Öl bedeutet Leben
Neue Pipeline von Baku zum Schwarzen Meer eröffnet
Von Stefan Koch (Baku)
Die alten Villen von Baku haben Patina angesetzt. Wolldecken dichten
notdürftig so manches Fenster ab, und auf den Dächern liegen
rote und schwarze Ziegel direkt neben Wellblech. Wo vor 80 Jahren die Familien
Rothschild und Nobel zum letzten Mal ihr Winterquartier bezogen, herrscht
heute eine unwirkliche Atmosphäre. Das Monaco Zentralasiens büßte
schon vor Jahrzehnten seinen vielbeschriebenen Charme ein. Das neue Symbol
der Region steigt dem Besucher dagegen in allen Straßen und Gassen
in die Nase: der Geruch nach Öl und Meer.
An den sanften Hängen des auslaufenden Kaukasus gelegen, bietet
Baku direkt am Kaspischen Meer eine faszinierende Kulisse. Hochhäuser
am Ufer und Bohrtürme im Wasser erinnern zwar daran, daß auch
zu Zeiten der sozialistischen Sowjetrepublik Aserbaidschan viele Hoffnungen
in die Förderung von Erdöl und Erdgas gesetzt worden sind. Die
prächtigen Domizile der Ölbarone der Jahrhundertwende prägen
aber noch immer das Stadtbild. Damals wie heute hoffte nahezu die gesamte
Bevölkerung, von diesem Reichtum der Natur profitieren zu können.
Doch damals wie heute wurden auch viele der Erwartungen enttäuscht.
Seit dem Ende der Sowjetunion präsentieren sich zwar unzählige
internationale Energiegesellschaften in der Hauptstadt des jungen Staates
Aserbaidschan. Die Einnahmen aus der Förderung entsprechen bisher
aber eher einem Rinnsal als einem großen Strom. Das könnte sich
allerdings bald ändern: Vor wenigen Tagen wurde eine Pipeline in Betrieb
genommen, die von Baku direkt ans Schwarze Meer führt. Auf der rund
900 Kilometer langen Strecke von Bakubis nach Supsa in Georgien soll es
eine Tageskapazität von bis zu 100 000 Barrel geben.
Die strategische Bedeutung dieses Bauwerks ist immens: Nach langen
Jahren des Verhandelns gibt es nun endlich eine Alternative zu dem Transport
über russisches Territorium. Mit jedem Barrel, das durch die neuen
Rohre strömt, rücken die Ölfelder am Kaspischen Meer enger
an den Westen und verringern die Abhängigkeit Aserbaidschans von seinem
übermächtigen Nachbarn. Bevor diese hochfliegenden Strategien
auch im Alltag erste Spuren hinterlassen, dürfte allerdings noch einige
Zeit ins Land gehen. Denn noch erzeugen die Lockmittel der westlichen Konsumgesellschaft
eher zwiespältige Gefühle: Die grellen Leuchtreklamen und teuren
Restaurants erinnern viele Aserbaidschaner immer wieder daran, von welcher
Welt sie ausgeschlossen bleiben. Die aufdringliche Werbung ist längst
Wasser auf die Mühlen religiöser Fanatiker, die das Nachbarland
Iran mit seiner Abgrenzungspolitik als Vorbild preisen.
Die geringen Einnahmen in den ersten Jahren der Unabhängigkeit
schwächten das Interesse an dieser Region aber keineswegs ab. Die
weltweit operierenden Ölfirmen und viele Regierungen der westlichen
Industriestaaten lassen sich nicht in ihrem Glauben erschüttern, sich
mit Hilfe der Energiereserven am Kaspischen Meer aus der Abhängigkeit
der großen erdölexportierenden Länder zu befreien. Obwohl
die Angaben über die Größe der Ölfelder in den vergangenen
Jahren ständig nach unten korrigiert worden sind und schon längst
nicht mehr von einem Kuwait des 21. Jahrhunderts gesprochen werden
kann, geistern zwei alte Begriffe durch viele Diskussionen rund um das
Kaspische Meer. Im „Großen Spiel“ konkurrierten im vergangenen Jahrhundert
die Großmächte Rußland und Großbritannien um den
Einfluß in dieser Gegend, der eine Schlüsselrolle für ganz
Zentralasien beigemessen worden ist. Doch schon Zar und Königin mußten
sich damit abfinden, daß sich die vielen regionalen Konflikte nicht
aus der Ferne lösen ließen - sei es in Kurdistan, Tschetschenien
oder am Berg Karabach. Nicht anders ergeht es den heutigen Ölgesellschaften,
deren kostenträchtige Pipeline-Pläne schon so manches Mal von
Unruhen in den entlegenen Gebieten durchkreuzt worden sind.
Sind die Entwicklungschancen dieser Region das Gesprächsthema,
wird früher oder später auch die „Seidenstraße“ ins Feld
geführt, die durch Zentralasien führte. Dieser alte Handelsweg
von China nach Europa verlor zwar im 16. Jahrhundert seine strategische
Bedeutung. Nichtsdestotrotz blieb der Ruf einer Route, die weit mehr als
eine bloße Handelsverbindung war. Auf der „Seidenstraße“ wurden
neben wertvollen Waren eben auch Ideen und Philosophien weitergegeben.
Von der „Seidenstraße“ profitierten außer den Handelsleuten
aus aller Welt aber vor allem die Länder am Wegesrand. Im Schatten
der mächtigen Karawansereien wuchsen vor Jahrhunderten Städte
mit stabiler Infrastruktur und vielgerühmten Universitäten. Genau
an diesen Gedanken wollen die Handelsleute unserer Tage anknüpfen:
Die Unternehmenszentralen von Siemens, Philipp Holzmann und Demenx haben
weniger das Ölgeschäft im Kopf als vielmehr die nachgeordneten
Bereiche. Soll der Bau von weiteren Pipelines tatsächlich in Angriff
genommen werden, sind neue Straßen unverzichtbar, Reparaturwerkstätten
mit modernen Maschinen und zeitgemäße Wohnungen. Wie Vertreter
dieser Firmen einmütig formulieren, wachsen daher bei vielen deutschen
Unternehmen große Erwartungen - auch wenn die klassische Ölförderung
nicht in ihr Spektrum fällt.
Erste Kontakte in diese Region versuchten sie vor zwei Jahr zu knüpfen,
als der damalige Bundeswirtschaftsminister Günter Rexrodt zu einer
Rundreise durch diese hoffnungsvolle Region Asiens einlud. Mit Erstaunen
mußten die deutschen Unternehmen dabei allerdings feststellen, daß
internationale Konzerne wie British Petrol, Chevron und Agip längst
ihre Claims abgesteckt hatten.
Die Macht dieser weitverzweigten Geldgeber erleben aber nicht nur die
deutschen Wirtschaftsleute, sondern vor allem auch die Moskauer Staatsmacht.
Die Apparatschiks alten Schlages müssen mitansehen, wie ihre geostrategischen
Überlegungen an der „Südflanke“ Rußlands mehr und mehr
durch internationale Gesellschaften außer Kraft gesetzt werden. Die
Regierungsvertreter des jungen Aserbaidschan reiben sich unterdessen die
Hände, sind ihnen doch die smarten, aber kühl kalkulierenden
„businessmen“ aus aller Welt allemal lieber, als die russischen Truppen,
die noch immer im benachbarten Kaukasus stehen. Präsident Geidar Alijew
gibt sich daher alle Mühe, mit den Nachbarn in der Ukraine, Georgien
und Kasachstan ein Gegengewicht zum nördlichen Koloß aufzubauen.
Bei der offiziellen Eröffnung der neuen Pipeline sagte der Präsident
denn auch kurz und bündig: „Öl bedeutet Leben.“