Eine bewaffnete Formation
Politik Zu „Sorge um eine Abkehr der Türkei von Europa“ von Joachim
Widmann (23. April):
Der Schlußsatz in dem Artikel „Sorge um eine Abkehr der Türkei
von Europa“ ist Anlaß für mich, diesen Brief zu schreiben. Der
Satz lautet: „Die Bereitschaft vor allem der USA, den Nato-Partner Türkei
im Sinne der Menschenrechte zu bedrängen, stehe weiterhin freilich
in Frage.“
Das klingt für mich sehr merkwürdig, ist doch die Begründung
für den Krieg der Nato gegen die Bundesrepublik Jugoslawien, daß
dort die Menschenrechte gröblichst verletzt werden. Diese gravierenden
Verletzungen rechtfertigen deshalb auch die Verletzung des Völkerrechts,
der Uno-Satzung und auch die Ignorierung des eigenen Nato-Statuts. Und
auch nationale Verfassungen, wie zum Beispiel das Grundgesetz der Bundesrepublik
Deutschland, können dann ebenso als nicht so bindend betrachtet werden.
So höre ich es täglich, so lese ich es täglich.
Also, wenn die Begründung für den Krieg korrekt ist und sie
somit die Grundlage für die Bewertung auch anderer souveräner
Staaten darstellen wird, dann muß die Nato aber ganz flink zum Beispiel
die Türkei bombardieren. Mit der Demokratie nimmt es nach EU-Einschätzung
die Türkei nicht so genau, zum Beispeil steht ein Militärischer
Sicherheitsrat über den parlamentarischen Institutionen als eine Art
Politbüro. Das entspricht nicht ganz den westeuropäischen Normen!
Und wollen die Kurden in diesem Land nicht auch ethnische Selbstbestimmung,
ihre Kultur ohne Diskrimierung leben, ihre Sprache ungehindert sprechen,
und wollen sie nicht auch wie die Albaner im Kosovo ein autonomes Siedlungsgebiet
ohne Vertreibung? Für diese Ziele, die offenbar durch politische Verhandlungen
mit der türkischen Regierung nicht erreichbar waren, haben sich vermutlich
die Kurden eine bewaffnete Formation geschaffen. Sicher, die offizielle
Sprachregelung lautet noch „terroristische Vereinigung“, wenn von der PKK
die Rede ist. Das kann dann jedoch – wie bei der UCK geschehen – in „Befreiungsarmee“
umgewandelt werden.
Jugoslawien wird vorgeworfen, daß es Uno-Beschlüsse verletzt
habe. Trifft das nicht auch auf die Türkei zu? Die Annexion eines
Teils Zyperns durch eine türkische Invasion im Jahre 1974 ist von
der Uno verurteilt worden, und die Türkei ist aufgefordert, sich von
dort wieder zurückzuziehen und die Einheit des Inselstaates wiederherzustellen.
Kommt es nicht auch hin und wieder vor, daß die Türkei die
Grenzen eines weiteren souveränen Staates ignoriert und mit seinen
Truppen die irakische Grenze überschreitet? Begründet wird es
mit der Verfolgung von Terroristen.
Jörg Kuhle, Berlin-Hakenfelde