Stuttgarter Nachrichten 26.5.1999

Bei der Abschiebung einen Nasenbeinburch erlitten
Kurde wird nach Handgemenge mit BGS-Beamten verletzt ins Krankenhaus gebracht - und taucht ab Wenn Grenzpolizisten abgelehnte Asylbewerber ins Flugzeug bringen, kommt es häufig zu Konflikten. Viele Abgelehnte wehren sich. Jetzt erlitt ein Kurde einen Nasenbeinbruch.
Polizei und der Kurde schildern den Vorfall in unterschiedlichen Versionen.

Von unserem Reporter
BERND HAUSER
  Yezdan Jiyan (Name von der Redaktion geändert) erzählt seine Version. Er spricht von Polizei-Kellern in Istanbul. Dort würden die Gefolterten nach Allah schreien, während sie von einem Spruch an der Wand verhöhnt werden: ¸¸Hier gibt es keinen Gott, und der Prophet ist im Urlaub.“
Jiyan sagt, er habe die türkischen Sicherheitskräfte vor drei Jahren kennengelernt. Nachdem der Kurde 1992 vor dem Wehrdienst nach Deutschland geflohen war, weil er ¸¸nicht auf das eigene Volk schießen wollte“, wurde er 1996 abgeschoben. Auf dem Flughafen in Istanbul habe ihn Polizei empfangen. Vier Monate lang sei er festgehalten und immer wieder mit Schlagstöcken malträtiert worden. Dann habe ein Polizist gesagt: ¸¸Wenn du als Spitzel arbeitest, lassen wir dich raus.“ Auf freien Fuß gelassen, floh Jiyan zurück nach Deutschland.
Das Bundesamt für Flüchtlingswesen lehnte seinen Asylfolgeantrag nun ab. Daß die Freundin Jiyans im siebten Monat schwanger ist, spielt juristisch keine Rolle. Das Regierungspräsidium verfügte die Abschiebung, Polizeibeamte holten den 26jährigen an einem Montagmorgen um 7.30 Uhr in seiner Wohnung ab und übergaben ihn auf dem Flughafen dem Bundesgrenzschutz (BGS). Ein routinierter Ablauf: Allein im laufenden Jahr sind 643 Personen vom Stuttgarter Airport aus abgeschoben worden, davon 342 türkische Staatsangehörige.
Ob ein Kurde bleiben darf, sei Glücksache - je nachdem, welche Kammer am Verwaltungsgericht Stuttgart den Fall bearbeite, sagt Roland Kugler. Der Rechtsanwalt, der zahlreiche Asylbewerber vertritt, berichtet von zwei kurdischen Brüdern. Der eine durfte bleiben. Sein Richter argumentierte:
  ¸¸Er stammt aus einem Dorf, dessen Bewohner schweren Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt sind.“ Der andere Bruder wurde ausgewiesen. In der Westtürkei könne er leben ohne verfolgt zu werden, befand der Richter einer anderen Kammer.
Jiyan sagt, er befürchte in Istanbul noch Schlimmeres als bei der ersten Abschiebung. Zurückgeschickte Kurden würden als PKK-Terroristen gelten. Ihnen würden Kabel an Zähne und Penis gelegt und unter Strom gesetzt, sagt Jiyan. Die Gangway zur Maschine der Turkish Airlines kam ihm vor wie die Stufen zum Schafott. Weil er sie nicht hinaufwollte, hätten fünf BGS-Männer ihn gebunden und die Gangway im Polizeigriff hochgeschleppt. Dabei habe ihm ein Beamter mit großer Wucht das Knie ins Gesicht gestoßen. ¸¸Absichtlich“, sagt Jiyan.
BGS-Sprecher Harald Trautmann stellt den Vorgang anders dar. Jiyan habe einen Beamten ¸¸als Drecksau“ beleidigt und sich gewehrt. Ein Grenzschützer habe Abschürfungen erlitten.  Im Handgemenge habe Jiyan ¸¸seinen Kopf an den Handlauf der Gangway gestoßen“. Die Beamten hätten sich ¸¸korrekt verhalten“. Ihr Dienst sei ¸¸sehr belastend“. Durchschnittlich leiste jede zweite Woche ein abgelehnter Asylbewerber Widerstand. Die Beamten hätten Angst um ihre Gesundheit:
¸¸Da ist der Puls auf 180.“
Im Flugzeug sei die Nase dick geworden, erzählt Jiyan. Vor lauter Blut habe er keine Luft bekommen, er sei ohnmächtig geworden. Der Pilot brach den Start ab. Sanitäter brachten Jiyan in die Intensivstation der Paracelsus-Klinik nach Ostfildern. Einen Tag später wurde er auf eine normale Station verlegt. Von dort flüchtete er, tauchte unter. Die Polizei fahndet nach ihm.
Eigentlich müßte Yezdan Jiyan ins Krankenhaus zurück. ¸¸Die Nase ist jetzt krumm“, sagt er, ¸¸aber das ist besser als in der Türkei zu sein.“