So ins 21. Jahrhundert?
Zu einigen Ursachen und Auswirkungen des USA-Krieges gegen Jugoslawien.
Von Fritz Teppich
Ursachen und Auswirkungen des USA-Bombenkrieges gegen Jugoslawien,
der von gewieften PR-Profis in eine Menschenrechtsaktion umgefälscht
wird, können erst über Kenntnis der Verquickung von mindestens
einigen Hauptgegebenheiten einigermaßen klar durchschaut werden.
1. Das am Schnittpunkt zwischen Europa und Asien gelegene Südosteuropa,
der sogenannte Balkan, ist wegen seiner geostrategischen Bedeutung ein
seit Jahrhunderten umkämpftes Gebiet, dessen Verfügbarkeit mit
eine Voraussetzung für Weltherrschaft ist. Inzwischen verstärkt,
da vom nordwestlichen, weiter nichtkapitalistischen Jugoslawien aus die
wichtigen nahöstlichen und kaspischen Ölvorkommen durch eine
vornehmlich USA-bestimmte Länderkette bis einschließlich Pakistan
abgeschirmt werden.
2. Die einstige Großmacht Türkei hatte seit dem frühen
Mittelalter mit weitgreifenden Eroberungen von wechselndem Bestand in Asien,
Afrika und auch Europa ihre Territorien bedeutend ausgedehnt. Unter den
dabei zusammengewürfelten Völkerschaften wurden Feindschaften
entfacht, die zu imperialistischen Neuzeiten in unversöhnlich dünkende
Nationalismen mündeten.
3. Durch Herausreißen von Kroatien und Slowenien aus dem jugoslawischen
Staatsverband - bei besonderem Engagement von Bundesaußenminister
Genscher - wurden die unter Tito besänftigten nationalistischen Leidenschaften
wieder erweckt, was den unter USA-Oberhoheit agierenden politischen Brandstiftern
ungewollt half, als »Feuerwehr« aufzutreten - bombend.
4. Washington, das sich nun als Verteidiger kosovarischer Säuberungsbedrohter
aufspielt, verdankt seine heutige Vormachtstellung nicht zuletzt auch der
ethnischen Ausrottung der indianischen Urbevölkerung Nordamerikas.
Ehe weiße Landräuber seinerzeit gen Westen vorstießen,
lebten um 1500 dort 9,8 bis 12,5 Millionen Indianer, deren Nachkommenschaft
infolge der wohl massivsten und grausamsten ethnischen Säuberungen
der neueren Menschheitsgeschichte 1887 auf nur noch 243 000 nordamerikanische
Indianer zusammengeschmolzen war.
5. Zu Zeiten des Zusammenbruchs der antikapitalistischen Republiken
in Osteuropa 1989/90 rechneten die USA-Regierenden mit dem weltweit endgültigem
Zerfall des Sozialismus/Kommunismus und kalkulierten, die Überbleibsel
ohne Militäreinsätze, nur über finanzielle und politische
Hebel, austrocknen zu können. Bald jedoch gewannen dort Neugründungen
von Bewegungen und Parteien, oft widersprüchlicher Ausrichtung, an
Gewicht. China erstarkte wirtschaftlich. Daraufhin vollzog Washington eine
Rückwende und orientierte um auf rascheste Fundierung seiner Weltbeherrschungs-Ziele.
6. In der Folge wurde mit viel Geld und Beharrlichkeit versucht, den
als zu schlapp geltenden Clinton seines Amtes zu entheben und einen ausgewiesenen
Machtmenschen zum Präsidenten zu küren. Das mißlang. Nun
suchte Clinton sich durch Härte zu profilieren, löste den völkerrechtswidrigen
Angriff auf Jugoslawien aus, scheiterte jedoch mit dem Vorhaben, die Überfallenen
binnen weniger Tage niederzuzwingen.
Angesichts zunehmenden Unwillens der Weltöffentlichkeit beschloß
der folgende G-8-Gipfel, zumindest rhetorisch etwas einzulenken. Das daraufhin
inszenierte Bombardement der China-Botschaft in Belgrad ließ das
Gerücht aufkommen, Verschwörer wollten durch Provokationen jeglichen
Stopp der Kriegshandlungen verhindern (AP-Foto vom 60. Tag der Aggression:
Zerstörte Wohnhäuser in Smederevo 55 km östlich von Belgrad).
Einige Präzisierungen: Allein eigene USA-Interessen sind in Sachen
Jugoslawien ausschlaggebend. Abhängige Staaten, so die Türkei,
werden gegen Unabhängigkeit anstrebende Minderheiten wie die Kurden,
brutal unterstützt - dagegen werden innerhalb souveränitätsbewußter
Staaten, siehe Jugoslawien, von Washington aus gegängelte Minderheiten,
so die Kosovaren, zum Aufbegehren aufgehetzt. Zur Art der Machtausübung
durch die USA hat der USA-Schriftsteller Gore Vidal in einem Spiegel-Gespräch
(Nr. 6/1999) interessante Angaben gemacht: »Um die Russen zu bekämpfen,
haben wir eine imperiale Machtstruktur errichtet ... Die NATO war unser
Instrument, um die Kontrolle zu behalten über die Russen ... und über
Deutschland, Frankreich und England ... Gesellschaft und Politik sind bei
uns völlig militarisiert ... Amerika ist heute ein Polizeistaat ...«
- Also keine Demokratie, wie der Öffentlichkeit immer wieder weiszumachen
versucht wird. Doch was ist Demokratie tatsächlich? So zum Beispiel
im »Meyers« (1903) oder im »Duden« (Mannheim 1961):
»Demokratie = Volksherrschaft«. In der Tat herrscht in den
USA und im heutigen Deutschland nur bürgerlicher Parlamentarismus.
Meyers erläutert den Unterschied: »Anders liegt die Sache bei
der Sozialdemokratie (vor dem I. Weltkrieg! - F. T.), welche die Errichtung
eines Freien Volksstaates, also einer Republik mit sozialer Gleichstellung
aller Volksgenossen anstrebt.« Zu Punkt 5 hier Äußerungen
der schröderkonformen, rechtssozialdemokratischen Professorin Gesine
Schwan am 8. Mai auf einer Sonderseite des Berliner »Tagesspiegel«:
»Es gab in der Tat Hoffnung, mit dem Ende der kommunistischen Herausforderung
sei die Demokratie ein für alle mal gesichert und brauche sich nur
noch langsam auszubreiten. Nun zeigt sich, daß diese Hoffnung übersehen
hat, wie schwierig die Praxis der Demokratie ist ...« Schließlich
möchte ich als Shoa-Überlebender den regierungsnahen bundesrepublikanischen
Diffamierern der jugoslawischen Regierung als »faschistisch«
argumentativ entgegentreten. Dabei empört mich, daß sogar Enkel
der Generation der deutschen Auschwitz-Henker in der rosa-grünen Bundesregierung
nicht davor zurückschrecken, gegen die Verteidiger der jugoslawischen
Souveränität den Begriff »Auschwitz« in den Mund
zu nehmen. Dabei wissen sie genau, daß nicht wenige ihrer Väter
oder Großväter dem nur von Deutschland industriell betriebenen
Millionenmord zugearbeitet hatten, während in Jugoslawien bei aller
gegenseitigen Brutalität nichts auch nur annähernd Vergleichbares
verübt worden ist oder wird. In Sachen Faschismus stehe ich aus meinen
konkreten Erfahrungen mit den Verhältnissen in Nazi-Deutschland, Franco-Spanien
und in Salazars damaligem Portugal zu der Formel von der unverhüllt
betriebenen blutigen Diktatur der aggressivsten Teile des Monopolkapitals.
Endlich wird auch in der Bundesrepublik zugegeben, welche ausschlaggebende
Rolle hinter den Kulissen Konzernunternehmen wie die Deutsche Bank oder
Großfirmen von Metall, Chemie, Maschinenbau usw. gespielt haben.
Dagegen hat im Nachkriegsjugoslawien bekanntermaßen Monopolkapital
nie geherrscht, um nur dies anzuführen. Das dortige uralt verwurzelte,
brutale Anrennen der unterschiedlichen Nationalisten gegeneinander hat
mit dem in diesem Jahrhundert konstruierten Faschismus nichts zu tun, wie
auch immer man das Milosevic-Regime ansonsten einschätzen mag. Lenin
und Trotzki waren gleichgestimmte Antinationalisten, beurteilten anstehende
Probleme allerdings nie undifferenziert. Hier aus Trotzkis Buch »Die
spanische Revolution« in meiner Übersetzung aus dem Französischen:
»Angesichts der gegenwärtigen Kombination der Klassenkräfte
ist der katalanische Nationalismus eine fortschrittlich-revolutionäre
Erscheinung - der spanische Nationalismus dagegen eine reaktionär-imperialistische.«
- Eine Parallele zu den Verhältnissen in Südosteuropa kann nicht
einfach gezogen werden, soll jedoch zu Nachdenklichkeit anregen. Schlußfolgerung
aus allem hier Vorgetragenen: Die hochgerüstete Supermacht USA hat
z. B. keinen Finger gerührt angesichts der fürchterlichen Massenmorde
in dem für sie wenig interessanten Ruanda, hat sich in Somalia bald
verabschiedet, unterstützt Unterdrücker gegen ins Abseits Getriebene
wie Kurden, Palästinenser, Basken oder andere auf Unabhängigkeit
orientierte Minderheiten. Im noch unbesetzten Südfrankreich hatte
ich 1942 in Marseille erlebt, wie vor Nazideutschland geflüchtete
Juden in langen Schlangen vor dem USA-Konsulat um Visa angestanden hatten,
jedoch mit wenigen Ausnahmen abgewiesen worden waren und in der Folge von
einmarschierenden Deutschen festgenommen und deportiert wurden und wohl
nahezu ausnahmslos der Massenmordmaschinerie zum Opfer fielen. Während
zum Beispiel der portugiesische Konsul in Bordeaux, Aristides de Sousa
Mendes, gegen die Direktive Salazars, rund zehntausend Verfolgten Visa
ausstellte (und dafür niederschmetternd bestraft wurde), ist mir von
USA-Vertretern nichts auch nur annähernd Ähnliches zu Ohren gekommen.
Washington kannte und kennt nur eins: eigene Machtinteressen. Das entspricht
den Lebensmaximen der dortigen kapitalistischen Oberschicht. Aufwand für
andere nur, wenn es sich auszahlt, wenn es unter anderem vorrangig Wirtschaftsexpansionen
dient. Im Kosovo geht es den Vereinigten Staaten ausschließlich um
Festigung eigener strategischer, politischer und wirtschaftlicher Vorherrschaft.
Aus meiner Sicht haben die USA sich in den zurückliegenden Jahren
zu einer von Monopolen beherrschten Macht entwickelt, die sich nicht mehr
scheut, offen ihre Mordwaffen auch völkerrechtswidrig einzusetzen,
also eine faschistoid gefärbte Interventionsmacht. Gelingt es im Zeitalter
von Atomwaffen und elektronischen sowie chemischen Waffen nicht, in relativer
Kürze den Zugriff Washingtons auf die Welt zu stoppen, so werden wir
- besser unsere Kinder und Enkel – im 21. Jahrhundert eine fürchterliche,
durch Faustrecht verdüsterte Epoche erleiden müssen.