Berliner Zeitung 21.5.99

Früherer Stellvertreter Abdullah Öcalans zum Tode verurteilt

ANKARA, 20. Mai. Zwei führende Mitglieder der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) sind von einem türkischen Militärgericht zum Tode verurteilt worden. Ein Richter sagte im Gerichtssaal, es hätten ausreichende Beweise vorgelegen, um dieses Urteil zu fällen. Das Gericht in der südosttürkischen Stadt Diyarbakir, über die der Ausnahmezustand verhängt ist, befand den 46jährigen Semdin Sakik und seinen Bruder Arif Sakik für des Hochverrats schuldig. Den Antrag Sakiks auf Minderung der Todesstrafe in eine lebenslange Haftstrafe lehnte das Gericht ab.

Zuflucht im Irak
Nach Ansicht der Richter war Sakik verantwortlich für 191 Überfälle der PKK, bei denen 283 Menschen getötet wurden. Sakik war jahrelang die Nummer zwei in der PKK, die zunächst für einen unabhängigen Kurdenstaat im Südosten der Türkei kämpfte und inzwischen für die Autonomie eintritt. Kurz vor seiner Gefangennahme durch türkische Truppen vor 13 Monaten im Norden des Irak hatte sich Sakik wegen Fragen der Taktik mit Öcalan überworfen. Nach Angaben von Vertretern der Sicherheitskräfte hatte der "Fingerlose Zeki", wie Semdin Sakik seit dem Verlust eines Daumens bei einem Gefecht auch geannt wird, bei einer irakischen Kurden-Gruppe Zuflucht gesucht.
Sakik bestritt vor Gericht die Vorwürfe und sagte, er habe sich innerhalb der Organisation stets gegen den bewaffneten Kampf gewandt, sich aber nicht gegen Öcalan durchsetzen könen. Sakik überwarf sich später mit Öcalan und wurde 1998 von der türkischen Armee in Nordirak gefangengenommen.
Die Brüder übernahmen ihre Verteidigung vor Gericht selbst, da ihre Verteidiger zuvor Morddrohungen erhalten hatten. Die Angeklagten können Berufung gegen die Urteile einlegen. Die Vollstreckung der Todesstrafe bedarf der Zustimmung des Parlaments. Zudem kann der türkische Staatspräsident Verurteilte begnadigen. Die letzte Hinrichtung wurde in der Türkei 1984 vollzogen.

Zeuge gegen Öcalan
Sakik hatte den türkischen Behörden zudem wichtige Hinweise auf die Rolle Syriens beim Unabhängigkeitskampf der PKK gegeben. Er hoffe, von einem neuen Amnestie-Gesetz profitieren zu können, das von der künftigen Regierung verabschiedet werden soll. Sakik bot an, bei dem anstehenden Öcalan-Prozeß auszusagen. Dadurch könnte die Todesstrafe gegen Sakik bei einer Berufungsverhandlung reduziert werden.
Das Verfahren gegen PKK-Führer Öcalan vor einem Sondergericht auf der Gefängnisinsel Imrali soll am 31. Mai mit einer Anhörung beginnen. Die Staatsanwaltschaft hat bereits in ihrer Anklage die Todesstrafe für Öcalan verlangt. (AP, Reuters)



Berliner Zeitung 21.5.99

Abstimmung über den Weg nach Europa

Von Joachim Widmann
Der Prozeß gegen Abdullah Öcalan hat noch nicht begonnen, da steht schon fest, daß er zum Tode verurteilt wird. Nachdem ein türkisches Militärgericht gegen zwei frühere Vertraute des PKK-Chefs die Höchststrafe verhängt hat, bleibt Öcalans Richtern für eine mildere Entscheidung kein Spielraum mehr. Die Entscheidung, ob die Urteile vollstreckt werden, liegt allerdings beim Parlament. Es wird eine Entscheidung über die Zukunft der Türkei in Europa.
Die Europäische Union und der Europarat könnten Hinrichtungen noch weniger hinnehmen als die alltäglichen Verletzungen von Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten, derentwegen der Türkei die Anwartschaft auf den EU-Beitritt aberkannt wurde. Gern mißverstehen türkische Nationalisten die humanitäre Haltung Europas als eine Kumpanei mit Separatisten, Massenmördern und Terroristen. Die nationalistische MHP stellt die zweitstärkste Fraktion und ist für eine Regierungskoalition im Gespräch. Auch ihre Parlamentarier werden mit der Entscheidung über die Urteile zugleich für oder gegen den absoluten Anspruch auf nationale Einheit, für oder gegen eine Versöhnung mit den Kurden, für oder gegen die Eingliederung der Türkei in Europa stimmen müssen. Der Tod der PKK-Leute wäre zugleich das Ende der türkischen Europa-Bindung und jedes Weges, der zu einem Frieden mit den Kurden führen könnte. 



Stuttgarter Zeitung 21.5.99

Zwei PKK-Funktionäre zum Tod verurteilt

ISTANBUL (afr). Knapp zwei Wochen vor dem Beginn des Prozesses gegen gegen PKK-Chef Abdullah Öcalan hat ein Staatssicherheitsgericht in der südosttürkischen Stadt Diyarbakir zwei führende Mitglieder der Kurdischen Arbeiterpartei PKK zu Tod verurteilt. Die drei Richter sprachen Semdin Sakik und seinen Bruder Arif des Hochverrates schuldig.
Beide hatten sich schon früher von der PKK losgesagt und sich unter den Schutz einer mit der Türkei befreundeten Kurdenpartei im Nordirak begeben. Dort wurden sie im April 1998 von türkischen Truppen aufgegriffen und in ihre Heimat gebracht. Der 46jährige Semdin Sakik war viele Jahre lang die Nummer zwei der PKK und kommandierte ihre Operationen in der Türkei. Das Gericht machte ihn verantwortlich für den Tod von 125 Mitgliedern der Sicherheitskräfte und 123 Zivilisten, die bei 191 Anschlägen starben. In 51 Fällen soll Sakik selbst dabei gewesen sein. Nach einem Streit mit Öcalan über die einzuschlagende Taktik trennten sich die beiden. Sakik hat darum gebeten, im Prozeß gegen Öcalan aussagen zu dürfen.