Bündnis mit Rechtsradikalen
Die Türkei hat eine neue Regierung. Die Demokratische Linkspartei von Ministerpräsident Ecevit, die rechtsextreme Nationalistische Bewegung und die Mutterlandspartei haben eine Koalition vereinbart.
*Jan Keetman, Istanbul Es gibt Menschen, die können ihr Leben offenbar hervorragend planen. Zu ihnen gehört der türkische Ministerpräsident Bülent Ecevit. Genau an seinem 75. Geburtstag hat er eine neue Regierungskoalition aus seiner Demokratischen Linkspartei, der Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) von Devlet Bahçeli und der Mutterlandspartei (Anap) unter Mesut Yilmaz zustandegebracht.
Hunger auf Macht Die Hauptarbeit Ecevits hatte darin bestanden, den «grauen Wolf» Devlet Bahçeli zu zähmen. Die seit 22 Jahren an keiner Koalition mehr beteiligten und bis zu den Wahlen im April nicht einmal im Parlament vertretenen Ultranationalisten haben nach ihrem grandiosen Wahlsieg einen grossen Hunger auf die Macht entwickelt. Insbesondere das Erziehungsministerium hätte Bahçeli gerne gehabt. Doch Ecevit wollte nicht, weil ihm die Nationalistische Bewegung nicht zuverlässig genug erschien, um die weitere Säkularisierung des Bildungssystems voranzutreiben. Die Ultranationalisten vertreten die Auffassung, dass ein guter Türke auch ein guter Moslem sein müsse.
Neuling muss einlenken Rahsan Ecevit, die Frau des Regierungschefs und zugleich Gründerin sowie stellvertretende Vorsitzende der Demokratischen Linkspartei, griff die Nationalistische Bewegung MHP wegen ihrer Verbindungen zu den als «graue Wölfe» bekannten militanten Rechtsradikalen scharf an. Devlet Bahçeli verlangte eine Entschuldigung, doch Bülent Ecevit vertiefte den Streit, anstatt nachzugeben. Schliesslich musste der Neuling Bahçeli, der noch nicht ganz sicher auf dem politischen Parkett steht, einlenken. Das Erziehungsministerium behielt Ecevit für die Demokratische Linkspartei und schrieb auch die Säkularisierung gleich mit in den Koalitionsvertrag. Auch bei der geplanten Amnestie für PKK-Angehörige, die der Gewalt abschwören und ihren Kampf einstellen, musste Bahçeli nachgeben.
Angespannte Lage Die Partei Ecevits erhält das Aussen-, Erziehungs-,
Kultur-, Forst-, Justiz,- und Umweltministerium. Die Nationalistische Bewegung
ist für Verteidigung, Industrie, Handel, Gesundheit, Verkehr und öffentliche
Arbeiten zuständig. Der kleinste Koalitionspartner, die Mutterlandspartei,
trägt die Verantwortung für das Innenministerium sowie für
die Ressorts Energie, Finanzen Tourismus, Arbeit und Soziales. Durch einige
Minister ohne Geschäftsbereich wird das Kabinett auf jeweils zwölf
Minister für die beiden grossen Parteien und zehn für die Mutterlandspartei
aufgestockt. Bülent Ecevit bleibt Regierungschef und jede Partei bekommt
einen Stellvertreter. Ecevit wird die Kabinettsliste vermutlich heute Staatspräsident
Süleyman Demirel zur Unterschrift vorlegen. Die Vertrauensabstimmung
im Parlament ist für kommende Woche geplant. Die drei Regierungsparteien
verfügen im Parlament über 351 von 550 Mandaten. Die Nationalistische
Bewegung hatte bei den Parlamentswahlen im vergangenen April überraschend
den zweithöchsten Stimmenanteil erreicht. Bülent Ecevit stehen
schwierige Zeiten bevor. Die Türkei befindet sich in einer wirtschaftlich
angespannten Lage, die Regierungspartner sind ziemlich verschieden und
es ist nicht auszuschliessen, dass ein gewissermassen zum Schosshund domestizierter
Wolf eines Tages wieder zu einem Raubtier wird.*