Ungewisse Zukunft der Kurdenprovinzen im Irak
Drosselung des Treibstoffhandels und Anschläge
Die Umsetzung des Abkommens über die Beilegung des Konflikts zwischen den wichtigsten kurdischen Parteien im Irak ist ins Stocken geraten. Die Drosselung des illegalen Treibstoffhandels hat der wirtschaftlichen Entwicklung im Nordirak einen Dämpfer versetzt.
jpk. Erbil, im April
Die Zukunft der nordirakischen Kurdenprovinzen bleibt auch ein halbes Jahr nach der Unterzeichnung des Abkommens von Washington - womit die Beilegung des Konfliktes zwischen Barzanis Demokratischer Partei Kurdistans (DPK) und Talabanis Patriotischer Union Kurdistans (PUK) in die Wege geleitet wurde - äusserst ungewiss. Zwar konnten die Hilfsorganisationen der Uno in den vergangenen Monaten in der Region eine positive Entwicklung im humanitären Bereich feststellen. So ging im Gegensatz zum übrigen Irak die Kindersterblichkeit zurück. Aber die wirtschaftliche und politische Entwicklung bleibt weiterhin mit vielen Fragezeichen versehen. Die Ungewissheit im politischen Bereich ist vor allem auf die zögerliche Umsetzung des Abkommens von Washington sowie die Ungewissheit über das weitere Verhalten der westlichen Schutzmächte zurückzuführen. Der wirtschaftlichen Entwicklung, vor allem in den von der DPK kontrollierten Gebieten, wurde durch eine starke Einschränkung des illegalen Treibstoffexports in die Türkei ein starker Dämpfer versetzt. Eine neue Serie von Anschlägen gegen Hilfswerke sorgt für zusätzliche Verunsicherung.
Misstrauen
Zwar haben die Spannungen zwischen der DPK und der PUK seit der Verabschiedung
des Washingtoner Abkommens nachgelassen. Bei der Fahrt über die Demarkationslinie
zwischen Degala und Koya, welche die Gebiete der beiden Parteien trennt,
sind keine bewaffneten Verbände oder spezielle Sicherheitsmassnahmen
auszumachen. Aber das gegenseitige Misstrauen konnte bisher kaum abgebaut
werden. Von der planmässigen Durchführung der auf den Juli angesetzten
Parlamentswahlen spricht zurzeit niemand mehr. So wagten bisher denn auch
keine der etwa 121 000 seit dem Ausbruch des kurdischen Konflikts im Jahr
1994 vertriebenen Personen, in ihre Heimatorte jenseits der Demarkationslinie
zurückzukehren. Ob die Repatriierung der Vertriebenen in den kommenden
Wochen oder Monaten schliesslich doch noch aufgenommen werden kann, ist
zurzeit völlig offen. Wie stark das Misstrauen zwischen den Parteien
weiterhin bleibt, wird durch die Tatsache belegt, dass sich das Uno-Entwicklungsprogramm
dazu entschloss, in einigen von der DPK kontrollierten Orten Dieselgeneratoren
einzurichten, damit die wichtigen Einrichtungen dieser Orte auch dann mit
Strom versorgt sind, wenn die PUK die Stromlieferungen - die Elektrizität
stammt aus Kraftwerken in dem von Talabani kontrollierten Gebiet - einstellt.
Für die zögerliche Umsetzung des Washingtoner Abkommens machen
sich die beiden Seiten gegenseitig verantwortlich. Gleichzeitig betonen
sie allerdings auch, dass sie bereits bei der Verabschiedung des Abkommens
mit einer längeren Normalisierungsphase gerechnet hätten. Hauptstreitpunkte
für eine weitere Normalisierung scheinen derzeit die Freilassung der
verbliebenen Gefangenen, die Zusammensetzung des Übergangsparlaments
und die Aufteilung der Einnahmen aus dem illegalen Treibstoffhandel mit
der Türkei zu sein.
Der DPK-Sprecher Falah Bakir wirft der PUK vor, die Freilassung der
Gefangenen zu verzögern. Die DPK habe alle PUK- Gefangenen freigelassen
- bis auf einige wenige, denen terroristische Akte vorgeworfen würden.
Der PUK-Sprecher Mohammed Taufiq Rahim betont dagegen, die DPK benütze
den Terrorismus als Vorwand, um die Freilassung der verbliebenen Gefangenen
zu verzögern. Beide Sprecher erklären aber auch, dass ihre Parteien
an einer weitere Normalisierung der gegenseitigen Beziehungen interessiert
seien. Dazu würden regelmässig Treffen zwischen Vertretern der
Parteien durchgeführt. Mohammed Taufiq Rahim betonte zudem, dass das
Image der Kurden durch den Konflikt schweren Schaden genommen habe und
dass dem nun ein Ende gesetzt werden müsse. In einem nächsten
Schritt müsse eine Einigung über die Einsetzung einer gemeinsamen
Administration, das Recht auf Rückkehr der Vertriebenen und die Teilung
der Einkünfte aus dem Handel mit Treibstoff getroffen werden. An letzterem
Punkt hat die PUK ein besonderes Interesse, weil die Steuer auf exportiertem
Treibstoff die wichtigste Einnahmequelle für die kurdischen Regionen
darstellt und die PUK seit dem Ausbruch des Konfliktes ihren Anteil aus
diesen Einkünften verloren hat.
Gedrosselter Handel mit Treibstoff
Der illegale Treibstoffhandel bringt seit einigen Wochen deutlich weniger
ein, wie ein Augenschein in der Grenzregion von Zako zeigt. An den Tankstellen
entlang der Hauptstrasse von Dohuk zur Grenze stauen sich keine türkischen
Fahrzeuge mehr; auch beim Grenzposten ist die Zahl der auf die Abfertigung
wartenden Lastwagen stark zurückgegangen. Der Treibstoffhandel, der
für die Finanzierung der öffentlichen Ausgaben der kurdischen
Verwaltung lebenswichtig ist, ging nach Angaben aus kurdischen Kreisen
in den vergangenen Wochen auf etwa zehn Prozent des früheren Volumens
zurück. Wenn diese Angaben auch übertrieben sein mögen,
so wird doch die starke Einschränkung dieses Handels - in den vergangenen
Jahren sollen die Exporte ein Jahresvolumen von gegen 300 Millionen Dollar
erreicht haben - von unabhängiger Seite bestätigt. Für die
Einschränkung werden in diesen Kreisen sowohl die Türkei, welche
die Zahl der die Grenze überquerenden Kleinlastwagen gesenkt habe,
als auch der Irak, der weniger Treibstoff in die kurdischen Provinzen liefere,
verantwortlich gemacht. Damit soll anscheinend verhindert werden, dass
sich nach einer möglichen Umsetzung des Washingtoner Abkommens die
Lage in den kurdischen Gebieten stabilisiert und die De-facto- Unabhängigkeit
der kurdischen Gebiete zementiert wird.
In den vergangenen Jahren hatten der Treibstoffhandel und die erfolgreiche
Umsetzung des Uno-Programms Öl für Nahrungsmittel in den von
der DPK verwalteten Gebieten und insbesondere in der Region von Dohuk einen
wirtschaftlichen Boom ausgelöst. Gewisse stattliche Villen in Dohuk
zeugen von diesem neuen, nun allerdings gefährdeten Wohlstand. In
den PUK-Gebieten, die an dem Geldsegen nicht mehr teilhatten, blieb die
wirtschaftliche Entwicklung dagegen klar zurück.
Neue Anschlagserie
Auf die Verhinderung einer Stabilisierung der Kurdengebiete könnte
auch die Serie von Anschlägen zielen, die in den vergangenen Monaten
auf Angehörige internationaler Organisationen verübt wurden.
Gegen die These, dass es sich bei diesen Anschlägen lediglich um Racheakte
von Kurden gegen einzelne Mitglieder dieser Organisationen handelt, sprechen
vor allem ihre Häufung in letzter Zeit und die dabei eingesetzten
Mittel. Die Hilfswerke verstärkten zwar die Sicherheitsmassnahmen,
konnten aber nicht verhindern, dass es am Wochenende vom 24./25. April
zu einem schwerwiegenden Zwischenfall kam. Dabei wurde ein neuseeländischer
Mitarbeiter des Uno-Entminungsprogramms von einem Unbekannten in Ainkaua
bei Erbil aus nächster Nähe mit einer Pistole erschossen. Eine
niederländische Mitarbeiterin der Uno-Organisation für das Irak-Programm,
die sich mit dem Neuseeländer unterhielt, entging dem Anschlag nur
knapp. Sie warf sich, nachdem sie gemerkt hatte, was mit ihrem Kollegen
geschah, auf den Boden. Der Angreifer, der keine kurdische Kleidung trug,
schoss dann zweimal auf sie. Eine Kugel schlug dicht neben ihrem Ohr im
Boden ein, eine weitere unmittelbar neben der Hüfte.
Für die kurdische Bevölkerung steht fest, dass es sich bei
der Einschränkung des Treibstoffhandels und der Anschlagserie um gezielte
Angriffe der Nachbarmächte gegen die Entwicklung ihrer Region handelt.
Die Nachbarländer Türkei und Iran sowie die irakischen Behörden
in Bagdad wollten eine weitere Stärkung der nach acht Jahren autonomer
Verwaltung schon fast unabhängigen kurdischen Region verhindern, heisst
es. Keine der kurdischen Parteien habe ein Interesse daran, die internationalen
Organisationen aus der Region zu vertreiben. Im Gegenteil stelle die Präsenz
der internationalen Organisationen eine Art Garantie für die weitere
Existenz der Region dar. Mit der Einschränkung des Handels und den
Anschlägen werde einmal mehr versucht, eine wirklich eigenständige
Entwicklung zu verhindern. Dies bedeute, dass die Zukunft der irakischen
Kurden weiterhin äusserst ungewiss bleibe. Niemand wisse, wie es weitergehen
solle, niemand sei sicher, was in den nächsten Monaten geschehen werde.
Die Bevölkerung sei gezwungen, ohne jegliche Perspektive zu leben.
Es werde aber zumindest gehofft, dass das Ausland zu den Kurden stehe und
ihre Sicherheit weiterhin garantiere. Man ist sich dessen aber nicht wirklich
sicher, wie bei den Gesprächen klar zum Ausdruck kommt.
Föderativer Staatsverband als Fernziel
Fernziel bleibt nach Angaben der Sprecher der DPK und der PUK die Einbindung
der kurdischen Provinzen in einen föderativen irakischen Staatsverband.
Eine solche Lösung sei allerdings mit dem gegenwärtigen irakischen
Regime nicht möglich. Auf die Frage, wie eine solche Föderation
denn erreicht werden könne, erfolgt keine konkrete Antwort. Auch auf
die Frage, ob man denn zur Förderung dieses Ziels mit dem Irakischen
Nationalkongress (INK) zusammenarbeite, erfolgt nur eine ausweichende Antwort.
Es bestünden gute Beziehungen mit den andern Parteien des INK; die
PUK habe ja zu dessen Gründungsmitgliedern gehört, erklärt
Mohammed Taufiq Rahim. Bisher seien aber keine Gespräche darüber
geführt worden, wie die Zusammenarbeit ausgestaltet werden könne
und ob man den andern Gruppen des INK auf PUK-Territorium «Gastrecht»
gewähren solle. Angesichts der Tatsache, dass die irakische Armee
die kurdischen Städte Sulaimaniya und Erbil innert Stunden einnehmen
könnte - wie sich dies 1996 gezeigt hat -, ist die Zurückhaltung
in dieser Frage äusserst verständlich.