Recht oder Moral?
Der Krieg der NATO gegen Jugoslawien entbehrt jeder juristischen
Grundlage.
Von Uwe-Jens Heuer
Deutschland führt wieder Krieg. Bei den Kriegsgegnern nehmen Wut,
Erregung, aber auch das Gefühl von Ohnmacht zu. Es wächst der
Wunsch nach einer objektiven Analyse, die Ausgangspunkt für eigenes
Handeln sein kann. Die NATO hat am 24. März l999 Jugoslawien, einen
souveränen, ebenfalls der UNO angehörenden Staat, mit militärischen
Mitteln, also mit Gewalt, angegriffen. Gemäß Artikel 2 Punkt
4 der Charta der Vereinten Nationen vom 26. 6. 1945 haben alle Mitglieder
»jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit
eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen
unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt« zu unterlassen.
Von diesem Verbot gibt es gemäß Kap. VII der Charta nur zwei
Ausnahmen. Erstens kann der Sicherheitsrat - und nur er - feststellen,
ob eine Bedrohung oder ein Bruch des Friedens oder eine Angriffshandlung
vorliegt und dann entsprechende Maßnahmen bis hin zu militärischen
Sanktionen ergreifen (Art. 39 ff). Zweitens hat jeder Staat bei einem bewaffneten
Angriff auf ein Mitglied der Vereinten Nationen das Recht zur individuellen
oder kollektiven Selbstverteidigung. Entsprechende Maßnahmen sind
dem Sicherheitsrat sofort anzuzeigen. (Art. 54). Ein Angriff Jugoslawiens
auf einen der NATO-Staaten lag nicht vor und wurde dementsprechend auch
nicht angezeigt.
Das Verbot des Angriffskrieges durch die UN-Charta ist ein (Foto: Eisenbahnbrücke
über die Save nach chirurgischer Operation auf NATO-Art) zentraler
Bestandteil des antifaschistischen Völkerrechts der Epoche nach dem
Zweiten Weltkrieg.
Verschiedentlich wurde - gerade auch in letzter Zeit - die Tatsache
kritisiert, daß die Entscheidung über die Anwendung von Gewalt
zwischen Staaten vom Weltsicherheitsrat gefällt wird und insbesondere,
daß dabei die Einstimmigkeit von fünf Staaten der Anti-Hitler-Koalition
verlangt wird (das sogenannte Vetorecht). Diese Stellung ergab sich aus
den Machtverhältnissen nach dem Zweiten Weltkrieg. Sie wurde später
abgestützt durch die entsprechenden militärischen Potentiale,
insbesondere das atomare Patt. Wie jede rechtliche Regelung spiegelte sie
ein bestimmtes Kräfteverhältnis wider und sicherte in erheblichem
Maße die Konfliktlösung. Sie schloß ein Vorgehen gegen
eine der beiden Weltmächte aus.
Ist ein Krieg zur Durchsetzung von Menschenrechten in einem anderen
Staat zulässig? Auch die Menschenrechte wurden international erstmalig
in der UN-Charta verankert, in der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte
vom 10. Dezember 1948 von der Vollversammlung beschlossen und dann mit
zwei internationalen Pakten 1966 rechtsverbindlich gemacht. Die Staaten
sind zu ihrer Einhaltung verpflichtet. Hier ist noch außerordentlich
viel zu tun. Allerdings ist es nicht zulässig, die völkerrechtlich
verbindlichen Menschenrechte aus dem Bestand des Völkerrechts herauszulösen,
insbesondere dem Gewaltverbot entgegenzusetzen. Ihre Verwirklichung ist
in erster Linie Verpflichtung des einzelnen Staates. Die anderen Staaten
sowie die Vereinten Nationen können es von ihm verlangen und auch
zivile Mittel bis hin zu Sanktionen verwenden. Militärische Gewalt
aber gehört nicht zu ihnen, zumal sie in der Regel mehr an Menschenrechten
zerstört als sichert. Deshalb darf auch das Entscheidungsmonopol des
Sicherheitsrates nicht angetastet werden. Anderenfalls wäre der Zustand
von vor l945 - des jus ad bellum - wiederhergestellt, nur diesmal unter
der Flagge der Menschenrechtsverteidigung.
Gespenstische Debatte
Der Angriffskrieg ist und bleibt das schwerste völkerrechtliche
Verbrechen. Der NATO-Vertrag nimmt ausdrücklich auf die UN- Charta
Bezug. Im Zwei-plus-Vier-Vertrag von l990 heißt es am Ende: »Die
Regierungen der BRD und der DDR erklären, daß das vereinte Deutschland
keine seiner Waffen jemals einsetzen wird, es sei denn in Übereinstimmung
mit seiner Verfassung und der Charta der Vereinten Nationen.« Das
Grundgesetz endlich erklärt ausdrücklich im Artikel 26: »Handlungen,
die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche
Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung
eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig.« Es
war schon gespenstisch, daß diese Rechtslage in der Vorbereitung
der verhängnisvollen Entscheidung des Bundestages am 16. Oktober 1998
überhaupt nicht ernsthaft diskutiert wurde. Den Mitgliedern des Rechtsausschusses,
der übrigens noch gar keinen Auftrag vom Bundestag hatte, war noch
am Vortag ausgesprochen unwohl. Staatssekretär Funke sprach von außergewöhnlichen
Umständen, von rechtlicher Umstrittenheit, die humanitäre Intervention
sei im Entstehen begriffenes Völkerrecht. Der Vertreter des Justizministeriums
sprach von einem ganz speziellen Ausnahmefall, vom Unvermögen des
Sicherheitsrates, seiner Aufgabe gerecht zu werden. Die Sicherheitsratsresolution
11999, in der von militärischen Sanktionen eben nicht die Rede war,
sei keine eigenständige Ermächtigung, wohl aber ein wesentlicher
Baustein. Frau von Renesse von der SPD sprach von einem internationalen
Nothilferecht. In der Bundestagsdebatte des folgenden Tages berief sich
der Noch-Außenminister Kinkel vor allem darauf, daß unsere
Partner sich auf uns verlassen können. Auch er erklärte, daß
dieser Beschluß nicht zum Präzedenzfall werden dürfe. Gerhard
Schröder verwies auf Bedenken vieler Kollegen zur Rechtsgrundlage,
ihm sei ein neues Mandat lieber gewesen. Auch für Schäuble war
ein klares Mandat besser, aber auch ohne das wären wir zum Handeln
gezwungen. Man müsse auch an das denken, was morgen anstehen kann.
Nur Kurt Neumann, Gregor Gysi, Burkhard Hirsch und ich (beide in persönlichen
Erklärungen) wandten uns klipp und klar gegen die Völkerrechtswidrigkeit
der Bundestagsentscheidung. Ich wies den Außenminister hin auf einen
Artikel von Prof. Fastenrath in der FAZ vom gleichen Tag unter der eindeutigen
Überschrift »Es wird ein Präzedenzfall geschaffen«.
Es werde auf den Zustand vor der Gründung der UNO zurückgegangen,
auf das Faustrecht. Das geltende, sicher unvollkommene Völkerrecht
soll nicht durch ein verbessertes Völkerrecht ersetzt werden, sondern
durch das Faustrecht des Stärkeren. In der Folgezeit ist kaum noch
von den juristischen Grundlagen die Rede. Am 26. März erklärte
Wolfgang Schäuble im Bundestag; »Es ist nicht die Zeit für
verfassungsrechtliche Rabulistik«. Für Gerhard Schröder
ist der Krieg gegen Jugoslawien nicht weniger als eine neue Seite der Weltgeschichte,
es ginge um den Gründungskonsens für ein Europa der Menschen
und der Menschenrechte. In der Bundestagsdebatte vom 15. April 1999 hatte
er sogar behauptet, daß der Anlaß für dieses Zusammenstehen
in der EU, also der (Foto: Schröder und Fischer am 9. Oktober 1998
in Washington - vermutlich schon zum Empfang der Kriegsbefehle) Angriffskrieg,
»die Werte und die Grundorientierungen der Europäer, des europäischen
Zivilisationsmodells berührt.« Die neue Regierung steht auch
hier durchaus in Kontinuität. Bereits am 19. Juni 1998 hatte der damalige
Verteidigungsminister Rühe erklärt: » Der Königsweg
ist der Weg über den UN- Sicherheitsrat. Aber was machen Sie, wenn
Sie dort kein Ergebnis bekommen ... Wir handeln auf einer gesicherten Rechtsgrundlage.«.
Hier tritt etwas zutage, das man nur als rechtsnihilistisch charakterisieren
kann. Nicht zuletzt die Erfahrungen der DDR haben mich gelehrt, gegenüber
jedem Angriff auf das positive Recht im Namen höherer Werte, »der
Geschichte«, der Politik, der Gerechtigkeit mißtrauisch zu
sein. In der DDR gab es immer wieder das Bestreben, unter Berufung auf
die von der Geschichte legitimierte »Parteilichkeit« die Einhaltung
des positiven Rechts in Frage zu stellen. Ich habe die Position der Einhaltung
des geltenden Rechts nachdrücklich verteidigt, weil sie in meinen
Augen für sozialistische Demokratie und Gesetzlichkeit unverzichtbar
war: »Jede andere Position würde neben das geltende Recht ein
zweites, drittes, viertes Recht stellen, das sich auf objektive Gesetze,
Ergebnisse der Wissenschaft, Vorstellungen der Massen oder Parteibeschlüsse
berufen könnte.« Bundesdeutsche Juristen haben mit Recht mangelnde
Rechtsstaatlichkeit in der DDR kritisiert, doch wie heute, besonders auf
dem Gebiet des Völkerrechts, aber auch innerstaatlich, ausgehend von
der Behandlung Ostdeutschlands, mit der Rechtsstaatlichkeit umgegangen
wird, ist erschreckend.
»Vielsagend ist,« schrieb Volker Zastrow am 19. April in
der FAZ, »daß die PDS sich in ihrer Argumentation, die in den
neuen Bundesländern weithin auf fruchtbaren Boden fällt, wiederum
legalistischer Argumentationsmuster bedient. Die Angriffe der NATO seien,
da nicht einstimmig vom Sicherheitsrat beschlossen, völkerrechtswidrig
... Dasselbe Modell wendet die PDS auch auf die justizförmige Vergangenheitsbewältigung
des staatlich induzierten Unrechts in der DDR an. Hier argumentiert sie
mit dem rechtsstaatlichen Rückwirkungsverbot. In beiden Fällen
soll das Recht aber nur instrumentalisiert werden, um Rechtsbrecher und
Rechtlichkeitsverächter vor Strafe oder Gegenmacht zu schützen.«
Ich hatte bisher stets angenommen, daß sich jeder auf die Rechte
berufen kann, die er hat, unabhängig davon, ob er ein Guter oder ein
Böser ist. Gerade darin besteht die zivilisatorische Bedeutung des
Rechts, übrigens im Unterschied zur Moral. Was aber tritt nun an die
Stelle der völkerrechtlichen Legitimation? Wer entscheidet denn nun
über Krieg und Frieden und nach welchen Maßstäben? An die
Stelle des rechtlichen Maßstab des Völkerrechts tritt in der
Argumentation der Politiker, der Massenmedien die moralische Empörung.
Unablässig ist von Greueln, von Verbrechen, von Hunderten von Massakern,
von zahllosen Massengräbern, ja von Völkermord die Rede. Pazifismus
wird als abstrakt, platt, Pazifisten werden als gesinnungsethische Illusionisten
abgestempelt. Einmal wird Jugoslawien vorgeworfen, daß es die Menschen
vertreibe, dann wieder, daß es sie zurückhalte. Abwechselnd
lautet der Sprachgebrauch Flucht, Vertreibung, Deportation. Besonders Rudolf
Scharping tut sich mit allgemeinen Behauptungen hervor. Er spricht von
Konzentrationslagern ohne den Schatten eines Beweises. Je linker die Vergangenheit,
desto schärfer die Tonart. Am 15. April warf Joseph Fischer Gregor
Gysi im Bundestag wegen seines Gesprächs mit Milosevic vor, er mache
sich »zum Weißwäscher der Politik eines neuen Faschismus«.
Fischer sieht sich folgerichtig in der Rolle der spanischen Widerstandskämpferin
>La Pasionaria<: »Wir führen keinen Krieg, wir leisten Widerstand
... die Faschisten kommen nicht durch«. Eine ungeheure moralisch-propagandistische
Welle ergießt sich über das Land, in die sich wenig kritische
Stimmen mischen. Man muß deshalb wohl Schröders Behauptung:
»Demokratien verfügen nun mal nicht über die Propagandamaschinen
von Diktaturen« in Frage stellen. Allerdings wachsen die Zweifel
an der Wirksamkeit der Propaganda, werden Stimmen gegen Manipulierung laut.
Kein Zweifel, in Kosovo tobt ein Bürgerkrieg, ein Bürgerkrieg
mit einer langen Geschichte. Es werden schlimme Untaten begangen. Gregor
Gysi hat auf systematische Vertreibungen von Kossovo-Albanern durch jugoslawische
Armee und Polizei in den Grenzregionen, aber nicht nur dort, hingewiesen.
Die Logik des Krieges und erst recht eines Bürgerkrieges führt
zu immer härteren Aktionen, die ihrerseits entsprechende Antworten
auslösen.
Angeheizter Nationalismus
Durch den NATO-Krieg jedenfalls ist keine Milderung erfolgt, der Nationalismus
aller Beteiligten nur angeheizt worden. Dabei wird zwischen gutem und bösem
Nationalismus unterschieden. Ein Großserbien ist schlimm, das war
es übrigens schon 1876, ein Großkroatien, ein Großalbanien
sind schon etwas anderes. Offenbahr ist die moralische Bewertung, da sie
selektiv und von den verschiedensten Positionen vorgenommen wird, nicht
in der Lage, die geltende, wenn auch unvollkommene völkerrechtliche
Regelung zu ersetzen. Daniela Dahn schreibt in der Berliner Zeitung, daß
es außerordentlich gefährlich sei, »wenn Vernunft durch
Moral ersetzt wird. Also Gesetze, Charten, Verträge, Verfassungen,
Statuten durch Empörung. Denn die Moral ist ein Ding, das per Definitionshoheit
immer auf der eigenen Seite ist. Ausnahmslos alle Kriege haben mit einer
moralischen Argumentation begonnen.« 1914 wurden die Sozialdemokraten
mit der Abwehr des »blutbefleckten russischen Despotismus«
(Haase) zur Zustimmung zu den Kriegskrediten bewogen, Hitler argumentierte
l939 mit den Leiden der Sudetendeutschen und dann mit polnischem Amoklauf
gegen Frieden und Recht in Europa, flüchtenden Familien, brennenden
Bauernhöfen, allgemeinem Chaos in Polen. Er erklärte in seinem
Kriegsaufruf an die Wehrmacht am 1. September 1939: »Die Deutschen
in Polen werden mit blutigem Terror verfolgt, von Haus und Hof vertrieben.«
Es gäbe unerträgliche Grenzverletzungen. »Um diesem wahnwitzigen
Treiben ein Ende zu bereiten, bleibt kein anderes Mittel, als von jetzt
ab Gewalt gegen Gewalt zu setzen«. Deswegen halte ich es auch für
falsch, wenn wirkliche oder vermeintliche Verbrechen dem verbrecherischen
Angriffskrieg gleichsam gleichwertig gegenübergestellt werden, schon
gar, wenn diese Verbrechen nach Beginn des Krieges begangen wurden. Wenn
man dann wie André Brie von zwei Übeln spricht, zwischen denen
die SPD nur eine anderen Wahl trifft als die PDS, dann ist der Weg nicht
weit, wie Helmut Holter zuerst die Beendigung der Vertreibungen als Voraussetzung
für die Einstellung des NATO- Krieges zu fordern. In der herrschenden
öffentlichen Meinung und - wie zu befürchten ist - bei einem
großen Teil der Bevölkerung ist das Verständnis für
die Notwendigkeit der Einhaltung der völkerrechtlichen Ordnung, vor
allem der Charta der Vereinten Nationen, für den verbrecherischen
Charakter des Angriffskrieges verloren gegangen. Der Krieg der Bilder,
die absolute Diskreditierung und bedingungslose moralische Verurteilung
einer Seite hat weitgehend obsiegt. Es bleibt die Frage, wer an dieser
Entwicklung ein Interesse hat, welche neue Seite der Geschichte, um mit
Gerhard Schröder zu sprechen, hier tatsächlich aufgeschlagen
wird.
»Tributpflichtige Vasallen«
Es ist gegenwärtig viel vom Versagen der NATO die Rede. Theo Sommer
schreibt: »Die Zwischenbilanz nach zwei Wochen massiver Einsätze
deprimiert: Das Bündnis hat den Konflikt miserabel vorbereitet und
führt ihn militärisch ohne Fortüne, jedenfalls ohne den
schnellen Erfolg, den manche erhofft hatten.« Lothar Bisky erklärt,
daß bisher der Krieg nur die Interessen des Milocevic-Regimes bedient
hätte. »Nach diesem Stand hat die NATO den Krieg verloren -
und weil sie das nicht eingestehen will, verlängert sie den Krieg
über den Zeitpunkt der Niederlage hinaus.« Gleichzeitig erfahren
wir allerdings, daß schon im Oktober vorigen Jahres Schröder
und Fischer wußten, welches die Ziele der Amerikaner waren: »Die
Amis wollen den Krieg«. Immer mehr ist vom unausweichlichen Bodenkrieg
die Rede, den die Militärs schon immer gefordert (und sicher auch
geplant) hatten. Schon werden Apache-Hubschrauber nach Albanien geschickt,
ebenfalls USA-Soldaten, deutsche werden folgen, die weitere Aufrüstung
der UCK steht bevor. Vielleicht sollen auch die Kroaten eingreifen, wie
einst in der Krajina. Woraus eigentlich sollen wir schließen, daß
es weitergehende Zielvorstellungen nicht schon länger gibt? Es kann
doch unterstellt werden, daß ein sofort in Angriff genommener Bodenkrieg
weder bei den Parlamenten noch bei der Bevölkerung auf Einverständnis
gestoßen wäre. Was soll es denn anderes heißen, wenn immer
von neuen Phasen gesprochen wird? Die Ziele der NATO, vor allem aber ihrer
Führungsmacht, den USA, müssen wir an anderer Stelle suchen.
Die deutlichste geostrategisch-militärpolitisch begründete Argumentation
für die amerikanische Hegemonie lieferte Zbigniew Brzezinski in seinem
Buch »Die einzige Weltmacht«. Diese Stellung beruhe darauf,
daß der gesamte eurasische Kontinent »von amerikanischen Vasallen
und tributpflichtigen Staaten übersät« sei. Zugleich beruhe
die imperiale Macht »in hohem Maße auf der überlegenen
Organisation und auf der Fähigkeit, riesige wirtschaftliche und technologische
Ressourcen umgehend für militärische Zwecke einzusetzen, auf
dem nicht genauer bestimmbaren, aber erheblichen kulturellen Reiz des amerikanischen
way of life sowie auf der Dynamik und dem ihr innewohnenden Wettbewerbsgeist
der Führungskräfte in Gesellschaft und Politik«. Die drei
Imperative imperialer Geostrategie seien, »Absprachen zwischen den
Vasallen zu verhindern und ihre Abhängigkeit in Fragen der Sicherheit
zu bewahren, die tributpflichtigen Staaten fügsam zu halten und zu
schützen und dafür zu sorgen, daß die >Barbarenvölker<
sich nicht zusammenschließen«. Speziell für Rußland
wird dabei besonderer Wert auf einen künftigen NATO- Beitritt der
Ukraine gelegt. Von einer solchen Strategie her ist das Vorgehen der USA
durchaus verständlich. Aus ihr ergibt sich auch zwangsläufig,
daß nur solche bewaffneten Erhebungen unterstützt werden, die
in dieses Konzept passen, also eben nicht die Palästinenser oder Kurden,
sondern die Kosovo-Albaner. Die Auswahl erscheint nur dann willkürlich,
wenn man nicht die Interessen der USA in Betracht zieht. »Schurken
sind die Länder mit schlechten Beziehungen zu den USA«, lautete
die Überschrift eines Artikels über die neue USA-Militärdoktrin.
Dabei sind auch weitergreifende Ziele einbegriffen. Europa, so erklärte
Clinton bei seiner Begründung des Krieges, werde von den USA als Partner
gebraucht, es sei der Schlüssel zu einer langfristig starken US- Wirtschaft
und für die Chancen des Landes, seine Waren weltweit ungehindert zu
vertreiben. Gleichzeitig soll Europa, das heißt die EU, der US-amerikanischen
Vorherrschaft unterworfen, soll Rußland eingebunden, also untergeordnet
und zugleich als »Papiertiger« gedemütigt werden. Geht
es in Jugoslawien nicht um Öl, so doch in Kasachstan, das heute schon
ökonomisch und bald auch politisch zur US-amerikanischen Einflußsphäre
gehören soll. Fern am Zeithorizont wird schon das Problem China sichtbar.
Diese Strategie hat auf die Probleme der heutigen Welt eine Hauptantwort,
den Einsatz von Krisenreaktionsstreitkräften, und kann das bestehende
Völkerrechtsystem, kann die Dominanz der UNO nicht akzeptieren. Sein
Abbau war vorgedacht im Konzept der humanitären Intervention.
Der Kampf für die Verteidigung und den Ausbau der nach dem Zweiten
Weltkrieg entstandenen Völkerrechtsordnung ist der Form nach ein Kampf
für die Verteidigung des Rechts. Seinem Inhalt nach ist es ein Kampf
für die Beendigung der Ausbeutung und Unterdrückung der Mehrheit
der Erdbevölkerung. Ein Zivilisationsmodell, das auf den Trümmern
des Völkerrechts und der Ausbeutung und Unterdrückung der Mehrheit
beruht, wird keinen Bestand haben, Es wird längst nicht das Alter
des römischen Weltreichs erreichen, aber vielleicht vorher die ganze
Menschheit in den Abgrund reißen. Der Preis für das Scheitern
einer Alternative zur heutigen Gesellschaft ist Finsternis (Hobsbawm).