Warum unterstützt die Türkei den Krieg gegen Serbien?
Von Justus Leicht
Die Türkei hat ihren Nato-Verbündeten Luftwaffenstützpunkte
für die
Angriffe gegen Jugoslawien zur Verfügung gestellt, sowie F-16-Kampfjets
als Begleitschutz für die Bomberstaffeln. Seit kurzem bombt sie auch
selbst mit und beteiligt sich außerdem mit mehreren hundert Mann
an den Bodentruppen der Nato.
Im Unterschied zu den USA und Europa rechtfertigen die Medien und Politiker
in der Türkei die Kriegsteilnahme aber nicht ausschließlich
nur mit Berichten über das Leid der albanischen Bevölkerung Kosovos.
Von Zeit zu Zeit lassen sie recht unverblümt durchblicken, worum es
tatsächlich geht: Die Kontrolle über den Balkan als einer strategisch
und wirtschaftlich bedeutsamen Region.
So erschien am 17. Mai in der Zeitung Milliyet ein Kommentar eines
früheren Botschafters namens Sukru Elekdag, der ausführlich auf
die Interessen der Türkei, der Nato und des Westens einging:
"Die Türkei ist aufgrund ihrer geostrategischen Interessen sehr
um die Sicherheit und Stabilität des Balkans besorgt und muß
in dieser Region eine aktive Politik verfolgen. Die Balkanhalbinsel ist
eine erweiterte Verteidigungszone für Thrakien [die Grenzregion zwischen
der Türkei, Griechenland und Bulgarien], die türkischen Meerengen
und Istanbul. Daher hat Ankaras Sensibilität gegenüber
den Konflikten und geopolitischen Veränderungen in der Region einen
verständlichen Grund... Die Türkei hat mit ihrer Schlüsselposition
als Brücke zwischen drei Kontinenten eine einzigartige geopolitische
Identität in der Region, sie kontrolliert alle Verbindungslinien in
der Luft, zu Lande und im Wasser. Durch ihre Stellung ist die Türkei
ein Machtzentrum nicht nur für den Balkan, sondern auch den kaukasisch-zentralasiatischen
Korridor und den Nahen Osten... Wenn die zukünftige EU-Strategie eine
Öffnung nach Eurasien hin plant, ist die Integration der Türkei
in das Verteidigungssystem der [Europäischen] Union ein Muß."
(Zitiert nach: Agentur Anadolu (AA))
Die Kontrolle über die Region von der Adria bis Asien - die historische
"Seidenstraße" - war schon am 26. April Thema in der Milliyet.In
einem Bericht vom Nato-Gipfel hieß es: "Präsident Süleyman
Demirel hielt während eines Treffens der ,Seidenstraßen-Länder‘
eine Rede, das als Bestandteil des Nato-Gipfels mit Beteiligung einer Reihe
von zentralasiatischen und kaukasischen Ländern organisiert wurde.
Er wies darauf hin, daß die Seidenstraße immer noch von bemerkenswerter
Bedeutung ist, und daß die Türkei als Brücke zwischen dem
Osten und dem Westen dient. Demirel wies weiter darauf hin, daß es
ständige Anstrengungen gibt, die Baku-Ceyhan-Pipeline und den transkaukasischen
Energie-Korridor voranzubringen, was zu Frieden und Stabilität in
der Region führen würde." (Zitiert nach: AA)
Im Westen ist dabei der Erzrivale Griechenland und dessen Verbündeter
Serbien im Weg. Die Türkei benutzt den Krieg gegen Jugoslawien daher
gezielt, um sich gegenüber Griechenland die Vorherrschaft auf dem
Balkan zu sichern. Ein dementsprechender Kommentar erschien am 21. Mai
in der Hürriyet, kurz nachdem offiziell bekannt geworden war, daß
türkische Flugzeuge nicht nur zum Schutz der anderen mitfliegen, sondern
auch selbst bomben. In einem Kommentar hieß es: "Was können
die Gründe oder Erwartungen sein, die unsere Politik geändert
haben? Präsident Demirel hat diese Frage mit der Erklärung beantwortet,
daß wir uns nicht verhalten können wie Griechenland. Diese Aussage
zeigt, daß die hauptsächliche Überlegung darin besteht,
die Türkei über Griechenland zu stellen, das eng mit Serbien
verbunden ist, und daß dies der wichtigste Grund für diese Änderung
ist. Der Präsident sagte weiter, daß Loyalität einer der
Hauptfaktoren in der türkischen Politik sei. Er fügte hinzu,
die Türkei sei ein erstklassiges Nato-Mitglied, und es wäre gegen
die Interessen der Türkei, von dieser Position in die zweite oder
dritte Klasse zu rutschen. In der Nato sei die Türkei unter den ersten
fünf Staaten und sie sollte diese Position nicht verlieren. Das heißt,
die Entscheidung wird getroffen, um die Stellung der Türkei im Westen
zu festigen und ihre pro-westliche Politik zu stärken." (Zitiert nach:
AA)
Die ungeheure wirtschaftliche und politische Bedeutung der "Seidenstraße"
und den Stellenwert der Pipeline vom aserbaidshanischen Baku am Kaspischen
Meer zum türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan erläuterte ein Bericht
der Turkish Daily News vom 17. Mai über die Messe "Erdöl ‘99",
die auch in den übrigen türkischen Zeitungen Erwähnung fand:
"Energie wird im 21. Jahrhundert einer der wichtigsten Faktoren in den
nationalen Wirtschaften bleiben, sagte der [türkische] Minister für
Energie und Bodenschätze Ziya Aktas. Aktas hielt auf der Messe ‚Erdöl
‘99‘ eine Rede über ,Kaspisches Öl und die Strategie der Türkei
hinsichtlich des Erdöl-Transports‘. Er erklärte, daß Transport,
Verteilung und Vermarktung von Energie ebenso wichtig wie der Besitz von
Energiequellen ist, um die eigene Position bei internationalen Verhandlungen
zu stärken. Die Türkei ist eine natürliche Brücke zwischen
dem Nahen Osten und Zentralasien, wo die meisten Energiereserven der Welt
konzentriert sind, und den westlichen Ländern, den Hauptkonsumenten
von Energie, was der Türkei einen großen Vorteil verschafft...
Der Energieminister fügte hinzu, daß, wie schon der Präsident
und der Premierminister betont haben, die Baku-Ceyhan-Ölpipeline und
die Turkmenistan-Gas-Pipeline für die Türkei Priorität haben."
Ganz nebenbei werden hier nicht nur die türkischen Interessen
im Krieg gegen Jugoslawien deutlich, sondern auch, warum die türkische
Armee von der Nato mit militärischem Gerät und Know-how bei den
Massakern und der Vertreibungen im "Kosovo der Türkei", den mehrheitlich
kurdischen südostlichen Provinzen des Landes, unterstützt wird.
Was sind schon Menschenleben, wenn es um die Kontrolle der "Seidenstraße"
und Milliardengeschäfte mit Erdöl und Erdgas geht!
Das WSWS erwartet Ihren Kommentar: wsws@gleichheit.de.