Chemiewaffen gegen Kurden
NATO-Land Türkei setzt völkerrechtlich geächtete Waffen
gegen Zivilisten ein In einer Erklärung der Nationalen Befreiungsarmee
Kurdistans, die das Kurdistan Informations-Zentrum (KIZ) diese Woche verbreitete,
wird der türkischen Armee der Einsatz von Raketen mit chemischen Sprengköpfen
im Kampf gegen die kurdische Guerilla vorgeworfen. Danach habe die türkische
Armee am 11. Mai in der Nähe des Dorfes Ballikaya bei Sirnak und Silopi
- im türkisch-irakischen Grenzgebiet - eine Guerillagruppe eingeschlossen
und diese mit chemisch bestückten Raketen beschossen. Wörtlich
heißt es in der vom KIZ verbreiteten Erklärung: »Sowohl
die sterblichen Überreste der Guerilleros als auch Teile der angewendeten
chemischen Sprengköpfe befinden sich in den Händen unserer Armee.
Diese stehen für Nachforschungen von internationalen Institutionen
zur Verfügung. Wir laden die zuständigen internationalen Kontrollgremien,
die die internationalen Abkommen wie die auch von der Türkei unterzeichnete
Genfer Konvention kontrollieren (...) dazu ein, die das Kriegsrecht verletzenden
Methoden des türkischen Staates vor Ort zu analysieren und zu verurteilen.«
Der Vorwurf, daß die türkische Armee nicht nur für Vertreibungen
der kurdischen Zivilbevölkerung und Bombardierungen von Dörfern
und Städten verantwortlich ist, was in den letzten Jahren über
drei Millionen Flüchtlinge und über 3 000 zerstörte kurdische
Dörfer zur Folge hatte, sondern im kurdischen Kriegsgebiet auch zum
Einsatz international geächteter Waffen greift, ist nicht neu. So
berichtete z. B. der Vorsitzende der im kurdischen Autonomiegebiet in Nordirak
ansässigen PUK (Patriotischen Union Kurdistans), Talabani, bereits
in einem am 21. Oktober 1997 an UN-Generalsekretär Kofi Annan gerichteten
Brief, daß die türkisch e Armee bei ihrem völkerrechstwidrigen
Vordringen auf nordirakisches Territorium auch international geächtete
Napalm-Bomben einsetze. In dem Schreiben an Kofi Annan beklagt Talabani,
daß die türkische Regierung nicht nur »einen Vernichtungskrieg
gegen die Bevölkerung Türkisch-Kurdistans« führe,
sondern bei ihrem Vorgehen auch die Bevölkerung Irakisch-Kurdistans
bombardiere.
Die Türkei beantwortet die Vorwürfe von Talabani auf eindeutige
Weise: Am 29. Oktober 1997, so die PUK in einer nach dem Brief an Annan
dann auch an die Öffentlichkeit gerichteten Pressemitteilung, bombardierten
türkische Flugzeuge PUK- Stellungen in der Region Shakhi-Soor. Dabei
seien erneut Napalm- Bomben eingesetzt worden. Für Ernüchterung
auf kurdischer Seite sorgten die fehlenden Konsequenzen der vielzitierten
»internationalen Gemeinschaft«: Reaktionen, Nachfragen, Wünsche
nach Aufklärung dieser schweren Vorwürfe an die Adresse der Türkei
von den verbündeten NATO-Ländern, hier vom damaligen Außenminister
Kinkel? Fehlanzeige! Vor diesem Hintergrund dürfte nun der Wunsch
der Nationalen Befreiungsarmee Kurdistans, die Vorfälle durch internationale
Beobachter vor Ort zu überprüfen, vermutlich auch nur ein Wunsch
bleiben. Bei ihrem Vorgehen hat die türkische Armee seit Jahren die
volle Rückendeckung der NATO-Verbündeten. Daß selbst für
Journalisten große Teile der Kriegsregion »verbotenes Gebiet«
sind und die Vertreibungen der Zivilbevölkerung unter Ausschluß
der Öffentlichkeit stattfinden, gehört ebenso zu dieser besonderen
»Normalität« wie immer wieder aufkommende Berichte über
den Einsatz international geächteter Waffen und völkerrechtswidrige
Einmärsche im Nord-Iark. Schließlich gehört die Türkei
als NATO- Mitglied zur »westlichen Wertegemeinschaft«.
Thomas Klein