem zuvor Verfolgten,
der daraufhin mit automatischer Sicherheit in die Hände derjenigen
geraten mußte, die ihm am allerwenigsten ein faires und unabhängigen
Prozeß garantieren können: gemeint ist der Staatsgerichtshof
der Türkei in Ankara.
Heute lese ich den gerade veröffentlichten Bericht des Europarats:
„Öcalan ist in schlechter psychischer Verfassung. Er dürfe
weder Radio hören noch Zeitung lesen. Er befindet sich in absoluter
Isolation. Es herrsche Sprechverbot mit seinen Wärtern.“ Von den Anwälten
Öcalans hört man, daß sie bis heute unter den Augen der
Polizei sechsmal zusammengeschlagen wurden. Ihre Namen finden sie auf öffentlich
kursierenden Todeslisten. Mit ihrem Mandanten haben sie bis heute vielleicht
insgesamt 2 Stunden unter Bewachung sprechen können. Dafür kursieren
die vertraulichen Sätze zwischen Anwalt und Mandat bereits in der
gesamten türkischen Presse. Die den Inhaftierten genauso vorverurteilt
hat wie namhafte Politiker und Mitglieder der Regierung in ihren öffentlichen
Äußerungen. Neuerdings verweigert man ihnen die Bootsfahrt zur
Gefängnisinsel Imrali, indem diese zum militärischen Sperrgebiet
erklärt wurde.
Mehr nicht dazu, obwohl es mehr zu sagen gäbe.
Erlauben Sie nur die eine Frage: Was haben Sie in Ihrer neugeschaffenen
Amtseigenschaft bisher unternommen, um dieses Verfahren zu verhindern,
weil dessen voraussehbarer Verlauf für Demokraten nicht akzeptabel
sein kann?
Bitte antworten Sie nicht einfach, daß Sie die Türkei um
einen „fairen Prozeß“ gebeten haben, - wie das der Minister Joseph
Fischer bereits getan hat. Das geht nicht!-: ein Sondergerichtshof mit
Militärrichtern kann prinzipiell kein „fair trial“ bieten. Das werden
Sie aus Ihrer Biographie ähnlich beurteilen müssen.
Um so dringlicher meine Frage an Sie: Was tun Sie, was tut Ihr Amt,
was tut die Bundesregierung, um eine peinliche juristische Farce mit obendrein
wahrscheinlich tödlichen Konsequenzen für einen Angeklagten zu
verhindern, den Europa nicht beurteilen wollte und ihn deshalb an diejenigen
auslieferte, die ihn umbringen werden.
Ich warte auf Ihre Antwort.
Mit freundlichen Grüßen
Hans Branscheidt