Grob schubst die Polizistin ihn gegen die Wand
Eine Reise wie keine andere: Eine Stunde in der Haut des Asylbewerber
Bedrettin, eines 20jähriger Kurden
Von Jakob Jung, Michael Wichmann und Falko Westenberger
Durch dreckige, zerschlagene Fensterscheiben fällt Licht auf den
Boden, der staubig ist. Wir atmen Luft, die trocken und kalt ist. Von den
teilweise mit Graffiti bemalten Wänden bröckelt der Putz. Hier
beginnt die "Reise wie keine andere": die Ausstellung "Unerwünscht".
Die Szenerie war bereits 1995 in Brüssel zu sehen, 1997 in Rom und
1998 in Paris: ein Flüchtlingslager, ein Grenzübergang, eine
halbzerbombte Stadt.
Die Reise beginnt: Alle 15 Minuten wird eine Gruppe von zehn bis 25
Personen hineingelassen. Ein Mann, der sich uns als Heinz vorstellt, steht
vor einem Haufen Koffer. Einen hält er in der Hand. Heinz fragt uns,
was wir mitnehmen würden, müßten wir aus unserer Heimat
plötzlich ausreisen. In seinem Koffer, sagt Heinz, sei Hoffnung. Und
wer durch die Ausstellung durchkommen wolle, müsse viel Hoffnung haben.
Danach weist uns ein Mann im roten Overall ein. Wir sehen uns Steckbriefe
und kurze Lebensgeschichten von bestimmten Asylbewerbern an und werden
aufgefordert, eins dieser Schicksale auszuwählen. Da man auch als
Gruppe einen Charakter übernehmen kann, werden wir zu dritt zu Bedrettin,
einem 20jährigen kurdischen Verkäufer, geboren in Mykdan in der
Türkei.
Wir gehen zum Paßamt, einem Schalter, an dem zwei Männer
und eine Frau arbeiten. Die Frau fragt uns nach unserem Namen. Nachdem
wir ihr geantwortet haben, klebt sie uns orangefarbene Punkte auf die Stirn
und schickt uns zum Beamten neben sich. Der gibt uns die Pässe und
fordert uns unwirsch auf, die Formulare auszufüllen. Dann klebt er
ein Foto ein und stempelt den Paß ab.
Wir denken gerade noch, daß alle hier recht gute Schauspieler
sind, als uns eine Frau, die eine Uniform trägt, anbrüllt. Wir
sollen ihr unsere Pässe zeigen. Obwohl sie mindestens einen Kopf kleiner
ist als wir, läßt sie sich nicht aus dem Konzept bringen. Während
sie unsere Papiere kontrolliert, beobachten wir, daß weitere Uniformierte
anderen Besuchern mit Schlägen drohen und sie anherrschen, sie gefälligst
anzusehen.
Die kleine Soldatin blickt uns scharf an und fragt uns, ob wir wüßten
daß unser Onkel für die PKK tätig ist. Wir antworten mit
gespieltem Erstaunen:
"Ach, da ist unser Onkel..." und unterdrücken eine noch frechere
Antwort.
Die Frau verdächtigt uns daraufhin, daß wir selbst der PKK
angehören. Wir streiten dies erstaunt ab, worauf sie mißtrauisch
wird und befiehlt, so schnell wie möglich aus dem Land zu verschwinden.
Also begeben wir uns zu einem "Wegweiser".
Diese Wegweiser enthalten Berichte über das, was Bedrettin passiert,
da ihm teilweise Dinge widerfahren, die man dem Besucher nicht zumuten
kann. So ist beispielsweise beschrieben, daß Bedrettins Onkel, der
als Untermieter bei seinem Bruder, unserm Vater, lebt, eines Tages verschwindet.
Danach wird Bedrettin von der türkischen Geheimpolizei entführt,
befragt und während des Verhörs geschlagen. Bedrettins Familie
ist der Meinung, daß er das Land sofort verlassen muß. Er reist
auf illegalem Wege nach Deutschland ein...
Wir kommen also in "Deutschland" an, wo wir bei der Behörde für
Anerkennung von Flüchtlingen Kirchenasyl beantragen. Auf weiteren
Wegweisern steht, daß Bedrettin Kirchenasyl gewährt wird und
daß er als Schwarzarbeiter sein Geld verdient. Nachdem wir das gelesen
haben, begeben wir uns zur Behörde, wo uns mitgeteilt wird, daß
unser regulärer Asylantrag abgelehnt wurde. Erklärt wird uns
das nicht. Also begreifen wir auch nicht, warum wir wieder weg müssen.
Wir werden von einer Polizistin in Abschiebehaft gesteckt. Grob schubst
sie uns gegen die Wand, wo sie uns durchsucht. Etwas gelangweilt wirft
sie uns vor, illegal eingereist zu sein und Schwarzarbeit geleistet zu
haben. Nachdem sie uns informiert hat, daß wir abgeschoben
werden, reißt sie einem von uns den Rucksack herunter und durchwühlt
ihn. Danach läßt sie uns einige Zeit an die Wand gelehnt stehen.
Die Zelle ist ein unwirtlicher Ort: eine Bank, eine verdreckte Toilette.
Nachdem sich die Polizistin um die anderen Gefangenen gekümmert hat,
fordert sie uns auf zu verschwinden.
Der letzte Raum der Ausstellung ist weiß und darin ist zu lesen,
was aus den verschiedenen Charakteren geworden ist. Bedrettin wurde abgeschoben.
Aus Angst vor den türkischen Sicherheitskräften hat er sich nicht
gewehrt.
Ziehenschule, Frankfurt am Main