Ankara schafft die Kurden ab
Vor dem Prozeß gegen PKK-Führer Öcalan veröffentlicht
die Türkei eine Liste verbotener Wörter – die Sprachpolizei läßt
grüßen
Gut eine Woche dauert es noch, bevor der Prozeß gegen Abdullah
„Apo“ Öcalan, den Führer der separatistischen „Arbeiterpartei
Kurdistans“ (PKK) beginnt, aber die Türkei hat die Kurden schon jetzt
abgeschafft – mit einem Federstrich.
In einem Erlaß an die staatlichen Medien hat das Innenministerium
in Ankara die künftig verbindliche Sprachregelung festgelegt, und
da hat das Wort „kurdisch“ keinen Platz mehr. Aus Kurden werden einheitlich
„Terroristen“; nur wenn sie jenseits der Grenzen leben, heißen sie
„Nord-Iraker“.
Insgesamt 37 Wörter umfaßt die Liste des Innenministeriums.
Sie war bereits am 26. April erstellt und dem staatlichen Rundfunk- und
Fernsehsender TRT sowie der amtlichen Nachrichtenagentur „Anadolu Ajansi“
zugestellt worden. Doch erst jetzt berichtete die Istanbuler Tageszeitung
Milliyet über die Sprachvorschriften. Verbindlich sind sie nur
für staatliche Medien; doch es ist nicht auszuschließen, daß
sich private Zeitungen und Sender anschließen werden.
Nicht einmal assimilierte Kurden in der Türkei, die gerne als
„Bürger erster Klasse“ eingestuft werden, dürfen Kurden genannt
werden. Sie heißen „türkische Bürger“, oder „unsere Bürger,
die von separatistischen Kreisen Kurden genannt werden“. Dies ist
übrigens der einzige Fall, in dem das Wort „separatistisch“ Verwendung
findet. Nach den Anweisungen aus Ankara ist es ab sofort durch den Begriff
„terroristisch“ zu ersetzen.
Falls „Apo“ Öcalan während des Prozesses einen Friedensaufruf
an die Guerillas der PKK richten sollte, dann würde sich dieser Sachverhalt
bei TRT so anhören: „Der Terrorist Öcalan hat die Banditen der
blutigen Terror-Organisation zu einer vorübergehenden Einstellung
der terroristischen Aktivitäten aufgerufen“ – die Sprachpolizei totalitärer
Regime läßt grüßen. Noch nicht einmal die unverfängliche
geographische Bezeichnung „Südosten“ hat Bestand, mit der bislang
die kurdisch besiedelten Gebiete der Türkei umschrieben wurden. Nach
dem Ukas aus Ankara handelt es sich nunmehr um „unsere Bürger im Osten
der Türkei“.
Die Sprachreiniger haben sogar an die Kurden im Nachbarstaat Irak gedacht.
Obwohl irakische Kurden gemeinsam mit den türkischen Streitkräften
gegen die PKK kämpfen, verlieren auch sie in den türkischen Medien
ihre kurdische Identität. Aus den Peschmerga-Kämpfern des kurdischen
Clanführers Massud Barsani beispielsweise werden die „Nord-Iraker
des nord-irakischen Clanchefs Barsani“.
Barsani ist es auch, der in den nominell unter amerikanischem Schutz
stehenden autonomen Kurdengebieten rings um Mossul und Arbil die Fundamente
für einen kurdischen Staat zu legen versucht. Doch weil man in Ankara
nichts so sehr fürchtet wie kurdische Autonomie irgendwo auf der Welt,
hat man sich für die Schutzzone nördlich des 36. Breitengrades
einen besonders schwerfälligen Namen ausgedacht, der aber den Vorteil
besitzt, ohne irritierende Reizwörter auszukommen: „Das im Nord-Irak
Entstehende.“ Vorgeblich dient die Liste der verbotenen Wörter einer
„Vereinheitlichung der Begriffe“. Viel wichtiger aber ist, daß „im
Hinblick auf spätere Ereignisse“ – gemeint ist der Öcalan-Prozeß
– eine „Diskussion verhindert“ werden soll. Das Kalkül ist einfach:
Wenn man alle Kurden kurzerhand als Terroristen kriminalisiert, gibt es
auch keine Kurdenfrage, über die man nachdenken müßte.
So einfach das Kalkül ist, so kurzsichtig ist es. Es ging schon damals
nicht auf, als man die Kurden noch offiziell Bergtürken nannte. Wolfgang
Koydl