Verteidiger des PKK-Chefs beantragen Vertagung des Öcalan-Prozesses
ANKARA, 27. Mai. Der Hochverrats-Prozeß gegen PKK-Chef Abdullah Öcalan könnte schon nach der ersten Verhandlung auf der Gefängnisinsel Imrali am kommenden Montag wieder vertagt werden. Die Verteidiger Öcalans wollen dies beim zuständigen Staatssicherheitsgericht beantragen, wie die türkische Presse am Donnerstag berichtete.
Anlaß sind Pläne der neuen Regierungskoalition in Ankara, die Staatssicherheitsgerichte zu reformieren. Den Gerichten gehört bisher jeweils ein Militärrichter an, was unter anderem vom Europarat mehrmals kritisiert worden ist.
In Zukunft sollen bei den Staatssicherheitsgerichten nur noch zivile Richter Urteile fällen; für die Reform ist eine Verfassungsänderung nötig. Die Entscheidung darüber, ob der Öcalan-Prozeß aufgrund der Reformpläne unterbrochen wird, liegt aber allein bei dem Gericht selbst.
Der amtierende Ministerpräsident Bülent Ecevit kündigte am Rande der laufenden Koalitionsgespräche an, daß alle drei möglichen Partner – die Demokratische Linkspartei (DSP), die Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) und die Mutterlandspartei (Anap) – eine Neugestaltung des Gerichts anstrebten. Das berichteten türkische Zeitungen am Donnerstag. Türkische Menschenrechtler fordern seit Jahren die Abschaffung der Staatssicherheitsgerichte. Eine Nachrichtenagentur meldete, daß das Justizministerium bereits eine Beschlußvorlage zur Reform der Gerichte erarbeitet habe.
Die sogenannten Staatssicherheitsgerichte (Devlet Güvenlik Mahkemeleri) bestehen aus je zwei zivilen und einem Militär-Richter. Bereits seit längerer Zeit wird in der Türkei darüber nachgedacht, den Militär-Richter durch einen zivilen Richter zu ersetzen. Dies entspräche auch Forderungen des Europarates, für den die Militärrichter, da sie unter dem Kommando der Armee stehen, grundsätzlich als befangen gelten.
Öcalan muß sich von Montag an auf der Gefängnis-Insel Imrali vor dem Staatssicherheitsgericht Nummer zwei aus Ankara verantworten. Ihm droht im Falle einer Verurteilung die Todesstrafe. Ein Todesurteil im Fall Öcalan gilt als sicher, seitdem in der vergangenen Woche zwei hochrangige PKK-Aktivisten internationaler Kritik zum Trotz von einem Staatssicherheitsgericht zum Tode verurteilt wurden.
Staatssicherheitsgerichte befassen sich laut Gesetz mit Straftaten, die gegen die "unteilbare Einheit von Staatsgebiet und Staatsvolk, die freiheitliche demokratische Ordnung und die Republik* begangen werden und die innere und äußere Sicherheit des Staates unmittelbar betreffen".
Beobachter halten den Zeitpunkt der Diskussion für denkbar ungünstig. Für die Türkei sei es wichtig, daß Öcalan einen fairen Prozeß erhalte, heißt es in türkischen Kommentaren. Die Diskussion über die Staatssicherheitsgerichte sei aber für die Demokratie in der Türkei sinnvoll, hieß es. (dpa, AFP)
Berliner Zeitung, 28.5.99